Im Herzen Mumbais, der megacity im Westen Indiens, bröckelt zwischen Marktständen, kolonialen Fassaden und Appartment-Neubauten ein altes Kino vor sich hin: Das „Alfred Talkies“ ist ein Überbleibsel aus der britischen Kolonialzeit, ein früher glanzvoller Kinopalast. Seine betagte 35-Millimeter-Projektoren rattern immer noch vor sich hin und zeigen die stars des Hindi-Kinos der vergangenen Zelluloid-Ära.
Info
Original Copy -
Verrückt nach Kino
Regie: Florian Heinzen-Ziob und Georg Heinzen,
95 Min., Deutschland 2015;
mit: Sheikh Rehman, Najma Loynmoon, Huzefa Bootwala
Filmplakat als Kaufmagnet
Rehman ist der letzte Filmplakatmaler der Stadt. Sein Ton ist rau, wenn er seinen Adepten erklärt, wie man ein Kinoplakat gestaltet: Farbgebung und Positionierung der Stars, ihr Blick und ihre Bewaffnung, Requisiten (Helikopter) und Lichteinfall, all das spiele eine Rolle. Wenn der Film langweilig sei, so Rehman, könne er mit einem aufregend aussehenden Plakat dafür sorgen, dass die Leute trotzdem ein ticket kaufen.
Offizieller Filmtrailer
Kino als sozialer Ort
Der Beruf des Plakatmalers stirbt aus. Ebenso in Berlin, wo allein das „Delphi“-Kino sich noch den Luxus einer handgemalten Filmreklame leistet; wie in Westafrika, wo Photoshop die Maler verdrängt hat; und eben auch in Mumbai, wo Fernsehen und internet die Vertriebsstrukturen der weltweit größten Kino-Industrie umwälzen. So brütet der Manager des „Alfred Talkies“, das schon lange keine Kopien der beliebten action-Filme mehr bekommt, mit diesem speziellen indischen Kopfschütteln über den Büchern und erklärt seiner Chefin Najma Loynmoon, wie es um das Kino steht.
Loynmoon, die im Kino groß geworden ist, hat das Haus von ihrem Großvater geerbt. Und der wollte es ihr gar nicht überlassen, weil sie eine Frau ist. Nun kämpft sie gegen die schwindenden Besucherzahlen und den Zahn der Zeit, der an Material und Tradition nagt. Dabei wird das Kino nach wie vor besucht und hat als sozialer Ort durchaus noch seine Funktion. Es gebe doch zuhause schon so viele Tränen, sagt Rehman an einer Stelle – da solle man (und er meint Mann) sich doch wenigstens für die Dauer eines Filmes amüsieren können.
Wer ist der bärtige Mann?
Die Filmemacher führen behutsam und geduldig in diese Arbeits- und Lebenswelt ein – ohne Off-Kommentare, erklärende Einblendungen oder Kontextualisierung. Ein wenig Vorwissen hilft, („Talkies“ im Kino-Namen bezeichnen Tonfilme im Gegensatz zu Stummfilmen), ist aber keine Bedingung. So wird auch zunächst nicht erklärt, wer der bärtige Mann ist, der das Kino vor Vorstellungsbeginn mit Duftrauch einnebelt, und welcher Tradition das entspringt: Er fungiert auch als Vorführer. Wenn er nicht gerade in Gedanken oder Schlummer versunken ist, schreckt ihn erst das anschwellende Murren aus dem Auditorium auf, und er macht sich an den Rollenwechsel.
Hintergrund
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Ein Neuanfang? Vielleicht
Es gibt Tränen in diesem Film. Auch Rahman, der sonst zu jeder Gelegenheit ein Zitat von berühmten indischen Schauspielern wie Shah Rukh Khan oder Amitabh Bachchan zur Hand hat, zeigt Emotionen. Etwa, wenn er erzählt, dass seine Zunft stirbt und seine Söhne auf ihn herabsehen. Dabei wären die Söhne gefragt, möchte man ihm zurufen, um das Kunsthandwerk ihres Vaters ins globalisierte Zeitalter zu retten.
Rahman hat auch das Plakat von „Original Copy“ gestaltet – vielleicht ein Anfang vom Neuanfang. Dieser Filmtitel führt übrigens in die Irre. Es geht in diesem Film nicht wirklich um Raubkopien und copyright-Piraterie, und die Protagonisten sind auch nicht, wie der Untertitel suggeriert, „verrückt nach Kino“. Sie sind mit dem Kino eher schicksalhaft verbunden, so wie ein Bauer mit seinem Acker und ein Fischer mit dem Meer – was diese Geschichte jedoch nicht weniger berührend und relevant macht.