Călin Peter Netzer

Ana, mon amour

Toma (Mircea Postelnicu) und Ana (Diana Cavallioti) sind ein Paar. Foto: Realfiction Filmverleih
(Kinostart: 24.8.) Fragmente einer neurotischen Liebe: Der rumänische Regisseur Călin Peter Netzer schildert die Beziehung einer Angstkranken zu ihrem aufopferungsvollen Mann. Sein ambitioniertes Psychodrama gerät etwas anämisch und bodenschwer.

Beziehungen sind nur selten völlig symmetrisch. Meist liebt der Eine etwas mehr als der Andere, macht mehr Zugeständnisse an den Anderen und ist ein wenig mehr von ihm abhängig. Oft tariert sich das im Lauf der Zeit aus. Bei dem jungen Liebespaar Ana (Diana Cavallioti) und Toma (Mircea Postelnicu) ist jedoch das Ungleichgewicht von Anfang an sehr stark ausgeprägt. Sie lernen sich als Studenten an der Uni kennen, ihre Zuneigung ist gegenseitig, doch die Rollen sind klar verteilt: Ana ist krank, Toma kümmert sich.

 

Info

 

Ana, mon amour

 

Regie: Călin Peter Netzer,

127 Min., Rumänien/ Frankreich 2017;

mit: Mircea Postelnicu, Diana Cavallioti, Adrian Titieni

 

Weitere Informationen

 

Die attraktive und langhaarige, aber blassgesichtige Ana leidet unter unbestimmten Panikattacken. Zeitweise ist sie nicht einmal fähig, allein das Haus zu verlassen. Als mögliche Ursache wird angedeutet, dass ihr Stiefvater sie früher sexuell missbraucht haben könnte. Der nachdenkliche Toma opfert sich für seine Mitstudentin auf: Er hilft ihr, Anfälle zu bewältigen, geht mit ihr zum Arzt, finanziert ihren Lebensunterhalt und ihre Therapie. Später heiraten beide und bekommen ein Kind. Sie wirken jedoch selten glücklich miteinander; meist steht Anas Krankheit im Vordergrund.

 

Sex + Suizid ohne Weichzeichner

 

Ihre Geschichte erzählt Regisseur Călin Peter Netzer in spröden, naturalistischen Bildern, die an die dänischen Dogma-95-Filme der späten 1990er Jahre erinnern. Die Kamera ist stets nah an den Gesichtern und Körpern der Darsteller. Sie fängt sehr intime Momente ein: Sex wird hier ohne den üblichen Weichzeichner gezeigt – oder auch, wie Ana nach einem Selbstmordversuch behutsam von Toma gesäubert wird.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Silberner Bär 2017 für den Schnitt

 

Dabei springt die Filmhandlung bei fast jedem Szenenwechsel zeitlich vor oder zurück, was leicht verwirrend wirkt. Diese Momentaufnahmen einer Beziehung wiederholen sich in Varianten an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten: Wie die Menschen drehen sich auch die Bilder im Kreis – das verlangt dem Zuschauer einige Geduld ab. Der virtuose Schnitt des Films war der diesjährigen Berlinale-Jury einen Silbernen Bären wert.

 

Mit seinem Vorgängerfilm „Mutter und Sohn – Child’s Pose“ hatte Regisseur Netzer 2013 den Goldenen Bären gewonnen; darin thematisierte er eine zerstörerische Mutter-Kind-Beziehung. Auch die Protagonisten von „Ana, mon amour“ haben mit ihren Erzeugern zu kämpfen. Tomas Antrittsbesuch bei Anas Eltern gerät zu einem Verhör, in dem er auf seine materiellen Verhältnisse abgeklopft wird. Seine eigenen Eltern sind nicht besser: Tomas Vater lehnt Ana aufgrund ihrer psychischen Probleme sofort rigoros ab und droht gar mit Enterbung.

 

Langer Schatten der Vergangenheit

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Mutter & Sohn - Child’s Pose" - rumänisches Psychodrama über verkorkste Familienverhältnisse von Călin Peter Netzer, Berlinale-Siegerfilm 2013

 

und hier einen Bericht über den Film "Ehrenmedaille" – satirische Tragikomödie über einen rumänischen Hochstapler-Rentner von Călin Peter Netzer

 

und hier einen Beitrag über den Film "Periferic - Outbound" - packendes Mutter-Kind-Drama in Bukarest von Bogdan George Apetri.

 

Mit aller Macht wollen die Eltern über ihre erwachsenen Kinder bestimmen. Dazu kommt der lange Schatten der Vergangenheit – ein schwarzes Loch, in dem sich Schweigen und Gefühllosigkeit ausgebreitet haben. Während der kommunistischen Diktatur unter Nicolae Ceaușescu bis 1989 scheint jeder auf seine Weise Schuld auf sich geladen zu haben. Von Überläufern wird gemunkelt und Leuten, die sich ins Ausland abgesetzt haben. Nicht einmal die eigene Herkunft ist sicher.

 

Auch die postkommunistische Gegenwart bietet keinen inneren Halt: Religion ist mehr Dekor als wirkliche Lebenshilfe. So gerät Tomas Beichte bei einem Priester zu einer irritierenden Besprechung seiner Beziehung mit Ana. Mehr Hoffnung als in die Orthodoxie setzen die Protagonisten in die Psychologie. Während Anas ständige Besuche bei ihrem Therapeuten nur erwähnt, aber nicht gezeigt werden, bilden Tomas Gespräche mit seinem Analytiker die Rahmenhandlung des Films.

 

Ende gleicht einem Aufatmen

 

Auf der Couch reflektiert er im Nachgang über seine zerbrochene Beziehung zu Ana und interpretiert seine Träume. Dieses Scheitern begründet der Film nicht etwa mit Tomas Erschöpfung ob seiner Aufgabe, sondern mit Anas abruptem Wandel: Sie wird zur ambitionierten Karrierefrau mit blonder Kurzhaarfrisur. Nun ist es Toma, der zu Hause bleibt, das Kind hütet und mit Anas neuer Stärke nicht zurecht kommt.

 

Allerdings wirkt diese 180-Grad-Wendung im letzten Drittel des Filmes wenig glaubwürdig, nachdem zuvor Anas Leiden ausgiebig ausgebreitet wurde. Wirklich nah geht einem das Ende der Beziehung zwischen zwei Figuren, die über weite Strecken anämisch und bodenschwer erschienen, ohnehin nicht. Es gleicht eher einem Aufatmen.