Beziehungen sind nur selten völlig symmetrisch. Meist liebt der Eine etwas mehr als der Andere, macht mehr Zugeständnisse an den Anderen und ist ein wenig mehr von ihm abhängig. Oft tariert sich das im Lauf der Zeit aus. Bei dem jungen Liebespaar Ana (Diana Cavallioti) und Toma (Mircea Postelnicu) ist jedoch das Ungleichgewicht von Anfang an sehr stark ausgeprägt. Sie lernen sich als Studenten an der Uni kennen, ihre Zuneigung ist gegenseitig, doch die Rollen sind klar verteilt: Ana ist krank, Toma kümmert sich.
Info
Ana, mon amour
Regie: Călin Peter Netzer,
127 Min., Rumänien/ Frankreich 2017;
mit: Mircea Postelnicu, Diana Cavallioti, Adrian Titieni
Sex + Suizid ohne Weichzeichner
Ihre Geschichte erzählt Regisseur Călin Peter Netzer in spröden, naturalistischen Bildern, die an die dänischen Dogma-95-Filme der späten 1990er Jahre erinnern. Die Kamera ist stets nah an den Gesichtern und Körpern der Darsteller. Sie fängt sehr intime Momente ein: Sex wird hier ohne den üblichen Weichzeichner gezeigt – oder auch, wie Ana nach einem Selbstmordversuch behutsam von Toma gesäubert wird.
Offizieller Filmtrailer OmU
Silberner Bär 2017 für den Schnitt
Dabei springt die Filmhandlung bei fast jedem Szenenwechsel zeitlich vor oder zurück, was leicht verwirrend wirkt. Diese Momentaufnahmen einer Beziehung wiederholen sich in Varianten an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten: Wie die Menschen drehen sich auch die Bilder im Kreis – das verlangt dem Zuschauer einige Geduld ab. Der virtuose Schnitt des Films war der diesjährigen Berlinale-Jury einen Silbernen Bären wert.
Mit seinem Vorgängerfilm „Mutter und Sohn – Child’s Pose“ hatte Regisseur Netzer 2013 den Goldenen Bären gewonnen; darin thematisierte er eine zerstörerische Mutter-Kind-Beziehung. Auch die Protagonisten von „Ana, mon amour“ haben mit ihren Erzeugern zu kämpfen. Tomas Antrittsbesuch bei Anas Eltern gerät zu einem Verhör, in dem er auf seine materiellen Verhältnisse abgeklopft wird. Seine eigenen Eltern sind nicht besser: Tomas Vater lehnt Ana aufgrund ihrer psychischen Probleme sofort rigoros ab und droht gar mit Enterbung.
Langer Schatten der Vergangenheit
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Mutter & Sohn - Child’s Pose" - rumänisches Psychodrama über verkorkste Familienverhältnisse von Călin Peter Netzer, Berlinale-Siegerfilm 2013
und hier einen Bericht über den Film "Ehrenmedaille" – satirische Tragikomödie über einen rumänischen Hochstapler-Rentner von Călin Peter Netzer
und hier einen Beitrag über den Film "Periferic - Outbound" - packendes Mutter-Kind-Drama in Bukarest von Bogdan George Apetri.
Auch die postkommunistische Gegenwart bietet keinen inneren Halt: Religion ist mehr Dekor als wirkliche Lebenshilfe. So gerät Tomas Beichte bei einem Priester zu einer irritierenden Besprechung seiner Beziehung mit Ana. Mehr Hoffnung als in die Orthodoxie setzen die Protagonisten in die Psychologie. Während Anas ständige Besuche bei ihrem Therapeuten nur erwähnt, aber nicht gezeigt werden, bilden Tomas Gespräche mit seinem Analytiker die Rahmenhandlung des Films.
Ende gleicht einem Aufatmen
Auf der Couch reflektiert er im Nachgang über seine zerbrochene Beziehung zu Ana und interpretiert seine Träume. Dieses Scheitern begründet der Film nicht etwa mit Tomas Erschöpfung ob seiner Aufgabe, sondern mit Anas abruptem Wandel: Sie wird zur ambitionierten Karrierefrau mit blonder Kurzhaarfrisur. Nun ist es Toma, der zu Hause bleibt, das Kind hütet und mit Anas neuer Stärke nicht zurecht kommt.
Allerdings wirkt diese 180-Grad-Wendung im letzten Drittel des Filmes wenig glaubwürdig, nachdem zuvor Anas Leiden ausgiebig ausgebreitet wurde. Wirklich nah geht einem das Ende der Beziehung zwischen zwei Figuren, die über weite Strecken anämisch und bodenschwer erschienen, ohnehin nicht. Es gleicht eher einem Aufatmen.