Clémentine Deroudille

Robert Doisneau – Das Auge von Paris

Der Kuss der Foto-Küsse. Foto: © 2017 Film Kino Text
(Kinostart: 17.8.) Mit Kamera, Charme und Empathie: Regisseurin Clémentine Deroudilles porträtiert den französischen Fotografen Robert Doisneau als Menschenfreund, der auf Illusionen setzte und Klischees produzierte – ein gelungenes Film-Denkmal.

Die bekanntesten Fotos von Robert Doisneau entsprechen einem Klischee der französischen Hauptstadt, das man kaum mehr sehen mag: das Paris der nostalgischen Kalender und zehntausendfach reproduzierten Poster und Postkarten. Schwarzweiß, „poetisch“ und mit viel Sympathie zeigen solche Bilder das Leben der so genannten kleinen Leute in den Vororten der 1940/50er Jahre. Auch Doisneaus berühmtestes Foto ist seit den 1980er Jahren ein weltweit beliebtes Poster. „Der Kuss vor dem Hôtel de Ville“ stammt ursprünglich aus der Serie „Liebe in Paris“, abgedruckt 1950 im „Life Magazine“. Es zeigt ein sich liebkosendes Paar in der Rue de Rivoli.

 

Info

 

Robert Doisneau -
Das Auge von Paris

 

Regie: Clémentine Deroudille,

83 Min.,  2016;

mit: Robert Doisneau, Annette Doisneau, Jean-Claude Carrière

 

Weitere Informationen (franz.)

 

Die Menschlichkeit solcher Fotos entsprach offenbar der Persönlichkeit des 1912 geborenen Fotografen. So jedenfalls stellt ihn seine Enkeltochter Clémentine Deroudille in ihrem Dokumentarfilm „Robert Doisneau: Das Auge von Paris“ vor: als freundlichen Mann, der Menschen schätzte und von ihnen gemocht wurde. Aus einer Mischung aus Archivmaterial, Interviews mit dem 1994 verstorbenen Fotografen und aktuellen Gesprächen mit Verwandten, Freunden und Weggefährten entsteht das Porträt eines Künstlers, der nach eigener Aussage stets das Schöne im Hässlichen sichtbar machen wollte.

 

Inszenierte Küsse

 

Stets konstruierte er seine eigene Welt. So war „Der Kuss vor dem Hôtel de Ville“ kein Schnappschuss, sondern eine Inszenierung. Doisneau hatte zwei Schauspielschüler engagiert, um das Liebespaar zu mimen.  Zu jenem Bild gibt es eine bizarre Geschichte, die im Film gar nicht erwähnt wird. Nachdem es so populär geworden war, behauptete ein französisches Ehepaar 1992, sich als besagtes Paar auf dem Foto wiedererkannt zu haben. Wenig später trat die Ex-Schauspielschülerin Françoise Bornet aus dem Schatten der Anonymität.

Offizieller Filmtrailer OmU


Illusionen nicht zerstören

 

Als Beweis, dass sie auf dem Foto zu sehen ist, zeigte sie das Originalnegativ aus ihrem Besitz vor. Das Ehepaar und Bornet klagten das Recht auf das eigene Bild und entsprechenden Schadenersatz ein – vergeblich. Doch die eigentlich spannende Frage war, warum der damals noch lebende Doisneau dem Ehepaar nicht von Anfang an widersprochen hatte. Er habe ihre Illusionen nicht zerstören wollen, rechtfertigte sich der Fotograf.

 

Seine Fotografie ist eine Illusionskunst: Sie zeigt eine Welt, wie die Menschen sie wahrnehmen würden, wenn sie in der Hast ihres Alltags einmal innehalten würden. So begründete Doisneau die Popularität seiner Bilder. Allerdings verwahrte er sich stets gegen Etikettierungen. Als ihn der talkmaster einer Fernsehshow einmal mit „humanistischer Fotografie“ in Verbindung brachte, scherzte Doisneau nur ausweichend.

 

Enkelin als Regisseurin

 

Hintergrund

 

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Es ist ein großes Verdienst der Regisseurin, dass der Film – anfangs chronologisch, später eher thematisch geordnet – auch die weniger bekannten Seiten des Fotokünstlers zeigt. Davon gibt es einige: Doisneaus verhasste Zeit als Werksfotograf bei Renault, wo er die Arbeiter und die Produktion der Autos fotografierte und sich in seiner Abhängigkeit als Angestellter sehr unglücklich fühlte. Seine Modefotos für die „Vogue“, die Porträts berühmter Zeitgenossen wie Pablo Picasso und Michèle Mercier. Die Freundschaften mit Literaten wie Jacques Prévert und Robert Giraud oder der Schauspielerin Sabine Azéma, mit denen er gern durch Paris flanierte – und dabei natürlich fotografierte. Schließlich die Werbeaufnahmen, für die der Familienmensch Doisneau ungeniert die eigenen Kinder als Modelle einsetzte.

 

Familienleben und Beruf waren bei ihm ohnehin eng verknüpft: Doisneau wohnte mit seiner Frau und den beiden Töchtern in seinem Atelier in einem Pariser Vorort, von dem aus die Töchter noch heute das Erbe verwalten. Deroudille verbirgt ihr verwandtschaftliches Verhältnis nicht: Dass die Enkeltochter einen Film über ihren Großvater dreht, scheint sich angesichts dieser Verzahnung von Privatem und Beruflichem organisch zu ergeben.

 

Unbekannte Farbfotos

 

Doisneaus Experimente mit der Farbfotografie sind nie bekannt geworden. Die farbigen Abbildungen von menschenleeren Pariser Vororten entsprachen so gar nicht der Vorstellung, die sich die Öffentlichkeit von seinen Bildern gemacht hatte. Ein Fotoband mit Farbaufnahmen aus dem Palm Springs der späten 1960er Jahre entzog sich ebenfalls der üblichen Wahrnehmung des Künstlers.

 

Für Doisneau stand immer der Mensch im Mittelpunkt; so sehr, dass er manchmal aufs Fotografieren verzichtete. So soll er dem Dichter Jacques Prévert einmal von einem Unfall, den er miterlebt hatte, erzählt haben: Ein Auto war in eine Schafherde gefahren und hatte einige der Tiere getötet. Ob er ein Foto davon gemacht habe, fragte Prévert. „Nein“, sagte Doisneau, „ich habe mich um den Schäfer gekümmert“.