Die bekanntesten Fotos von Robert Doisneau entsprechen einem Klischee der französischen Hauptstadt, das man kaum mehr sehen mag: das Paris der nostalgischen Kalender und zehntausendfach reproduzierten Poster und Postkarten. Schwarzweiß, „poetisch“ und mit viel Sympathie zeigen solche Bilder das Leben der so genannten kleinen Leute in den Vororten der 1940/50er Jahre. Auch Doisneaus berühmtestes Foto ist seit den 1980er Jahren ein weltweit beliebtes Poster. „Der Kuss vor dem Hôtel de Ville“ stammt ursprünglich aus der Serie „Liebe in Paris“, abgedruckt 1950 im „Life Magazine“. Es zeigt ein sich liebkosendes Paar in der Rue de Rivoli.
Info
Robert Doisneau -
Das Auge von Paris
Regie: Clémentine Deroudille,
83 Min., 2016;
mit: Robert Doisneau, Annette Doisneau, Jean-Claude Carrière
Weitere Informationen (franz.)
Inszenierte Küsse
Stets konstruierte er seine eigene Welt. So war „Der Kuss vor dem Hôtel de Ville“ kein Schnappschuss, sondern eine Inszenierung. Doisneau hatte zwei Schauspielschüler engagiert, um das Liebespaar zu mimen. Zu jenem Bild gibt es eine bizarre Geschichte, die im Film gar nicht erwähnt wird. Nachdem es so populär geworden war, behauptete ein französisches Ehepaar 1992, sich als besagtes Paar auf dem Foto wiedererkannt zu haben. Wenig später trat die Ex-Schauspielschülerin Françoise Bornet aus dem Schatten der Anonymität.
Offizieller Filmtrailer OmU
Illusionen nicht zerstören
Als Beweis, dass sie auf dem Foto zu sehen ist, zeigte sie das Originalnegativ aus ihrem Besitz vor. Das Ehepaar und Bornet klagten das Recht auf das eigene Bild und entsprechenden Schadenersatz ein – vergeblich. Doch die eigentlich spannende Frage war, warum der damals noch lebende Doisneau dem Ehepaar nicht von Anfang an widersprochen hatte. Er habe ihre Illusionen nicht zerstören wollen, rechtfertigte sich der Fotograf.
Seine Fotografie ist eine Illusionskunst: Sie zeigt eine Welt, wie die Menschen sie wahrnehmen würden, wenn sie in der Hast ihres Alltags einmal innehalten würden. So begründete Doisneau die Popularität seiner Bilder. Allerdings verwahrte er sich stets gegen Etikettierungen. Als ihn der talkmaster einer Fernsehshow einmal mit „humanistischer Fotografie“ in Verbindung brachte, scherzte Doisneau nur ausweichend.
Enkelin als Regisseurin
Hintergrund
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Familienleben und Beruf waren bei ihm ohnehin eng verknüpft: Doisneau wohnte mit seiner Frau und den beiden Töchtern in seinem Atelier in einem Pariser Vorort, von dem aus die Töchter noch heute das Erbe verwalten. Deroudille verbirgt ihr verwandtschaftliches Verhältnis nicht: Dass die Enkeltochter einen Film über ihren Großvater dreht, scheint sich angesichts dieser Verzahnung von Privatem und Beruflichem organisch zu ergeben.
Unbekannte Farbfotos
Doisneaus Experimente mit der Farbfotografie sind nie bekannt geworden. Die farbigen Abbildungen von menschenleeren Pariser Vororten entsprachen so gar nicht der Vorstellung, die sich die Öffentlichkeit von seinen Bildern gemacht hatte. Ein Fotoband mit Farbaufnahmen aus dem Palm Springs der späten 1960er Jahre entzog sich ebenfalls der üblichen Wahrnehmung des Künstlers.
Für Doisneau stand immer der Mensch im Mittelpunkt; so sehr, dass er manchmal aufs Fotografieren verzichtete. So soll er dem Dichter Jacques Prévert einmal von einem Unfall, den er miterlebt hatte, erzählt haben: Ein Auto war in eine Schafherde gefahren und hatte einige der Tiere getötet. Ob er ein Foto davon gemacht habe, fragte Prévert. „Nein“, sagte Doisneau, „ich habe mich um den Schäfer gekümmert“.