„Look at the pictures“, keift der konservative US-Senator Jesse Helms Anfang der 1990er Jahre bei einer Anhörung: Man müsse sich nur diese Fotos anschauen. Neben Porträts und Stillleben zeigen sie schwulen SM-Sex, Penisse oder ein Selbstporträt mit einer aus dem Anus heraushängenden Peitsche. Daher versucht Helms mit allen Mitteln, eine Ausstellung der Werke des US-Fotografen Robert Mapplethorpe (1946-1989) zu verhindern.
Info
Mapplethorpe:
Look at the Pictures
Regie: Fenton Bailey + Randy Barbato, 108 Min., USA 2016; mit: Robert + Edward Mapplethorpe, Debbie Harry, Fran Lebowitz, Brice Marden
Aus der Provinz nach New York
Er wuchs wohlbehütet in einer katholischen Familie auf, die sonntags in die Kirche ging und nur wenig Bezug zur Kunst hatte. Dennoch ließen die Eltern ihren eigenbrötlerischen Jungen zeichnen und malen. Schließlich durfte er Ende der 1960er Jahre mit einem Stipendium das renommierte „Pratt Institute“ in New York gehen. Dort lernte er die damals noch unbekannte Sängerin und Lyrikerin Patti Smith kennen, mit der er sieben Jahre lang zusammen war.
Offizieller Filmtrailer
Collagen aus Pornoheften
Sie wohnten wie viele andere Künstler, von Jimi Hendrix bis Janis Joplin, im Chelsea Hotel. Dort begann er, mit Polaroids zu experimentieren und Collagen aus Pornoheften zu erstellen. Hier fand er seinen künstlerischen Ausdruck in der Fotografie, die damals noch keine anerkannte Kunstform war. Patti Smith unterstützte ihren Freund, auch nach ihrer Trennung und seinem coming out als Homosexueller.
Mapplethorpe war ein Genießer und Getriebener zugleich. Er suchte in der Kunst nach der perfekten Schönheit, aber auch nach der Wahrheit im künstlerischen Ausdruck. Neben seinen berühmten Blumen-Stillleben und Prominenten-Porträts waren das vor allem Fotos von Menschen, die jenseits der Norm lebten und – wie Mapplethorpe selbst – ausgefallene sexuelle Obsessionen hatten. Seine Modelle fand er in Schwulen-Bars oder auf der Straße.
Der lang ersehnte Ruhm
Bei aller Vorliebe für Zwielichtiges fand sich der Künstler aber schon bald in der New Yorker high society wieder. 1972 lernte er seinen neuen Liebhaber kennen, den wohlhabenden Kunstsammler Sam Wagstaff; er verhalf Mapplethorpe zu seiner ersten großen Ausstellung.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Dokumentarfilms "Blank City" über die Kunst- + Musik-Szene in New York um 1980 mit u.a. Debbie Harry von Céline Danhier
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Richard Avedon – Wandbilder und Porträts" – Retrospektive des New Yorker Fotografen (1923-2004) im Museum Brandhorst, München
und hier eine Rezension der Ausstellung "Keith Haring – Gegen den Strich" – große Retrospektive des homosexuellen Graffiti-Künstlers (1958-1990) in der Hypo-Kunsthalle, München
und hier einen Beitrag über den Film "I killed my dinner with karate" – körperbetonte Tanz-Fotografie von Franziska Strauss in der Neuen Sächsischen Galerie, Chemnitz.
Für ihren weitgehend chronologischen Dokumentarfilm haben die Regisseure viele ehemalige Freunde, Fotomodelle und Bewunderer vor die Kamera geholt. Die einzige, die seltsamerweise nicht erscheint, ist Patti Smith – obwohl sie mit „Just Kids“ 2010 ein detailreich autobiographisches Buch über ihre Zeit mit dem Fotografen veröffentlicht hat.
Kontraste bei Penis-Fotos
Eine gewisse Komik verströmen die Szenen mit den Kuratoren der Werkschauen, die 2016 in New York und Los Angeles stattfanden. Sie stehen vor Mapplethorpes drei berühmten Foto-Boxen – je eine mit Männerporträts, mit Blumen und mit schwarzen Männerkörpern – und sprechen dabei auf distinguierte Weise über Sichtachsen und Kontraste bei Fotos von Penissen.
Am interessantesten sind ein entwaffnend ehrliches Ton-Interview mit Mapplethorpe, das quasi durch den Film führt, sowie Aussagen seines jüngeren Bruders Edward. Er wurde auch Profi-Fotograf, beherrschte aber im Gegensatz zu seinem berühmten Bruder sein Handwerk. Dagegen konnte Robert nicht einmal einen Film selbst entwickeln; um die Perfektion zu inszenieren, die ihm vorschwebte, musste er Assistenten engagieren.
Solche Original-Aufnahmen lassen den Künstler, der am 1989 an Aids starb, für kurze Zeit lebendig werden. Was dem Film fehlt, ist eine eindeutige Position; ob man das Werk des Exzentrikers skandalös oder künstlerisch wertvoll findet, muss jeder selbst entscheiden. Das geht am besten, wie Senator Jesse Helms zu Beginn des Films betont: durch Betrachten der Bilder.