Mads Mikkelsen

Helden der Wahrscheinlichkeit

Wenn der Patriarch zulangt: Markus (Mads Mikkelsen) und seine Tocher Mathilde (Andrea Heick Gadeberg). Foto: 2020 Zentropa
(Kinostart: 23.9.) Durch Stochastik Vergeltung üben: Mit Hilfe von Mathe-Freaks will sich ein Soldaten-Witwer an Rockern rächen. Wie sich der Männerbund um Mads Mikkelsen verkalkuliert, zeigt Regisseur Anders Thomas Jensen als schwarzhumorige Screwball-Komödie.

Was wäre, wenn: Den nicht gerade vom Glück verfolgten Mathematiker Otto (Nikolaj Lie Kaas) treibt die Schuldfrage um. Hätte er neulich im Zug nicht seinen Platz einer Frau angeboten, wäre sie nicht bei einer Waggon-Explosion gestorben. Dann wäre ihre Teenagertochter Mathilde (Andrea Heick Gadeberg) nun keine Halbwaise. Damit kann Otto nicht leben. Also beginnt er gemeinsam mit seinem soziopathischen Kollegen Lennart (Lars Brygmann) und dem Hacker-Nerd Emmenthaler (Nicolas Bro) zu rechnen. So wollen sie den wahren Ursachen der Geschehnisse auf die Schliche kommen – und ihnen einen tieferen Sinn verleihen.

 

Info

 

Helden der Wahrscheinlichkeit

 

Regie: Anders Thomas Jensen,

116 Min., Dänemark, Schweden, Finnland 2020;

mit: Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas, Andrea Heick Gadeberg

 

Weitere Informationen zum Film

 

Das ist ihre Art, in einer Welt die Kontrolle zu behalten, in der sie sonst wenig erfolgreich sind. Mit Hilfe von Gesichtserkennungs-Programmen und Kombinatorik werden sie umgehend fündig. Bei der Explosion im Zug kann es sich nicht, wie die Medien behaupten, um ein Unglück gehandelt haben. Mathildes Mutter wurde wahrscheinlich zum Opfer eines Anschlags, den die Rocker der „Riders of Justice“ auf ein Ex-Mitglied verübt haben, das als Kronzeuge gegen die Gang aussagen wollte.

 

Beherzter Privatkrieg

 

Die Polizei ist an der Beweisführung des Trios nicht interessiert – um so mehr aber Mathildes Vater Markus (Mads Mikkelsen). Der Soldat wurde nach dem Tod seiner Frau von einem Auslandseinsatz heimgeholt; er ist sofort bereit, den traurigen Helden der Wahrscheinlichkeit zu glauben. Tochter Mathilde hofft, er würde mit ihr um die Mutter trauern und seinen Schmerz verarbeiten, um irgendwann wieder ein geregeltes Leben führen zu können – doch er ist entschlossen, seine zerstörte Welt durch einen Privatkrieg mit den Rockern wieder ins Lot bringen. Sein beherzter Zugriff führt schnell zu zahlreichen Toten. Die drei Statistiker und Welterklärer sehen sich vor moralische Entscheidungen gestellt, von denen sie sich vorher nicht hätten träumen lassen.

Offizieller Filmtrailer


 

Zuschlagen statt trauern

 

Fragen nach Ursache und Wirkung, Schicksal und Verantwortung zählen zu den großen Themen, die sich das Kino regelmäßig vornimmt; etwa in „Lola rennt“ (1998) von Tom Tykwer oder „Babel“ (2006) von Alejandro González Iñárritus. Der dänische Regisseur Anders Thomas Jensen, der 2005 mit „Adams Äpfel“ europaweit bekannt wurde, bietet da keine neuen Erkenntnisse. Aber darum geht es auch nicht. „Helden der Wahrscheinlichkeit“ ist ein Unterhaltungsfilm – und funktioniert als solcher wie eine gut geölte Maschine. Das Timing stimmt, skurrile Charaktere und gegensätzliche Denkweisen prallen aufeinander. Aus jeder dieser Begegnungen schlagen Funken, die den Gang der Handlung weiter vorantreiben und beschleunigen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der Rausch" - schwarzhumorige dänische Komödie von Thomas Vinterberg mit Mads Mikkelsen

 

und hier ein Beitrag über den Film "Men & Chicken" - schwarzhumorige Komödie aus Dänemark von Anders Thomas Jensen

 

und hier eine Besprechung des Films “The Salvation – Spur der Vergeltung” – stilechter Neo-Western von Kristian Levring mit Mads Mikkelsen

 

Nach seiner tänzerisch-trunkenen, Oscar-prämierten Performance in „Der Rausch“ ist Mads Mikkelsen hier als in sich vergrabener Vollbartträger zu sehen, der lieber ein paar vermeintlich Schuldigen das Genick oder wenigstens die Nase bricht, als sich eigenen Schwächen zu stellen. Gezeichnet von Trauer und Verlust, droht er dauernd gewalttätig zu werden. Seine Tochter ist für ihn ein völlig unverständliches Wesen – trotz tiefer Vatergefühle. So führt jeder Schritt von ihm in ihre Richtung zwangsläufig zu neuen Konflikten zwischen dem in seiner Verhärtung gefangenen Patriarchen und Mathilde, die sich nach Verständnis sehnt.

 

Düsteres Drama und Screwball-Komödie

 

Ihr Haushalt im abgelegenen Einfamilienhaus wächst derweil um immer neue Mitglieder an. Für den Rachefeldzug müssen zunächst Otto und seine Gefolgschaft untergebracht werden. Im Wald werden sie an scharfen Waffen ausgebildet, in der Scheune errichten sie ihr Operationszentrum; für Mathilde fungieren sie als Trauer-Therapeuten. Alle kochen und essen gemeinsam; Psychologiestunden und militärische Lagebesprechungen wechseln einander ab. Bald gehören auch der aus den Händen der Rocker befreite Sex-Sklave Bodashka (Gustav Lindh) und Mathildes Freund – vom Vater beargwöhnt – zur Hausgemeinschaft, die trotz aller Gegensätze doch allmählich zusammenwächst.

 

In düstere Bilder verpackte Spannung und Situationskomik in bester Screwball-Tradition halten einander die Waage. Dabei treibt Regisseur Jensen die Konflikte und Unzulänglichkeiten seiner Charaktere mit sichtlichem Genuss am wachsenden Chaos in Richtung Showdown und Finale. Mit seinem hochkarätigen Ensemble gelingt ihm ein Feel-Good-Movie, dessen Bodycount dem eines James Bond-Films ähnelt: eine schwarze Komödie, die sich mit ihren Zweifeln und Zynismen auf der Höhe der Zeit bewegt.