Es gibt Ärger im Paradies – und nicht zu knapp. Das glühende Abendrot über der Insel deutet es an, noch bevor der Film kaum mehr als seinen Titel verraten hat: Wenig später heißt es, ein U-Boot sei vor der Küste gesichtet worden. Und die Marinesoldaten unter der Führung eines rätselhaften Admirals (Marc Susini), die plötzlich im örtlichen Nachtclub von Tahiti auftauchen, bestärken das Gerücht: Frankreich soll in der Gegend neue Atomversuche planen. Zwischen 1966 und 1996 führte die französische Armee in Französisch-Polynesien knapp 200 solcher Tests durch.
Info
Pacifiction
Regie: Albert Serra,
163 Min., Frankreich/ Spanien/ Deutschland/ Portugal 2022;
mit: Benoît Magimel, Pahoa Mahagafanau, Marc Susini, Matahi Pambrun
Weitere Informationen zum Film
Smalltalk im Night Club
Mal muss er den örtlichen Gemeindevorsteher beschwichtigen, um den Weg für ein neues Luxus-Casino zu ebnen; mal eine bekannte französische Schriftstellerin offiziell auf der Insel begrüßen. Dazwischen dreht er routiniert seine Runden am Strand und quer durchs Land, beginnt ein bisschen Detektiv zu spielen und führt immer wieder Smalltalk mit den Gästen und Tänzerinnen des ominösen Nachtclubs «Paradise Night», den sein Freund und Landsmann Morton (Sergi Lopez) betreibt.
Offizieller Filmtrailer OmU
Exotisch, künstlich und unglaubwürdig
„Pacifiction“ lässt die fast dreistündige Spielzeit langsam ablaufen – mit der schwülen Atmosphäre aus Verschwörung, Verrat und Intrigen, wie man sie aus Klassikern des Thriller-Genres kennt. Doch Serra vermeidet jeden Ansatz einer tiefgründigen Handlung oder auch nur den geringsten Einsatz von Action in seinem Film. Jedes Gespräch, dass De Roller führt, läuft ins Leere. Seine Ermittlungen führen zu nichts. Selbst sein nagelneuer weißer Dienstwagen bleibt heil – ein James Bond 2.0 ist Serras Mann ganz sicher nicht.
Vielmehr scheint der katalanische Regisseur seine flüchtigen narrativen Ansätze als Mittel zu nutzen, die politischen und gesellschaftlichen Spannungen in den postkolonialen Südsee-Paradiesen insgesamt zu erkunden: Ihn interessiert das große Ganze. „Der Film ist reine Fantasie“, erklärt Serra im Interview: „Er berührt das Politische, das Zeitgenössische, das Menschliche und die zwischenmenschlichen Beziehungen, aber am Ende gefällt mir die Vorstellung, dass es exotisch, künstlich und unglaubwürdig ist.“
Drifter zwischen den Tropen und Europa
Das in der Gegenwart angesiedelte Setting bedeutet für Serra eine Abkehr von der Vergangenheit. In den letzten Jahren hatte er sich vor allem mit einer Reihe ausschweifender Historienfilme auf der Leinwand hervorgetan: 2016 mit „Der Tod von Ludwig XIV.“ über den französischen Sonnenkönig und 2019 mit dem im 18. Jahrhundert spielenden Sittengemälde „Liberté“. Doch in seiner Verschmelzung von Sinnlichkeit, Körperlichkeit und tagträumerischem Surrealismus steht auch „Pacifiction“ voll und ganz im Einklang mit seinem bisherigen Werk.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der Tod von Ludwig XIV." - Charakterstudie des französischen Sonnenkönigs mit Jean-Pierre Léaud von Albert Serra
und hier eine Besprechung des Films "Gauguin" - Biopic über den Maler, der durch zwei Tahiti-Reisen zum Klassiker der Moderne wurde, von Édouard Deluc
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Tanz der Ahnen - Kunst vom Sepik in Papua-Neuguinea" - grandiose Überblicks-Schau über polynesische Kunst in Berlin, Zürich + Paris.
Schweben und die Kraft, sich treiben zu lassen
Die hypnotische Stimmung, die die Atmosphäre in Serras seltsamer, ungreifbarer Charakterstudie prägt, ist jedoch sein größter Cup. Unsicherheit und Paranoia verbreiten sich zunehmend und das Grauen zieht wie ein unsichtbarer Nebel über das Land – im Kontrast lebt „Pacifiction“ von den großartig komponierten Szenen und Landschaftsbildern, die sein langjähriger Kameramann Artur Tort mit wachsamen Augen fürs Detail einfängt.
Eine der atemberaubendsten Einstellungen zeigt, wie ein paar Boote eine Gruppe von Surfern weit weg von der Küste aufs Meer hinaus bringen, wo die schwindelerregend hohe Brandung alles Menschliche mit unberechenbarer Naturgewalt anhebt und trägt – und vielleicht zeigt sich in dieser Szene auch am ehesten, was „Pacifiction“ ist: ein Film über das Schweben und die Kraft, sich treiben zu lassen.