Laura Citarella

Trenque Lauquen

Laura (Laura Paredes), eine junge Biologin aus Buenos Aires, kommt für einen Forschungsauftrag in die Provinzstadt Trenque Lauquen. Foto: Grandfilm
(Kinostart: 1.6.) Twin Peaks in Argentinien: Regisseurin Laura Citarella setzt ihren Vier-Stunden-Film aus zahlreichen Perspektiven und Stimmungen zusammen. Dabei fördert das Rätsel um eine verschwundene Biologin und einen erotischen Briefwechsel mehr Fragen als Antworten zutage – was erstaunlich gut passt.

In der argentinischen Kleinstadt Trenque Lauquen verschwindet eine Frau, die angehende Biologin Laura (Laura Paredes). Zwei Männer, ihr aus Buenos Aires angereister Lebensgefährte Rafael (Rafael Spregelburd) und ihr lokaler Kollege Ezequiel (Ezequiel Pierri), machen sich auf die Suche nach ihr. Doch bald schon geht es dem Film weniger darum, Lauras Verschwinden aufzuklären oder auch nur die Suche den Kino-Konventionen gemäß in Richtung eines Höhepunkts zu treiben. Auch eine Annäherung der beiden so verschiedenartigen Männer, durch die sich eine Art Buddy-Movie entwickeln könnte, wird nach anfänglichen Andeutungen nicht weiterverfolgt. Stattdessen inszeniert Regisseurin Laura Citarella ihren dritten Spielfilm als Vervielfachung des Ausgangsrätsels.

 

Info

 

Trenque Lauquen

 

Regie: El Pampero Cine,

Teil 1: 128 Min./Teil 2: 132 Min., Argentinien/Deutschland 2022;

mit: Laura Paredes, Ezequiel Pierri, Rafael Spregelburd, Elisa Carricajo

 

Weitere Informationen zum Film

 

Damit führt sie eine Tradition früherer Werke des argentinischen Filmemacher-Kollektivs „El Pampero Cine“ fort, dem sie angehört. Doch während der von ihr als ausführender Produzentin betreute Vorgänger „La Flor“ (2019) noch eine Lauflänge von mehr als 13 Stunden beanspruchte und sich unter anderem an literarischen Vorbildern wie Jorge Luis Borges oder Roberto Bolaño orientierte, wirkt „Trenque Lauquen“ nun geradezu auf den Punkt erzählt. In zwei Teilen weist er aber immer noch eine Gesamtlaufzeit von etwas über vier Stunden auf.

 

Porno-Korrespondenz in Bibliothek

 

Schon durch die Benennung nach einem fiktiven Örtchen in der Provinz verweist der Film nicht von ungefähr auf die wegweisende Serie „Twin Peaks“ (1990/91 und 2017). Mit ihr schuf David Lynch eine vorher nicht gesehene Art von Genre-Mix, in dem er Motive aus Kriminalfilm, Fantasy, Horror und Seifenoper miteinander verband. Vom Publikum forderte er durch den ständig wechselnden Tonfall Aufmerksamkeit und Interesse, die über das fernsehübliche Maß hinausgingen.

Offizieller Filmtrailer


 

Auch der Fall der verschwundenen Biologin Laura enthält Anleihen aus ganz unterschiedlichen Themenwelten. Beginnt „Trenque Lauquen“ als naturalistisch erzählter Thriller, entwickelt er sich bald zu einer auf zwei Zeitebenen spielenden Nachverfolgung einer verbotenen Liebe. Die Rückblende erzählt, wie Laura vor ihrem Verschwinden in Büchern aus der öffentlichen Bibliothek einen versteckten, erotischen bis pornografischen Briefwechsel findet. Zusammen mit Ezequiel, der sie bis dahin als eine Art städtischer Chauffeur an ihre Arbeitsorte gefahren hat, begibt sie sich auf die Suche nach den Beteiligten. Und schnell nimmt ihr Unternehmen obsessive Züge an. Ezequiel steckt sich sozusagen an der gemeinsam beobachteten Liebe an und überträgt sie auf Laura.

 

Reigen der Perspektiven

 

Jedes der zwölf Kapitel, in die der Film unterteilt ist, wird ganz aus der Sicht seiner jeweiligen, immer wieder wechselnden Hauptfigur erzählt. So ergibt sich ein vielstimmiger Reigen von Perspektiven auf das rustikale Kleinstadtleben in der argentinischen Provinz. Je nachdem, wessen Geschichte man gerade folgt, variiert die Stimmung der Erzählung. Mal ist sie eher distanziert-ironisch, dann wieder sehnsuchtsvoll, mysteriös, bedrohlich oder spannungsgeladen. Dabei verliert der Film insgesamt aber nie an Plausibilität oder Drive, wie es bei „La Flor“ noch bemängelt wurde. Und das, obwohl in der zweiten Hälfte, als man sich schon nah an der Auflösung wähnt, noch einmal neue Figuren, Liebesverhältnisse und fantastische Geheimnisse eingeführt werden.

 

Hintergrund

 

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Dass das Konzept aufgeht, ohne das Publikum dabei ratlos zurückzulassen, verdankt es vor allem der filmischen Raffinesse und der Liebe der Filmemacher zum Fabulieren. Sehr geschickt nutzen sie hierfür im ersten Teil die gefundenen Briefe zur Strukturierung der angehäuften Inhalte. Im zweiten Teil ist es Lauras Stimme aus dem Off, die für einen Radiosender Erklärungen zu ihrem Verschwinden aufgenommen hat, die die verschiedenen Themen zusammenhält – und auch weitere hinzufügt.

 

Die Suche ist die Geschichte

 

Auch die Filmmusik, die kurze, prägnante Themen immer wieder anders arrangiert und in neuen Variationen aufgreift, unterstützt geschickt die Verbindungen zwischen den einzelnen Sequenzen. Denn während sich mit jedem Kapitel neue Motivationen der handelnden Charaktere entfalten, so dass sie sich mit zentrifugaler Kraft weiter voneinander zu entfernen scheinen, kreisen ihre Wünsche und Sehnsüchte doch um ganz ähnliche, allzu menschliche Grundbedürfnisse: Nähe, Erkenntnis, Kontrolle, und das Gefühl anzukommen.

 

So entfaltet sich das Rätsel in „Trenque Lauquen“ nicht in Richtung einer ohnehin kaum vorstellbaren Lösung, sondern bildet beständig neue Verästelungen aus. Ohne Gefahr zu laufen, ins Rührselige oder Nostalgische abzugleiten, beobachtet der Film so aus nächster Nähe und häufig in notwendiger Echtzeit, wie eine Reihe von Personen zwar wenige Antworten finden. Doch stattdessen erzählen sie einander auf die eine oder andere Art Geschichten über das Suchen. Daraus entsteht ein Sog, in dem man sich selbst nur zu gern verliert.