„Weh au Weh“ heißt das Ständchen, das Erich „Rickerl“ Bohacek (Voodoo Jürgens) seinen Kollegen spontan nach der Arbeit bringt. Er singt im Lagerraum des Friedhofs, auf dem er als Totengräber jobbt, zwischen Gießkannen und Sitzecken fürs Pausenbrot. Die professionelle Friedhofskapelle, die eigentlich zu einer Beerdigung müsste, stimmt ein in das Lied, das von der Frage handelt, von wem wohl man selbst irgendwann zu Grabe getragen wird. Bald ist der ganze Kollegenkreis am Schunkeln – und Rickerl in seinem Element.
Info
Rickerl – Musik is höchstens a Hobby
Regie: Adrian Goiginger,
104 Min., Deutschland/ Österreich 2023;
mit: Voodoo Jürgens, Ben Winkler, Agnes Hausmann
Weitere Informationen zum Film
Aus gutem Grund mit Untertitel
Die Slapstick-Szene zum Einstieg fasst zusammen, worum es in dem charmanten Film von Regisseur Adrian Goiginger geht: Zum einen ist er eine Milieustudie, angereichert mit einer Portion Wahnsinn und anarchischem Humor. Aus gutem Grund ist er durchgängig mit Untertiteln versehen. Zum anderen steckt in dem Film ein semi-biographisches Porträt des Austropop-Stars Voodoo Jürgens, vom dem auch die dargebotenen Songs stammen.
Offizieller Filmtrailer
Die Tradition des Wienerlieds
In einem Punkt unterscheidet sich Voodoo Jürgens’ Geschichte jedoch von der Filmfigur. Rickerl sabotiert nämlich konsequent jede Chance, die sich ihm bietet – bis der Enddreißiger aus Angst, seinen Sohn zu verlieren, das Ruder doch noch ein bisschen herum reißt. Voodoo Jürgens dagegen ist in seiner Heimat überaus erfolgreich. Schon sein Debüt „Ansa Woar“ (2016) brachte ihn an die Spitze der Charts.
Das ist durchaus bemerkenswert, denn seine melancholischen Sozialskizzen sind eigentlich kein Mainstream-Material. Sie stehen in der Tradition des sogenannten „Wienerlieds“ – gefühliger, oft schwarzhumoriger Stücke, die zwischen dem späten 19. Jahrhundert und den 1930er Jahren in so genannten Singspielhallen in Mundart dargeboten wurden.
Vaterschaft als Motivation
Anders als seine Saufkumpane hat Rickerl Ambitionen. Doch es mangelt ihm an Selbstbewusstsein. Er glaubt einfach nicht an sich. Zumindest in diesem Punkt ist er sich einig mit seinem alkohol- und spielsüchtigen Vater, von dem er bei jeder sich bietenden Gelegenheit heruntergeputzt wird. Besonders selbstreflektiert wirkt Rickerl zwar nicht, doch diese toxischen Muster will er auf keinen Fall an die nächste Generation weitergeben.
Sein sechsjähriger Sohn Dominik (Ben Winkler) ist Rickerls einzige Motivation, sich überhaupt anzustrengen. Doch auch das klappt nicht so ganz: Seiner Ex-Freundin, Dominiks Mutter Viki (Agnes Hausmann), bleibt er immer wieder Alimente schuldig. Nicht einmal den vom Sohn ersehnten Kinobesuch kann Rickerl sich leisten. Und darüber hinaus kann er es einfach nicht lassen, immer wieder über Vikis neuen Freund, den „g’stopften Piepke“ – den schnöseligen Deutschen – herzuziehen.
Fernab der Selbstoptimierung
Die Geschichte ist also eher trivial: Die unbändige Liebe zu seinem Kind lässt einen überforderten Vater über sich hinauswachsen. Dementsprechend vorhersehbar ist auch die Handlung, die Regisseur Goiginger, der auch das Drehbuch schrieb, um sein Künstlerporträt gestrickt hat. Der Filmemacher hat schon in früheren Filmen ein Händchen für Anti-Helden und prekäre Lebenswelten bewiesen. In seinem autobiographischen Debüt „Die beste aller Welten“ (2017) ging es zum Beispiel um eine heroinsüchtige Mutter und ihren Sohn.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Märzengrund" über ein Leben in selbstgewählter Isolation auf der Alm von Adrian Goiginger
und hier eine Besprechung des Films "Inside Llewyn Davis" – anrührende Tragikomödie über einen erfolglosen Folk-Musiker von Joël + Ethan Cohen
und hier einen Bericht über den Film "Shut Up And Play The Piano" – Doku über den Multiinstrumentalisten + Entertainer Chilly Gonzales von Philipp Jedicke
und hier einen Beitrag über den Film "Sound of Noise – Die Musik-Terroristen" – amüsant absurde Musik-Groteske von Ola Simonsson + Johannes Stjärne Nilsson.
Denkmal fürs Milieu
Dass Klischees arg dick aufgetragen werden – so gleichen die Rauchschwaden in den Beisln eher Nebelbänken – und die Sozialromantik bisweilen in Sentimentale kippt, wird durch einen herben, bisweilen fiesen Wiener Humor ausbalanciert. Diese Extraportion Melancholie ergibt Sinn, da der Film hier einem Milieu ein Denkmal setzt, das zu verschwinden droht.
Dabei hat gerade in Wien die Gentrifizierung längst nicht so viel vom Alten weggewischt hat wie in anderen europäischen Großstädten. Auch dafür, dass Alteingesessene ihre Lebenswelt nicht mehr wiedererkennen, hat Jürgens bzw. Rickerl im Film übrigens das passende Lied in petto: „Ollas nimma deins“.