Adrian Goiginger

Märzengrund

Elias (Johannes Krisch) neben seiner Berghütte. Foto: © 2022 PROKINO Filmverleih GmbH / Metafilm
(Kino-Start: 25.8.) Flucht nach oben: Um seinem haustyrannischen Vater zu entfliehen, zieht sich ein Bauernsohn ins Hochgebirge zurück – wo er sein Leben lang bleibt. Das Alpendrama von Felix Mitterer verfilmt Regisseur Adrian Goiginger mit grandiosen Natur-Aufnahmen, aber zu vielen Zeitsprüngen.

Immer wieder schließt der Film kurz seine Augen. Wie der Eigenbrötler Elias Pircher, Sohn des reichsten Großbauern im Tiroler Zillertal – und Aussteiger. Immer wieder wird die Leinwand schwarz, weil er Grenzerfahrungen macht, die ihm und seinem schmächtigen Körper zu viel abverlangen. Dann braucht es eine Blende oder einen harten Schnitt, bis die Geschichte weitergehen kann.

 

Info

 

Märzengrund

 

Regie: Adrian Goiginger,

110 Min., Österreich/ Deutschland 2021;

mit: Johannes Krisch, Jakob Mader, Verena Altenberger

 

Website zum Film

 

Regisseur Adrian Goiginger setzt dann jeweils an anderer Stelle wieder ein; er springt vierzig Jahre voraus auf der Zeitachse oder geht in die Vergangenheit zurück. Zu Beginn des Films wird der alte Elias (Johannes Krisch) mit einem Helikopter in ein Krankenhaus eingeliefert, weil er einen Tumor im Unterleib hat. Doch der Sturkopf wehrt sich; er will zurück in seine Hütte, hoch oben in den Bergen am Märzengrund. Als er hört, wie lange er in der Klinik wird bleiben müssen, reißt er sich sämtliche Schläuche vom Leib.

 

Hoferbe flieht in Trübsinn

 

Seit seiner Jugend in den späten 1960er Jahren fühlt sich Elias (gespielt von Jakob Mader) fremd in der bäuerlichen Gemeinschaft, in der er aufwächst. Er soll einmal den Hof des Vaters (Harald Windisch) übernehmen; daran führt kein Weg vorbei. Doch anstatt den Erwartungen seiner verhärteten Eltern nachzugehen, widersetzt er sich, indem er in tiefen Trübsinn verfällt.

Offizieller Filmtrailer


 

Geschiedene ist nicht heiratsfähig

 

„Ich fühle mich wie ein Fremder in der Welt“, hat er kurz zuvor seiner großen Liebe Moid (Verena Altenberger) gestanden; sie denkt ähnlich wie er. Beide verbindet ihre Leidenschaft für die Literatur. Sie wollen heiraten, doch daraus wird nichts, weil sie bereits geschieden ist und damit für den angesehenen Jungbauern nicht infrage kommt.

 

Um Elias zu kurieren, schickt sein Vater ihn in die eisige Einsamkeit der winterlichen Bergwelt; dort soll er die Alm fürs Frühjahr herrichten und lernen, hart zu arbeiten. Womit keiner rechnet: Was er zunächst als Strafe empfindet, wird ihm bald zur Erfüllung. Am Ende des Sommers will Elias seine neue Heimat nicht mehr verlassen – und zieht lieber noch ein Stück weiter die Berghänge hinauf.

 

Desorientierung in erhabener Natur

 

Goigingers zweiter Film „Märzengrund“, der auf dem gleichnamigen Theaterstück von Felix Mitterer beruht, bewegt sich ständig zwischen verschiedenen Zeitebenen. Gelegentlich fragt sich der Zuschauer, wie die Bühnenfassung eine ähnliche Intensität erreichen kann, ohne diese grandiosen Panorama-Aufnahmen. In gestochen scharfe Bilder voller Licht und Schönheit, Weite und Himmel ist die verschachtelte Handlung eingebettet.

 

So schaut man Elias gebannt zu, wie er sich in der Isolation einrichtet, die Landschaft durchstreift oder mit ihr kämpft. Einmal bricht sogar eine Lawine über seine einfache Hütte herein, die er gerade erst mühsam aus Holz und Moos errichtet hat. Allerdings verheddert sich der Regisseur zusehends in der komplexen Konstruktion seines Heimatdramas. Beim Zuschauer stellt sich Desorientierung ein, die durchaus zum Eindruck beiträgt, der erhabenen und unwirtlichen Natur ausgesetzt zu sein. Aber ein paar Zeitsprünge weniger hätten dem Film gut getan.

 

Einsicht am Ende befriedigt nicht

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Ein verborgenes Leben" - brillanter Historienfilm über österreichischen Bergbauern, der NS-Kriegsdienst verweigert, von Terrence Malick mit August Diehl

 

und hier eine Rezension des Films "A Gschicht über d’Lieb" - gelungen kitschfreier Heimatfilm über die Inzest-Beziehung zweier Bauernkinder von Peter Evers

 

und hier einen Bericht über den Film "Das finstere Tal" – perfekter Western in den Südtiroler Alpen von Andreas Prochaska

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Alpenglühen: Die Berglandschaft als Sehnsuchtsort" in der Malerei des 19. Jh. im Schlossmuseum Murnau.

 

Dabei greift der Film große Fragen auf: Wie wollen wir leben? Wofür leben wir? Was bedeutet Freiheit? Wo und wie findet man das Glück? Dass Regisseur Goiginger es jedoch nicht dem Publikum überlässt, eigene Antworten zu finden, ist ein weiteres Manko. So gelangt der alte Elias schließlich zu einer Einsicht, die nach allem, was man zuvor gehört und gesehen hat, unbefriedigend klingt. Als sei die ganze Mühsal und Plage, mit denen er rebelliert hat, am Ende den Preis nicht wert gewesen.

 

Unten im Tal, ans Krankenbett in der Klinik gefesselt wird er nicht nur mit seiner Angst vor der Gesellschaft konfrontiert, sondern auch mit denen, die er zurückgelassen hat: Der eigenen Familie entkommt man nicht. Aber auch zwischendurch wird immer wieder deutlich, dass Goiginger lieber von menschlicher Interaktion erzählt, die Elias so verachtet, als von Freud und Leid in totaler Abgeschiedenheit.

 

Oben wird die Luft dünn

 

Der reale Einsiedler, auf dessen Leben die Geschichte beruht, soll an Depressionen und Schizophrenie gelitten haben. Beides wird hier nur zart angedeutet. Stattdessen breiten Drehbuch und Regisseur ein Drama voller konservativ-katholischen Moralvorstellungen aus, die auch noch so viele atemberaubende Bergbilder nicht überdecken können. So wie die Luft in Gipfelregionen irgendwann dünn wird, je höher man steigt, geht auch diesem Film allmählich die Puste aus.