Mia Wasikowska

Club Zero

Aus Willens- wird Glaubenskraft: Der Club Zero ist Realität geworden. Foto: © Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 28.3.) Essensverweigerung als Weg zur Erleuchtung: Regisseurin Jessica Hausner inszeniert eine beißende Satire um eine Lehrerin, die ihren Schülern obskure Ansichten zur Ernährung eintrichtert. Ihre präzis durchkomponierte und inhaltlich brillante Gesellschaftsanalyse zeigt Mut zur Ambivalenz.

Die neue Lehrerin Frau Novak (Mia Wasikowska) spricht stets mit sanfter Stimme. „Bewusstes Essen“ heißt ihr Kursangebot, das anfangs sieben Schülerinnen und Schüler einer privaten Eliteschule im Stuhlkreis zusammenführt. Sie haben ganz unterschiedliche Motive zur Kursteilnahme, von Weltrettungsambitionen über Selbstoptimierung bis zu Pragmatismus, weil man eben noch Punkte in diesem Segment benötigt.

 

Info

 

Club Zero

 

Regie: Jessica Hausner,

110 Min., Österreich/ Großbritannien/ Deutschland 2023;

mit: Mia Wasikowska, Sidse Babett Knudsen, Amir El-Masry

 

Weitere Informationen zum Film

 

Es beginnt auch alles ganz harmlos: Es gilt, kleinere Happen zu essen, bewusster zu kauen und so die Selbstreinigungskräfte der Zellen zu befördern. Nebenbei hat die äußerlich unscheinbare Frau Novak ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer Schützlinge; etwa für den sensiblen Fred (Luke Barker), den seine Eltern ins Internat abgeschoben haben, um selbst ein Entwicklungshilfeprojekt in Ghana zu betreiben.

 

Eine biedere Fanatikerin

 

Für jede und jeden findet Frau Novak stets die richtigen Worte voller Ermutigung und Zuwendung. Dabei ist sie kaum charismatisch und in ihren langen Röcken und zurückhaltenden Blusen eher eine biedere Erscheinung. Ihr Gesicht ist eine einzige freundliche Leere. Mia Wasikowska spielt sie ganz zurückgenommen und lässt ihre Manipulationen unterschwellig wirken. Denn trotz der äußeren Sanftheit brennt das Feuer des Fanatismus in ihr.

Offizieller Filmtrailer


 

Ohne Essen zum besseren Menschen

 

Sie glaubt glühend an das, was sie vermittelt, und genau das macht sie so gefährlich. Geht es anfangs noch um die Reduktion der Nahrungsaufnahme, gilt es bald darum, dem exklusiven „Club Zero“ beizutreten. Nur die wahrhaft Auserwählten schaffen es ganz ohne Nahrung. Regisseurin Jessica Hausner legt anschaulich die Funktionsweise einer Sekte offen, denn um nichts anderes handelt es sich hier im Kern.

 

Frau Novak appelliert sehr geschickt an die Radikalität der Jugend, ihren Drang zur Veränderung und ihren Ekel über die Bigotterie ihrer eigenen Elternhäuser. Konsumverzicht ist der letzte Schrei in der Welt der jungen Bessergestellten. In ihren durchgestylten Designerdomizilen gehören Essstörungen fast schon zum guten Ton.

 

Verführung wie im Märchen

 

„There is more in us, we reach out to the stars“, singen die Kinder in der Schulaula. („Da steckt mehr in uns, wir greifen nach den Sternen“). Das gibt einen Eindruck davon, was die Eltern von der Eliteschule erwarten. Sie wollen offensichtlich das Beste für ihre Kinder, gleichzeitig sind die Familienbeziehungen allesamt von einer gewissen Distanz geprägt.

 

Aber der Film verurteilt nicht einseitig die Gefühlskälte und Scheinheiligkeit der oberen Schichten. So einfach macht es sich Regisseurin Jessica Hausner nicht. Denn auch wahre elterliche Liebe und Bodenständigkeit retten nicht vor den Verführungen durch Frau Novaks Psycho-Sprech. Im Grunde sind ihre Worthülsen mit gesundem Menschenverstand leicht zu entlarven. Doch es ist wie im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“: Die Menschen sehen, was sie sehen wollen.  

 

Triumph über die Biologie

 

Nur eine Mutter lässt sich nichts vormachen, aber gegen das übergroße Bedürfnis ihres Sohnes nach Zugehörigkeit zu Gleichgesinnten und die verhängnisvolle Gruppendynamik kann auch sie nichts ausrichten. Die furchtbare Ohnmacht der Eltern angesichts des ihnen entgleitenden Nachwuchses wird spürbar; die eigenen Kinder zu verlieren, ist wohl die tiefste Furcht der meisten Eltern.

 

Übrigens sind die jugendlichen Darsteller und Darstellerinnen durch die Bank weg sehr gut gecastet. Sie verkörpern die Verletzlichkeit und den Hochmut dieses Alters exzellent. Man glaubt ihnen, dass sie auf jeden Fall alles besser machen wollen als die Vorgängergeneration. Und der Weg dorthin führt fortan über das Essen, beziehungsweise dessen Vermeidung. Der Triumph des eigenen Willens über die Niederungen der Biologie beflügelt die jungen Menschen.

 

Filme als Versuchsanordnungen

 

Nichts weniger als die Befreiung von den Fesseln des irdischen Daseins steht in Aussicht. Die Bezüge zur Religion sind zahlreich in „Club Zero“. Mit der ambivalenten Macht des Glaubens hat sich Jessica Hausner bereits in „Lourdes“ (2009) auseinandergesetzt. Mit ihren österreichischen Landsleuten Michael Haneke und Ulrich Seidl hat die Regisseurin gemein, dass es in vielen ihrer Filme keinen sicheren Boden gibt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Das Lehrerzimmer"packendes Psychodrama auf dem Schulgelände von İlker Çatak

 

und hier einen Bericht über den Film "Bergman Island" – Beziehungschronik auf der Insel Fårö von Mia Hansen-Løve mit Mia Wasikowska

 

und hier eine Besprechung des Films "Little Joe" – raffinierte Gentechnik-Dystopie von Jessica Hausner

 

und hier einen Beitrag über den Film "Amour Fou" – stilisiertes Kostüm-Kammerspiel über den Freitod von Kleist + Henriette Vogel 1811 von Jessica Hausner.

 

Das war schon in ihrem frühen Werk „Lovely Rita“ (2001) so. Damals ging es um eine gewalttätige Jugendliche, die ihre Eltern erschießt. Grundsätzlich kann in Hausners Filmen alles passieren. Sie gleichen durchstilisierten Versuchsanordnungen, wie zuletzt „Little Joe“ (2019), einer Geschichte über die technische Reproduzierbarkeit des Glücks. Sie faszinieren und irritieren gleichermaßen in ihrer analytischen Kühle.

 

Irgendwo in Westeuropa

 

Auch „Club Zero“ ist keine realistische Milieuerkundung, sondern eine artifizielle Überspitzung mit schwarzem Humor. Die Handlung ist an keinem konkreten Ort und zu keiner genau definierten Zeit angesiedelt. Zwar wird im Original Englisch gesprochen, aber das Internat könnte überall in Westeuropa liegen. Die formidabel hässlichen Schuluniformen in Zitronengelb und Lila kontrastieren mit den braunen Interieurs der Schule.

 

In den genau kadrierten Einstellungen passiert nichts zufällig. Des Öfteren schaut die Kamera auch von oben auf die Protagonisten herab wie auf Labortiere. Das trägt zur beunruhigenden Grundstimmung des Films bei, die durch einen eigenwilligen Score aus Klopfgeräuschen noch verstärkt wird. Am Ende mutet uns Jessica Hausner eine ambivalente Auflösung zu, die bewusst Interpretationsspielraum lässt. Diese Unsicherheit sorgt jedoch dafür, dass der Film noch lange im Kopf nachhallt.