Jessica Hausner

Little Joe – Glück ist ein Geschäft

Alices Kollege Chris (Ben Whishaw) im Labor. Foto: COOP99, The Bureau, Essential Films
(Kinostart: 9.1.) Sag es mit Blumen: Künftig kommt Glück als Parfümduft. In ihrer etwas anderen Gentechnik-Dystopie führt Regisseurin Jessica Hausner brillant vor, wie Machbarkeitswahn und Zwang zur Selbstoptimierung in emotionaler Entfremdung enden.

Die Frage nach dem Glück ist ein Dauerbrenner, über den sich die Menschheit seit eh und je den Kopf zerbricht – ohne dass dabei etwas Allgemeingültiges herausgekommen wäre. Für die ehrgeizige, etwas verkniffene Genwissenschaftlerin Alice (Emily Beecham) ist die Sache jedoch klar: Glück ist schlichtweg ein Zusammenspiel der richtigen Hormone.

 

Info

 

Little Joe –
Glück ist ein Geschäft

 

Regie: Jessica Hausner,

105 Min., Öesterreich/ Großbrtannien/ Deutschland 2019;

mit: Emily Beecham, Ben Whishaw, Kerry Fox

 

Weitere Informatioen

 

Der Duft ihrer neuesten, purpurroten Blumenzüchtung „Little Joe“ sorgt für die Ausschüttung eben solcher Glückshormone beim Menschen – entsprechende Pflege vorausgesetzt. Dass Alice diese Züchtung nicht zuletzt gelungen ist, weil sie es mit den strengen Regeln bei Genmanipulation nicht so genau nahm, verschweigt die leidenschaftliche Forscherin ihren Kollegen.

 

Überfordert im Privaten

 

Die kritischen Nachfragen ihrer älteren Kollegin Bella (Kerry Fox) nach unerwünschten Nebenwirkungen der Glückspflanze ignoriert sie zunächst stoisch. Schließlich steht die nächste Pflanzenmesse vor der Tür. Hingegen ist Alice im Umgang mit ihrem halbwüchsigem Sohn Joe (Kit Connor) deutlich verunsicherter; zudem plagen sie Schuldgefühle. Alleinerziehende Mutter und erfolgreiche Wissenschaftlerin zu sein, überfordert die introvertierte Frau zuweilen – auch wenn ihre Wohnung so aufgeräumt wirkt wie ihr Labor.

Offizieller Filmtrailer


 

Schleichende Veränderung, subtiles Grauen

 

Eigenmächtig nimmt sie „Little Joe“ mit nach Hause – angetrieben von der Hoffnung, durch die Wirkung der besonderen Pflanze ihre Defizite als Mutter auszugleichen. In das Verhältnis zwischen Mutter und Kind schleicht sich eine Fremdheit ein, die sich zunächst kaum greifen lässt. Liegt es nur an pubertären Wirren, die Joe durchlebt, oder spielen dabei doch die Pflanzenpollen eine unheimliche Rolle? Die wissenschaftliche Klarheit, an der Alice sich in ihrem Leben bislang orientiert hat, schwindet zusehens; ihre Realität gerät ins Wanken.

 

Das sich plötzlich einstellende Gefühl, ihr nahestehende Menschen würden ihr fremd, löst bei ihr existenzielle Verunsicherung aus. Möglicherweise wird es durch die Pflanze hervorgerufen, deren Wirkung bislang nicht genau untersucht wurde. Die Veränderungen sind zunächst subtil und für Außenstehende kaum wahrnehmbar. „Little Joe – Glück ist ein Geschäft“ arbeitet diese fortschreitende Beunruhigung genau heraus; durchzogen ist das von subtilem Grauen, das sehr eindrucksvoll inszeniert wird.

 

Die Welt nach eigenen Vorstellungen formen

 

Hauptdarstellerin Emily Beecham sorgt mit ihrem präzisen, zurückgenommenem Spiel für die Glaubwürdigkeit ihrer unterkühlten Figur. Mit ihren Mitmenschen, selbst mit ihrem Sohn kommuniziert Alice meist höflich und distanziert. Die Beziehung zu ihrem Ex-Mann ist pragmatisch; auf die Annäherungsversuche ihres Kollegen Chris (Ben Whishaw) reagiert sie linkisch.

 

Auch das Erscheinungsbild der Wissenschaftlerin ist stets makellos. Auf ihren leicht altmodisch anmutenden Blusen und Hosen finden sich weder Fleck noch Falte; kein Härchen ihres roten Schopfes tanzt aus der Reihe. Kaum berührt von äußeren Einflüssen wandelt Alice durch eine Welt, die sie durch ihre Arbeit nach ihren Vorstellungen formt.

 

Emotional = psychisch krank?

 

Damit wird sie zur perfekten Verkörperung der zurzeit in der westlichen Welt herrschenden Vorstellung, Erfolg und Glück im Leben ließen sich durch unablässige Bemühungen erzwingen: Selbstoptimierung macht es möglich. „Little Joe“ veranschaulicht hervorragend, wie der Machbarkeitswahn der Moderne sich mit Informations-Technologie und Life Sciences neue Spielfelder geschaffen hat.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Amour Fou" - Kostüm-Kammerspiel über den Freitod von Kleist von Jessica Hausner

 

und hier eine Besprechung des Films "I Origins – Im Auge des Ursprungs" - komplexer Gentechnik-Thriller mit Mystery-Elementen von Mike Cahill

 

und hier einen Bericht über den Film "Dunkel, fast Nacht" - komplexer sozialkritischer Mystery-Thriller aus Polen von Borys Lankosz

 

und hier einen Beitrag über den Film "Ex Machina" - subtiles SciFi-Kammerspiel über künstliche Intelligenz von Alex Garland mit Oscar Isaac.

 

Diese subtile Science-Fiction-Dystopie führt zudem prägnant die Konsequenzen vor, wenn sich in unserer digitalisierten Lebenswelt vermeintlich jeder Aspekt menschlicher Existenz vermessen und manipulieren lässt: Seelische Ödnis verbirgt sich unter tadellosen Oberfläche. Nicht zufällig ist die einzige Figur des Ensembles, die offen emotional agiert, mit dem Makel einer psychischen Krankheit behaftet.

 

Bemerkenswertes Setdesign

 

Derart überzeugende Zeitgeist-Kritik hätte man von der österreicherischen Regisseurin Jessica Hausner kaum erwartet; sie blickt auf ein durchwachsenes Werk zurück. So geriet ihr Psychothriller „Hotel“ (2004) etwas angestrengt und manieriert. „Lourdes“ (2009) über eine junge Frau, die an Multipler Sklerose leidet und Heilung von ihrer Wallfahrtsreise erhofft, bot nüchterne Einblicke in Motive und Verhalten religiöser Pilger. „Amour Fou“ (2014) über den Doppelselbstmord von Heinrich von Kleist und Henriette Vogel 1811 missriet zum leblosen Kleiderständer-Kammerspiel.

 

Dagegen behandelt nun „Little Joe“ seine schweren Themen mit Raffinesse und leisem Humor. Zum unvergesslichen Sehvergnügen wird der Film durch seine herausragende Bildgestaltung; insbesondere die Farbharmonien aus Mintgrün-, Weiß- und Rottönen springen ins Auge.  Zusammen mit einem ausgesuchten Set- und Kostüm-Design entsteht eine kühle, artifizielle Welt von eigenartigem Reiz; sie nimmt die  Entfremdung der Protagonisten schon von Beginn an optisch vorweg.