Alba Rohrwacher

Was uns hält (Lacci)

Aldo ist zerrissen zwischen zwei Frauen: seine Geliebte Lidia (Linda Caridi) und seiner Ehefrau Vanda (Alba Rohrwacher, v.l.n.r.). Foto: Gianni Fiorito/ Fotoquelle: © 2024 Film Kino Text
(Kinostart: 20.6.) Wenn Scheidung die bessere Alternative wäre: Regisseur Daniele Luchetti beobachtet Eheleute, die einander in herzlicher Abneigung verbunden bleiben. Zerrissen zwischen alter Bande und mangelndem Mut, Neues zu wagen, wird nicht recht klar, warum sie sich dieses Martyrium antun.

Dass Aldo (Luigi lo Cascio) und Vanda (Alba Rohrwacher) einander nicht mehr recht zugetan sind, wird schon in der ersten Szene klar. Da guckt er während eines lustigen Karnevaltänzchens mit der Familie ganz gequält. Dieselbe fröhliche Musik wird noch mehrmals im Film eingesetzt – als Kontrapunkt zur meist trübsinnigen Gefühlslage der Protagonisten.

 

Info

 

Was uns hält (Lacci)

 

Regie: Daniele Luchetti,

100 Min., Italien 2020;

mit: Alba Rohrwacher, Luigi Lo Cascio, Laura Morante

 

Weitere Informationen zum Film

 

Kurz darauf eröffnet Aldo zu Hause Vanda, dass er mit einer anderen geschlafen hat. Nach Streit folgt sein Auszug aus der gemeinsamen neapolitanischen Wohnung. Der in Literatur bewanderte Rundfunk-Moderator flüchtet nach Rom zu seiner Arbeit und in die Arme seiner hinreißenden Geliebten namens Lidia (Linda Caridi). Nach Neapel kommt er nur noch sporadisch zurück, um seine Kinder Anna und Sandro zu sehen.

 

Selbstmordversuch mit Radio

 

Beide hören die Stimme ihres Vaters fortan vor allem aus dem Radio. Bis Vanda das Gerät irgendwann aus dem Fenster wirft – und selbst hinterher springt. Da der Zuschauer das Paar erst in dem Moment kennenlernt, in dem es auseinander geht, fragt man sich, was sie so tief enttäuscht und verletzt hat, um ihren Selbstmordversuch zu motivieren. Schließlich spielt das Geschehen in den 1980er Jahren, und Vanda ist als schöne, berufstätige Frau keineswegs völlig von ihrem Mann abhängig.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Zwischen zwei Frauen zerrieben

 

Überdies fragt man sich, was Aldos unwiderstehlichen Charme ausmachen soll, so dass zwei überdurchschnittlich attraktive Frauen um ihn konkurrieren. Seine sanfte, einschmeichelnde Radiostimme allein kann es nicht sein. Außerdem pickt er sich bei jeder der beiden Frauen für sich das Beste heraus, ohne Verantwortung zu übernehmen – weder für seine Familie, die er verlassen hat, noch für seine neue Beziehung. Stattdessen wird er von den Ansprüchen zerrieben, die beide Frauen an ihn stellen.

 

Für diese Chronik des Zerrissenseins zwischen Ehe und Affäre lieferte der Roman „Auf immer verbunden“ (2014) des Erfolgs-Autors Domenico Starnone die Vorlage. Gemeinsam mit ihm hat Regisseur Luchetti das Skript verfasst – was der Verfilmung aber nicht zugute kommt. Tatsächlich hat man eher das Gefühl, der Film wisse mehr über seine Figuren, als er zeigt. Viele Dialoge wirken etwas papieren, während im Radio hintersinnige Sentenzen über Beziehungen, Betrug oder Sünde ertönen.

 

Fortsetzung lässt schaudern

 

Insofern wird „Was uns hält“ zum Beispiel für die Tücken einer Literaturverfilmung: Während sich ein Buch Zeit lassen kann, um Atmosphäre aufzubauen und die Motive der Akteure zu erklären, muss ein Film das wesentlich schneller erledigen. Hier gelingt es nur bedingt; da stoßen selbst exzellente Schauspieler wie Alba Rohrwacher und Luigi Lo Cascio an die Grenzen des Drehbuchs.

 

Nach etlichen Jahren finden Vanda und Aldo – trotz ihres Selbstmordversuchs und beidseitiger Psychospielchen – durch die gemeinsamen Kinder wieder zueinander; fortan harren sie jahrzehntelang miteinander aus. Diese Fortsetzung ihrer Beziehung ist von einer förmlichen Höflichkeit geprägt, die schaudern macht; sie kann kaum die dahinter stehende Kälte verbergen. Dennoch ist es für Vanda ein symbolischer Sieg, denn sie hat ihre Rivalin Lidia aus dem Feld geschlagen. Für Aldo dürfte das schlechte Gewissen gegenüber seinen Kindern entscheidend sein.

 

Reue, Melancholie + Bitterkeit

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des  "Anni Felici – Barfuß durchs Leben" – atmosphärisch dichtes Familien-Drama + Feminismus-Anfänge im Italien der 1970er Jahre von Daniele Luchetti

 

und hier eine Besprechung des Films "La Chimera" - fantastisch-realistisches Grabräuber-Porträt von Alice Rohrwacher mit Alba Rohrwacher 

 

und hier einen Beitrag über den Film "Morgen ist auch noch ein Tag" – enorm erfolgreiches Sittenbild über häusliche Gewalt im Italien der 1940er Jahre von Paola Cortellesi.

 

All das macht Regisseur Luchetti nur ansatzweise deutlich: Nach dem ersten, linear erzählten Drittel springt die Handlung häufig in der Zeit vor und zurück. Zusätzlich für Verwirrung sorgt der Umstand, dass das gealterte Ehepaar von anderen Schauspielern verkörpert wird, die den jüngeren Eheleuten nur entfernt ähneln. Das erschwert Überblick und Identifikation erheblich.

 

Wobei die Akteure ohnehin nicht als Sympathieträger auftreten: Der ältere Aldo schwelgt in Erinnerungen an seine verlorene Geliebte. Derweil bereut Vanda, dass sie sich ihm wieder zugewandt hat. So wirken für beide in der Rückschau alternative Lebenswege als die attraktiveren; in solchen Betrachtungen schwingt viel Melancholie und Bitterkeit mit.

 

Wie man Schnürsenkel bindet

 

Dieses Ehemartyrium hat auch die mittlerweile erwachsenen Kinder geprägt. Sie zahlen ihren Eltern die fortwährende emotionale Selbstzerfleischung mit einem bizarren Racheakt heim: Loslösung durch Zerstörung. Leider nimmt ihre potenziell erhellende Perspektive auf das Beziehungswirrwarr ihrer Eltern im Film zu wenig Raum ein.

 

Dessen eigentliches Thema ist das Lösen und Festigen von Bindungen. Im italienischen Original heißen Film und Buch „Lacci“, was Schnürsenkel, aber im übertragenen Sinn auch Bande bedeutet. Um die Art und Weise, wie man Schnürsenkel bindet, geht es in einer Schlüsselszene des Films. Als Veranschaulichung, dass man manche Bindungen und Prägungen nolens volens zeitlebens nicht los wird. Da wäre eine Scheidung wohl die bessere Lösung gewesen.