
Boy meets girl ist seit Adam und Eva die älteste Geschichte der Welt – und so unvergänglich wie heilige Schriften. In dieser Version ist der junge Mann ein Mönch namens Theodorus (Theo Alexander). Sein Augenstern nennt sich Urania (Tamila Koulieva), seitdem sie ihr Nonnen-Gelübde abgelegt hat; sie stammt aus Russland.
Info
Meteora
Regie: Spiros Stathoulopolos,
80 Min., Griechenland/ Deutschland 2012;
mit: Theo Alexander, Tamila Koulieva
Gottesdienst als Kontaktbörse
Zu seinem Kloster führt wenigstens eine steile, schmale Treppe. Will Urania sich hinunter begeben, muss eine andere Nonne sie im Korb herablassen. Ihre Isolation könnte kaum strenger sein. Dennoch treffen Theodorus und Urania aufeinander: bei der orthodoxen Messe, die Mönche und Nonnen gemeinsam feiern.
Offizieller Filmtrailer auf Griechisch, Englisch untertitelt
Liebesgeflüster per Taschenspiegel
Es ist offenbar Liebe auf den ersten Blick; Worte werden wenige gewechselt. Beide verständigen sich meist sprachlos: Wenn Theodorus seine Angebetete kontaktieren will, lenkt er mit einem Taschenspiegel die Sonnenstrahlen in ihre Zelle. Sie antwortet mit ähnlichen Lichtzeichen. Ob und welchen Code beide benutzen, bleibt offen – wie vieles in diesem schweigsamen Film, der ganz auf unmittelbare Anschauung setzt.
Dennoch verläuft die Handlung dramatisch. Nach einiger Bedenkzeit verabreden sich beide zu einem Picknick. Es wäre wohl vor 1000 Jahren nicht anders abgelaufen: Theodorus hat zuvor den Hirten eine Ziege schlachten lassen und daraus auf offenem Feuer einen Eintopf gekocht, den er nun seiner Liebsten stolz serviert. Dem Festschmaus folgen zum Dessert andere fleischliche Genüsse – bis Urania brüsk abbricht.
Gewissensqualen als Ikonen-Trickfilm
Weswegen ihren Verehrer schlimme Skrupel heimsuchen: Er fürchtet Gottes Strafe für die schwere Sünde. Seine Gedanken und Gewissensqualen visualisiert Regisseur Spiros Stathoulopolos mit animierten Sequenzen im Stil mittelalterlicher Ikonen. Diese liebevoll ausgemalten Trickfilm-Szenen mit Motiven christlicher und antiker Mythologie gehören zu den schönsten Momenten des Films.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
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Kloster-Landschaft als Hauptdarsteller
Doch Enge herrscht auch in den Köpfen: Wenn Theodorus und Urania miteinander reden, dann in Gleichnissen und Heiligenlegenden – damit kennen sie sich aus. Warum ihre allen Reizen entwöhnten Gemüter, die auf Seelenheil, Askese und Gehorsam gepolt sind, plötzlich nach irdischer Liebe und Sinnesfreuden verlangen, bleibt das Geheimnis des Films.
Dessen eigentlicher Hauptdarsteller ist ohnehin die Kloster-Landschaft, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. Diese historische Anlage entstand im 14. Jahrhundert, als Mönche vor osmanischer Verfolgung in die schwer zugängliche Felsregion flohen. Heute zählen 24 Klöster dazu, von denen nur noch sechs bewohnt sind.
Klöster scheinen zu schweben
Das griechische Wort „metéora“ bedeutet „schwebend“: Wenn die Felsen von Bodennebel umhüllt sind, sieht es tatsächlich so aus, als würden die Klöster in der Luft schweben. Was Regisseur Stathoulopolos in langen Einstellungen aus immer neuen Blickwinkeln auskostet. Seine herrlichen Panorama-Aufnahmen zu allen Tageszeiten lassen die sonnendurchflutete, quasi menschenleere Szenerie beinahe paradiesisch erscheinen.
In Anbetracht solcher überirdisch anmutenden Schönheit verzeiht man gern eine etwas schlichte Psycho-Geographie: Oben in den Adlerhorsten herrscht religiöser Zwang, unten in den Tälern liegt das Reich individueller Freiheit. Glaubensfrage: Für welche Sphäre werden sich unsere Turteltäubchen wohl entscheiden, um ihr Nest zu bauen?