Kaum zu glauben, dass diese beiden bleichgesichtigen Herren in beigebraunen, schlecht sitzenden Anzügen irgendetwas von Vergnügen verstehen. Ihr Anblick lässt eher an Bestattungen oder lange nicht renovierte Amtsstuben mit kümmerlich dahinvegetierenden Topfpflanzen denken. Tatsächlich sind sie aber in der Unterhaltungsbranche tätig; stets unterwegs, um den Menschen Spaß zu bringen.
Info
Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach
Regie: Roy Andersson,
100 Min., Schweden/ Norwegen 2014;
mit: Holger Andersson, Nils Westblom, Charlotta Larsson
Immer dasselbe Lied auf alter Platte
Großmaul Jonathan (Holger Andersson) übernimmt das Reden, während Weichei Sam (Nils Westblom) den altmodischen Tinnef vorführen muss; er bricht dabei leicht in Tränen aus. Genauso wenig spannend und spaßig geht es in ihrem Männerwohnheim zu; einer billigen Absteige, wo Sam immer wieder dieselbe Platte mit einem alten Lied laufen lässt. Auch die anderen Gestalten im Film des schwedischen Regisseurs Roy Andersson haben es kaum besser.
Offizieller Filmtrailer
Früher wurden drinks mit Küssen bezahlt
„Es freut mich zu hören, dass es Dir gut geht“, ist wohl der am häufigsten gesprochene Satz, der bei Telefonaten fällt. Das Befinden des jeweiligen Sprechers ist dabei unerheblich: Wer fühlt sich in einem Labor für Tierversuche schon wohl, wenn zwei Meter weiter einem Affe Stromstöße ins Hirn gejagt werden?
Ein Frisör kann keine Haare schneiden, da er nur die Stellung für einen verunglückten Verwandten hält. Eine Flamenco-Lehrerin versucht erfolglos, während des Unterrichts ihren einzigen männlichen Schüler anzugraben. Ein alter Mann sitzt in einer Gaststätte, die er schon sechzig Jahre lang besucht; er erinnert sich an früher, als hier Matrosen mit der Wirtin tanzten und ihre drinks mit Küssen bezahlten.
Traurige Menschen tun nichtssagende Dinge
In einer anderen Kneipe taucht plötzlich König Karl XII. auf: Er kehrt zurück von der Schlacht bei Poltawa 1709, als seine Truppen vom russischen Zaren Peter dem Grossen vernichtend geschlagen wurden. Damit endete Schwedens Großmacht-Rolle in Europa; doch der König will nur die Toilette benutzen. Aber die ist besetzt.
Mit solchen absurden Arrangements perfektioniert Regisseur Roy Andersson seine Art des Filmemachens, die er „Trivialismus“ nennt: Traurige Menschen in tristen, fahlen Räumen tun nichtssagende Dinge. Das ergibt ein wenig schmeichelhaftes und verstörendes Zerrbild der Realität: Jeder denkt nur an sich, hängt seinen Träumen nach oder hat sie ob der Banalität des Lebens längst vergessen. Für seine konsequent stilisierte Form erhielt der Film beim Festival in Venedig den Goldenen Löwen.
Schwarze Sklaven im Kupferkessel
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit" - zart-morbide Tragikomödie von Uberto Pasolini
und hier einen Bericht über den Film "Das erstaunliche Leben des Walter Mitty" – fantasievolle Sonderling-Komödie von + mit Ben Stiller
und hier einen Beitrag über den Film “Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand” – Verfilmung des Bestsellers von Jonas Jonasson durch Felix Herngren.
Regisseur Andersson will laut eigener Aussage durch die Kombination von Schönheit und Grausamkeit provozieren. Eindringlich zeigt das eine Szene, in der schwarze Sklaven von Kolonialherren in eine riesige Kupfer-Trommel getrieben werden, deren Öffnungen wie Saugnäpfe oder Schalltrichter aussehen.
Kellner schenken Sekt nach
Dann wird unter der Röhre Feuer entfacht. Sie fängt an, sich zu drehen, und pathetische Musik ertönt. Eine Gesellschaft reicher, alter Herrschaften verfolgt aufmerksam das Spektakel, während Kellner ihnen Sekt nachschenken – die Grund-Konstellation des Kolonialismus in einem Bild.
Doch dieser beklemmende Anblick ist nur eine Facette des komplexen Werks. Bei aller Tristesse hat Regisseur Andersson auch Sinn für die skurrilen und komischen Seiten des Daseins. Kein feelgood-Kino, aber dennoch lohnend: allein schon, um herauszufinden, was die Titel-Taube macht.