Roy Andersson

Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach

In der Unterhaltungsbranche tätig: Jonathan (Holger Andersson) und Sam (Nils Westblom) auf ihrer glücklosen Mission als Vertreter für Scherzartikel. Foto: © Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 1.1.) Tristesse totale: Regisseur Andersson bevölkert Schweden mit bleichen Mutanten, die lahme Phrasen dreschen. Dass die Hauptfiguren witzlose Spaßvögel sind, passt ins triste Bild – und war der Venedig-Jury den Goldenen Löwen wert.

Kaum zu glauben, dass diese beiden bleichgesichtigen Herren in beigebraunen, schlecht sitzenden Anzügen irgendetwas von Vergnügen verstehen. Ihr Anblick lässt eher an Bestattungen oder lange nicht renovierte Amtsstuben mit kümmerlich dahinvegetierenden Topfpflanzen denken. Tatsächlich sind sie aber in der Unterhaltungsbranche tätig; stets unterwegs, um den Menschen Spaß zu bringen.

 

Info

 

Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach

 

Regie: Roy Andersson,

100 Min., Schweden/ Norwegen 2014;

mit: Holger Andersson, Nils Westblom, Charlotta Larsson

 

Website zum Film

 

So jedenfalls lautet die Antwort des Duos auf die Frage nach seinem Beruf. Dann öffnen die beiden ihren Koffer und präsentieren ihre Scherzartikel: einen Lachsack oder ein Vampirgebiss mit besonders langen Eckzähnen. Die Geschäfte gehen schlecht, weshalb sie jeden Laden mit potentiellen Abnehmern abklappern; zwischendurch öden sie sich an wie einst Dick und Doof.

 

Immer dasselbe Lied auf alter Platte

 

Großmaul Jonathan (Holger Andersson) übernimmt das Reden, während Weichei Sam (Nils Westblom) den altmodischen Tinnef vorführen muss; er bricht dabei leicht in Tränen aus. Genauso wenig spannend und spaßig geht es in ihrem Männerwohnheim zu; einer billigen Absteige, wo Sam immer wieder dieselbe Platte mit einem alten Lied laufen lässt. Auch die anderen Gestalten im Film des schwedischen Regisseurs Roy Andersson haben es kaum besser.


Offizieller Filmtrailer


 

Früher wurden drinks mit Küssen bezahlt

 

„Es freut mich zu hören, dass es Dir gut geht“, ist wohl der am häufigsten gesprochene Satz, der bei Telefonaten fällt. Das Befinden des jeweiligen Sprechers ist dabei unerheblich: Wer fühlt sich in einem Labor für Tierversuche schon wohl, wenn zwei Meter weiter einem Affe Stromstöße ins Hirn gejagt werden?

 

Ein Frisör kann keine Haare schneiden, da er nur die Stellung für einen verunglückten Verwandten hält. Eine Flamenco-Lehrerin versucht erfolglos, während des Unterrichts ihren einzigen männlichen Schüler anzugraben. Ein alter Mann sitzt in einer Gaststätte, die er schon sechzig Jahre lang besucht; er erinnert sich an früher, als hier Matrosen mit der Wirtin tanzten und ihre drinks mit Küssen bezahlten.

 

Traurige Menschen tun nichtssagende Dinge

 

In einer anderen Kneipe taucht plötzlich König Karl XII. auf: Er kehrt zurück von der Schlacht bei Poltawa 1709, als seine Truppen vom russischen Zaren Peter dem Grossen vernichtend geschlagen wurden. Damit endete Schwedens Großmacht-Rolle in Europa; doch der König will nur die Toilette benutzen. Aber die ist besetzt.

 

Mit solchen absurden Arrangements perfektioniert Regisseur Roy Andersson seine Art des Filmemachens, die er „Trivialismus“ nennt: Traurige Menschen in tristen, fahlen Räumen tun nichtssagende Dinge. Das ergibt ein wenig schmeichelhaftes und verstörendes Zerrbild der Realität: Jeder denkt nur an sich, hängt seinen Träumen nach oder hat sie ob der Banalität des Lebens längst vergessen. Für seine konsequent stilisierte Form erhielt der Film beim Festival in Venedig den Goldenen Löwen.

 

Schwarze Sklaven im Kupferkessel

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit" - zart-morbide Tragikomödie von Uberto Pasolini

 

und hier einen Bericht über den Film "Das erstaunliche Leben des Walter Mitty" – fantasievolle Sonderling-Komödie von + mit Ben Stiller

 

und hier einen Beitrag über den Film “Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand” – Verfilmung des Bestsellers von Jonas Jonasson durch Felix Herngren.

 

Eigentlich ist „Eine Taube sitzt…“ kein Spielfilm, sondern eine lose Abfolge von insgesamt 39 teils surreal anmutenden Szenen. Sie werden zwar durch das Vertreter-Duo zusammengehalten, könnten aber auch für sich allein stehen. Dabei inszeniert sie Andersen beinahe wie im Theater: Die Darsteller agieren in Räumen, die sorgfältig komponiert wirken wie Gemälde; statische Einstellungen unterstreichen, wie losgelöst, entfremdet und einsam die Figuren sind.

 

Regisseur Andersson will laut eigener Aussage durch die Kombination von Schönheit und Grausamkeit provozieren. Eindringlich zeigt das eine Szene, in der schwarze Sklaven von Kolonialherren in eine riesige Kupfer-Trommel getrieben werden, deren Öffnungen wie Saugnäpfe oder Schalltrichter aussehen.

 

Kellner schenken Sekt nach

 

Dann wird unter der Röhre Feuer entfacht. Sie fängt an, sich zu drehen, und pathetische Musik ertönt. Eine Gesellschaft reicher, alter Herrschaften verfolgt aufmerksam das Spektakel, während Kellner ihnen Sekt nachschenken – die Grund-Konstellation des Kolonialismus in einem Bild.

 

Doch dieser beklemmende Anblick ist nur eine Facette des komplexen Werks. Bei aller Tristesse hat Regisseur Andersson auch Sinn für die skurrilen und komischen Seiten des Daseins. Kein feelgood-Kino, aber dennoch lohnend: allein schon, um herauszufinden, was die Titel-Taube macht.