Benicio Del Toro

Sicario

FBI-Agenten auf der Suche nach dem Eingang eines Schmugglertunnels nach Mexiko. Foto: Studiocanal
(Kinostart: 1.10.) Der Krieg gegen Drogen als Kampf aller gegen alle: Den politisch-moralischen Schlamassel an der US-mexikanischen Grenze fängt Regisseur Denis Villeneuve so präzise wie fesselnd ein. Benicio Del Toro glänzt als Mysterium im Narco-Modus.

Als „Sicario“ bezeichnen Kolumbianer Auftragskiller, die sich hinter die feindlichen Linien schleichen, um dort Tod und Schrecken zu verbreiten. Einer dieser Meuchelmörder hat offenbar in jüngster Zeit ganze Arbeit geleistet.

 

Info

 

Sicario

 

Regie: Dennis Villeneuve,

121 Min., USA 2015;

mit: Josh Brolin, Emily Blunt, Benicio Del Toro

 

Website zum Film

 

In einem Haus nördlich der US-mexikanischen Grenze, das eine FBI-Einheit zu Beginn des Films stürmt, findet die Einsatzleiterin Kate Macer (Emily Blunt) anstelle der erwarteten Geiselnahme Dutzende von verwesenden Leichen. Und eine Sprengfalle, die diese virtuos inszenierte Eröffnung mit einem fatalen Schlussakkord enden lässt.

 

Aus dem Polizeifilm-Klischee-Katalog

 

Dann müssen alle erstmal durchatmen. Leichen werden gezählt, Wunden verarztet, Schuldige gesucht und Pläne geschmiedet. Innerhalb kürzester Zeit taucht eine ganze Reihe von Gestalten aus dem Polizeifilm-Klischee-Katalog auf: von Kates loyalem Partner-cop Reggie (Daniel Kaluuya) mit Jura-Diplom bis zu texanischen Sheriffs mit Cowboystiefeln und Flachmännern.

Offizieller Filmtrailer


 

Regierungs-Berater in flip flops

 

All das beobachtet die weibliche Hauptfigur mit skeptischem Blick. Was gewährleistet, dass es nicht öde, sondern eher ein bisschen lustig und vielversprechend wirkt; Kate wird halb widerstrebend in den war on drugs hineingezogen, der üblicherweise Männern vorbehalten bleibt.

 

Sie gehört nun zum Team des knorrigen Matt Graver (Josh Brolin), eines „Regierungs-Beraters“ in flip flops. Er eröffnet ihr, sie könne dabei helfen, den Verantwortlichen für die vielen Leichen zu finden. Ebenfalls dabei: der schweigsame Alejandro (Benicio Del Toro), dessen Herkunft, Funktion und Kompetenzen noch undurchsichtiger sind.

 

In Blei- und Stahlgewittern

 

Schon beim ersten Einsatz, einem Ausflug nach Mexiko, überschreitet die Macho-Brigade in reichlich Blei- und Stahlgewittern auch die Grenze der Legalität. Katie Macer muss fortan nicht nur jeder Menge Kugeln ausweichen, sondern auch ihre Berufsethik überdenken und dabei aufpassen, nicht selbst zur Gejagten zu werden.

 

Dann gilt es noch herauszufinden, wer eigentlich der titelgebende Sicario ist, der den Tod hinter die feindlichen Linien bringt. Dafür wäre freilich erst einmal nötig, zu wissen, wo die Linien verlaufen; was im Lauf des Films immer schwieriger wird.

 

Grenzen überschreiten + Linien verschwimmen

 

Das ist Regisseur Denis Villeneuve zu verdanken. Er setzt sich – ähnlich wie Kathryn Bigelow, die mit „The Hurt Locker – Tödliches Kommando“ über den Irak-Krieg 2010 zwei Oscars gewann – gerne und geistreich mit dem Verschwimmen von Linien und Überschreiten von Grenzen auseinander.

 

Häufig verlaufen diese durch die Psyche seiner Figuren. Im mysteriösen Doppelgänger-Film „Enemy“ beließ es Villeneuve 2013 dabei. In seinem US-Debüt „Prisoners“ aus demselben Jahr übertrug er das erfolgreich ins crime-Genre. Nun geht er gleich drei Themenfelder an: das profiling seiner Protagonistin, die auch unser moralisches Gewissen verkörpern soll; zweitens die Genre-Regeln, die er genussvoll unterläuft, und drittens den ganzen politischen Schlamassel, der hier nicht nur als plot-Aufhänger dient.

 

Der teuerste, längste + verlustreichste Krieg

 

Obwohl es zunächst nicht den Anschein hat: „Sicario“ basiert auf einer präzisen Analyse des Elends und der Heuchelei hinter dem war on drugs – des längsten und teuersten Krieges, den die USA je geführt haben. Villeneuve geht sehr nah heran, wenn er die Methoden der US-Administration ins Zwielicht rückt.

 

Zugleich zeigen er und Drehbuchautor Taylor Sheridan am Beispiel der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez, wie der Drogenhandel die ganze Region und ihre Ökonomie komplett verändert hat; früher galt sie als Erholungsparadies für US-Bürger. Dabei gelingt es Villeneuve, in einem Genre, in dem Dialoge nur noch als Verbindungsflansche eines Handlungs-Gerüsts fungieren, das völlig auf action-Schauwerte ausgerichtet ist, auch aus stillen, langsamen oder alltäglichen Szenen dramatisches Potenzial zu schlagen.

 

Von der Vogelperspektive zum Tunnelblick

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Escobar – Paradise Lost" - Thriller über den kolumbianischen Drogenboss von Andrea Di Stefano mit Benicio Del Toro

 

und hier einen Beitrag über den Film "Enemy" - klaustrophobischer Doppelgänger-Thriller von Denis Villeneuve mit Jake Gyllenhaal

 

und hier einen Bericht über den Film “Heli” – eindringliches Drogenkriegs-Drama aus Mexiko von Amat Escalante; beste Regie in Cannes 2013

 

und hier einen Beitrag über den Film Savages von Oliver Stone über Drogenbanden-Kriege in Südkalifornien mit Benicio Del Toro.

 

So entfaltet der Film seine Stärke auf subtile Weise, legt falsche Fährten und gibt Hinweise, während sich die nächste Welle der Gewalt aufbaut. Auch diese Szenen sind stilistisch bemerkenswert: Oft fliegt die Kamera über das Territorium. Der Blick aus der Vogelperspektive, der Übersicht und Klarheit verschaffen soll, ist der militärische. Er zeugt von technischer Übermacht und erschließt zugleich den filmischen Raum, in dem sich der Zuschauer zurechtfinden muss.

 

Gegen Ende jedoch, als sich das Team immer tiefer in die Illegalität verstrickt und Kate Macer nach allerhand Einsichten in Verflechtungen, Tücken und moralische Verwerfungen ihres neuen Jobs mit einer Schar verdeckt agierender Haudegen in einen Schmugglertunnel eindringt, dominiert der Tunnelblick. Da wartet auf die Heldin eine letzte Erkenntnis.

 

Konstant im narco-Modus sein

 

Es versteht sich von selbst, dass Benicio Del Toro und Josh Brolin hier in ihrem Element sind. Del Toro ist seit „Savages“ (2012) und „Escobar“ (2014) eigentlich konstant im narco-Modus; dennoch versteht er es, seiner Figur die erstaunlichsten – und abscheulichsten – Nuancen abzugewinnen.

 

Josh Brolin funktioniert trotz – oder gerade wegen – seines begrenzten Ausdrucks-Arsenals bestens in der Rolle des bärbeißigen Zynikers. Dagegen muss man Emily Blunt, die ansonsten eher in historischen Kostümen oder luftigen Komödien auftritt, ihre Rolle einer mit ihrem Job verheirateten FBI-Beamtin schon glauben wollen.