Jedes Los gewinnt: In der TV-show „Money Monster“ geht es zu wie an einer Rummelplatz-Bude, aber mit neuestem technischen Schnickschnack. Moderator Lee Gates (George Clooney) schmeißt den Laden allein – mit vollem Körpereinsatz: Er tanzt mit schwarzen go-go-girls zu hip-hop beats oder liefert sich im Boxermantel einen show fight. Er wirbelt von Monitor zu Monitor, jubelt über Börsenkurse, die auf Rekordhöhen klettern, und reißt Zoten über Indexkurven in Busenform.
Info
Money Monster
Regie: Jodie Foster,
98 Min., USA 2016;
mit: Julia Roberts, George Clooney, Jack O’Connell
Geiselnahme live im TV-Studio
Einer seiner Stammzuschauer ist Kyle Budwell (Jack O’Connell). Der Paketbote folgte Gates‘ Kauftipp und hat sein gesamtes 60.000-Dollar-Vermögen in Aktien des Ibis-Konzerns investiert. Dessen Börsenkurs ist gestern leider abgestürzt; der Buchwert-Verlust beträgt 800 Millionen Dollar, und Budwells Einlagen sind weg. Nun stürmt er bei laufender Sendung das Studio, fuchtelt mit seiner Knarre herum und zwingt den Moderator, einen Sprengstoff-Gürtel anzulegen. Wenn der Geiselnehmer ihn auslöst, geht die Bombe hoch.
Offizieller Filmtrailer
Trotz allem Chaos auf Sendung bleiben
Budwell fordert eine Erklärung, wie sich die Fabelsumme in Nichts auflösen konnte – stellvertretend für alle Kleinaktionäre, die das Börsengeschehen genauso wenig durchschauen wie er. Die Antwort ist schwer aufzutreiben: TV-Produzentin Patty Fenn (Julia Roberts) holt Ibis-Pressesprecherin Diane Lester vors Mikro, doch die muss passen. Und ihr Vorstandsvorsitzender Walt Camby (Dominic West) schwebt im Privat-jet unerreichbar durch die Lüfte – wie stets, wenn man Entscheidungsträger haftbar machen will.
Was folgt, ist ein schnörkellos inszenierter thriller mit perfektem timing nach klassischen Vorbildern der 1970er Jahre, etwa „I wie Ikarus“ (1979) von Henri Verneuil. Angereichert um eine gallige Mediensatire wie „Network“ (1976) von Sidney Lumet: Im Studio mag noch so viel Chaos ausbrechen, Produzentin Fenn bleibt auf Sendung. Nichts treibt die Einschaltquote schneller hoch als Krawall, Gewalt und Todesangst vor laufenden Kameras – am besten live in den überfüllten Straßen von Manhattan.
Publikum löst Moderator nicht aus
Die Regie ihres vierten Kinofilms ist für Jodie Foster eine Rückkehr zu ihren Anfängen. In denselben Straßen spielte 1976 „Taxi Driver“ von Martin Scorsese; ihr Auftritt als 14-jährige Prostituierte machte Foster zum Weltstar. Während damals Robert de Niro als Taxifahrer Travis Bickle ohne konkreten Anlass Amok lief, hat 40 Jahre später sein Nachfolger Budwell einen nachvollziehbaren Grund. Doch er kommt ebenso wenig ungeschoren davon.
Zuvor wird er mal gedemütigt – seine schwangere Freundin putzt ihn on air als Versager herunter – und mal gefeiert: Bei der Suche nach CEO Camby im Financial District bejubeln Passanten ihn als modernen Robin Hood. Das gleiche Wechselbad der Gefühle erlebt Moderator Gates: Er fleht das TV-Publikum an, sofort massenhaft Ibis-Aktien zu kaufen, um ihren Kurs hochzutreiben, so die Vortags-Verluste auszugleichen und damit sein Leben zu retten. Und nun der Blick auf die Börse: Der Ibis-Wert steigt kurz um ein paar Cent – und stürzt dann noch stärker ab. Das nennt man Gewinnmitnahmen zu Lasten Dritter.
Großmetapher für Casino-Kapitalismus
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Big Short" - brillant vielschichtige Analyse der Finanzkrise 2007/8 von Adam McKay mit Christian Bale + Ryan Gosling
und hier ein Beitrag über den Film „Cosmopolis“ – nüchtern absurdes Finanzhai-Psychogramm von David Cronenberg mit Robert Pattinson
und hier eine Besprechung des Films “The Wolf of Wall Street” – grandiose Börsen-Groteske von Martin Scorsese mit Leonardo DiCaprio
und hier einen Bericht über den Film “Der große Crash – Margin Call” – faszinierender Investmentbanken-Thriller von JC Chandor mit Kevin Spacey.
Am meisten beeindruckt aber der heimliche Hauptakteur des Spektakels, die TV-show „Money Monster“. Wie sich George Clooney mit billigen Mätzchen zum Affen macht, während ihn Julia Roberts via headset wie eine Zirkus-Dompteurin durch die Arena scheucht – das ist eine bestechende Großmetapher für den aktuellen Zustand von Berichterstattung und Reflexion über Wirtschaft im Casino-Kapitalismus. Rekordverschuldung bei Nullzinsen? Macht nichts, solange die nächsten Quartalszahlen stimmen. Um alles andere kümmern sich schon EZB, IWF und ähnlich abstrakte Agenten.
„Money Monster“ in der prime time
Genau dem widerspricht der Film, indem er mit einer letzten Volte das übliche Finanzelite-bashing unterläuft. Brioni-Anzugträger haben die Karten in der Hand und ein paar illegale Asse im Ärmel, aber Millionen von Normalverdiener-Zockern wollen mitkassieren, wenn am Pokertisch die Bank gesprengt und sagenhafte Füllhörner ausgeschüttet werden.
Marktwirtschaft degeneriert zu Märchenstoff, an den die Öffentlichkeit desto inbrünstiger glaubt, je absurder er ausfällt: Gier als erste Bürgerpflicht. Wann sendet RTL II endlich die erste Staffel der deutschen „Money Monster“-Version? Am besten zur prime time gleich nach der news show!