Julian Radlmaier

Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes

Keine Arbeiter-Solidarität in der Obstbaum-Plantage: Bruno (Bruno Derksen, re.) klaut seinen schlafenden Kollegen Hong (Kyung-Taek Lie, li.) und Sancho (Beniamin Forti) die gepflückten Äpfel. Foto: Grandfilm Verleih
(Kinostart: 8.6.) Revolutionary Chic bei der Apfel-Ernte: Ein Jung-Filmemacher will die kommunistische Utopie inszenieren – aber eigentlich nur an seine Schauspielerin ran. Regisseur Julian Radlmaier führt satirisch die Doppelmoral seiner Generation vor.

Wer jetzt zwischen Ende 20 bis Ende 30 ist, der gehört zu einer Generation, in der viele Leute linke Ideen selbstverständlich richtig finden – und die es genauso selbstverständlich finden, dass sich diese Ideen nicht in die Realität umsetzen lassen. Deren größtes Problem zu sein scheint, dass sie keinen Grund haben, gegen ihre Eltern zu rebellieren; so, wie jene das früher gemacht haben. Eben deshalb, weil sie es damals gemacht haben. Diese Generation hat zu viel zu verlieren, um zu streiken. Diese Generation träumt von der Revolution und lebt die Konservierung des Bestehenden.

 

Info

 

Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes

 

Regie: Julian Radlmaier,

99 Min., Deutschland 2017;

mit: Julian Radlmaier, Deragh Campbell, Kyung-Taek Lie

 

Weitere Informationen

 

Natürlich sind nicht alle heutigen Mittdreißiger so. Doch von denen, die ‚was mit Kunst oder Medien machen‘, die aus Westdeutschland nach Berlin gezogen sind und die später einiges erben werden – unter denen sind es viele. Von ihnen erzählt der junge Regisseur Julian Radlmaier in seinem Spielfilm-Debüt „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“.

 

Vorgeschichte der Hunde-Verwandlung

 

Die Hauptrolle des Julian spielt Regisseur Radlmaier selbst, beziehungsweise am Anfang: ein Hund. Der Filmtitel ist ganz wörtlich zu verstehen: Julian wurde wegen konterrevolutionären Verhaltens in einen Hund verwandelt. Dabei ist der Film federleicht genug, um solche surrealen Absurditäten einzubauen, ohne dass es albern wirkt. Im Folgenden wird erzählt, wie es dazu kam: also die Vorgeschichte seiner Verwandlung.

Offizieller Filmtrailer


 

Märchen über Utopia-Schönheit

 

In dieser Vorgeschichte ist Julian ein junger Filmemacher. Da es mit der Filmförderung nicht so recht klappen will, lebt er von Hartz IV. Seine Zeit verbringt er in der Berliner Gemäldegalerie am Kulturforum, um schönen Kunststudentinnen dabei zuzusehen, wie sie die schönen Bilder ansehen. Eine von ihnen ist die Kanadierin Camille (Deragh Campbell), die ihm schon lange gefällt.

 

Um sie zu beeindrucken, erzählt er ihr von seinem Filmprojekt: Es solle „ein Märchen über die Schönheit eines kommunistischen Utopia“ werden – ob sie nicht als Schauspielerin mitmachen wolle? Nein, will sie erstmal nicht. Als sein Jobcenter-Berater ihn aber auf eine Obstbaum-Plantage schickt, um dort als Erntehelfer Äpfel zu pflücken, deutet das Julian zur Recherche über kapitalistische Produktionsbedingungen um – nun interessiert sich Camille doch dafür.

 

Pflücker beklauen sich gegenseitig

 

Julian und Camille fahren also gemeinsam auf die Plantage „Oklahoma“. Sie treffen dort auf Hong (Kyung-Taek Lie) und Sancho (Beniamin Forti), die soeben ihre jobs als Museumswärter in der Gemäldegalerie verloren haben. Alle übernachten in einem riesigen Schlafsaal; sie streiten sich darüber, ob nachts die Fenster geöffnet bleiben oder nicht, ärgern sich über ihre Chefin und klauen sich gegenseitig die Äpfel aus den Erntekörben.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der traumhafte Weg" - sprödes "Berliner Schule"-Drama von Angela Schanelec

 

und hier einen Bericht über den Film "Overgames" - Essay-Film über Re-education mithilfe von TV-Spielen von Lutz Dammbeck

 

und hier einen Beitrag über den Film "Finsterworld" - Episoden-Tragikomödie über deutsche Zustände von Frauke Finsterwalder.

 

Während Camille auf alles und jeden neugierig ist, schnell Freundschaften schließt und für die solidarische Organisation eines Streiks plädiert, bleibt Julian außen vor. Seine bürgerlichen Vorbehalte hindern ihn an engerem Kontakt zu anderen. Damit kommt er Camille kein Stück näher. „Für einen kommunistischen Filmemacher bist Du ein ziemliches Arschloch“, lautet ihr vernichtendes Urteil über ihn.

 

Hoffnung + Schrecken des Films

 

Wie in den Werken von Woody Allen findet sich in Radlmaiers Film eine Mischung aus Zynismus und Romantik, mit ein wenig Idealismus. Als Satire hat „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ eine angenehme Leichtigkeit, die im deutschen Kino ungewöhnlich ist. Anstatt mit erhobenem Zeigefinger zeigt der Regisseur Widersprüche und Absurditäten seiner Generation mit postmodern cooler Ironie.

 

Allerdings ist es Radlmaier mit seiner Komödie durchaus ernst: „Hinter dem Lachen des Films steckt eine echte Hoffnung und ein echter Schrecken: der meinetwegen pathetische Versuch, an eine andere Welt zu glauben, und das Bewusstsein, selbst an der Verhinderung dieser anderen Welt mitzuwirken“, sagt er.

 

Es bleibt Gefühl der Leere

 

Da wird ein Problem dieser Generation im Allgemeinen und dieses Films im Besonderen deutlich, das wohl ein unlösbares Dilemma ist: etwas ernst nehmen und zugleich cool persiflieren, das klappt nicht. So bleibt von diesem unterhaltsamen, originellen Film vor allem ein Gefühl der Leere zurück: leer wie eine Utopie, an die man nicht mehr glaubt.