Wer jetzt zwischen Ende 20 bis Ende 30 ist, der gehört zu einer Generation, in der viele Leute linke Ideen selbstverständlich richtig finden – und die es genauso selbstverständlich finden, dass sich diese Ideen nicht in die Realität umsetzen lassen. Deren größtes Problem zu sein scheint, dass sie keinen Grund haben, gegen ihre Eltern zu rebellieren; so, wie jene das früher gemacht haben. Eben deshalb, weil sie es damals gemacht haben. Diese Generation hat zu viel zu verlieren, um zu streiken. Diese Generation träumt von der Revolution und lebt die Konservierung des Bestehenden.
Info
Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes
Regie: Julian Radlmaier,
99 Min., Deutschland 2017;
mit: Julian Radlmaier, Deragh Campbell, Kyung-Taek Lie
Vorgeschichte der Hunde-Verwandlung
Die Hauptrolle des Julian spielt Regisseur Radlmaier selbst, beziehungsweise am Anfang: ein Hund. Der Filmtitel ist ganz wörtlich zu verstehen: Julian wurde wegen konterrevolutionären Verhaltens in einen Hund verwandelt. Dabei ist der Film federleicht genug, um solche surrealen Absurditäten einzubauen, ohne dass es albern wirkt. Im Folgenden wird erzählt, wie es dazu kam: also die Vorgeschichte seiner Verwandlung.
Offizieller Filmtrailer
Märchen über Utopia-Schönheit
In dieser Vorgeschichte ist Julian ein junger Filmemacher. Da es mit der Filmförderung nicht so recht klappen will, lebt er von Hartz IV. Seine Zeit verbringt er in der Berliner Gemäldegalerie am Kulturforum, um schönen Kunststudentinnen dabei zuzusehen, wie sie die schönen Bilder ansehen. Eine von ihnen ist die Kanadierin Camille (Deragh Campbell), die ihm schon lange gefällt.
Um sie zu beeindrucken, erzählt er ihr von seinem Filmprojekt: Es solle „ein Märchen über die Schönheit eines kommunistischen Utopia“ werden – ob sie nicht als Schauspielerin mitmachen wolle? Nein, will sie erstmal nicht. Als sein Jobcenter-Berater ihn aber auf eine Obstbaum-Plantage schickt, um dort als Erntehelfer Äpfel zu pflücken, deutet das Julian zur Recherche über kapitalistische Produktionsbedingungen um – nun interessiert sich Camille doch dafür.
Pflücker beklauen sich gegenseitig
Julian und Camille fahren also gemeinsam auf die Plantage „Oklahoma“. Sie treffen dort auf Hong (Kyung-Taek Lie) und Sancho (Beniamin Forti), die soeben ihre jobs als Museumswärter in der Gemäldegalerie verloren haben. Alle übernachten in einem riesigen Schlafsaal; sie streiten sich darüber, ob nachts die Fenster geöffnet bleiben oder nicht, ärgern sich über ihre Chefin und klauen sich gegenseitig die Äpfel aus den Erntekörben.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der traumhafte Weg" - sprödes "Berliner Schule"-Drama von Angela Schanelec
und hier einen Bericht über den Film "Overgames" - Essay-Film über Re-education mithilfe von TV-Spielen von Lutz Dammbeck
und hier einen Beitrag über den Film "Finsterworld" - Episoden-Tragikomödie über deutsche Zustände von Frauke Finsterwalder.
Hoffnung + Schrecken des Films
Wie in den Werken von Woody Allen findet sich in Radlmaiers Film eine Mischung aus Zynismus und Romantik, mit ein wenig Idealismus. Als Satire hat „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ eine angenehme Leichtigkeit, die im deutschen Kino ungewöhnlich ist. Anstatt mit erhobenem Zeigefinger zeigt der Regisseur Widersprüche und Absurditäten seiner Generation mit postmodern cooler Ironie.
Allerdings ist es Radlmaier mit seiner Komödie durchaus ernst: „Hinter dem Lachen des Films steckt eine echte Hoffnung und ein echter Schrecken: der meinetwegen pathetische Versuch, an eine andere Welt zu glauben, und das Bewusstsein, selbst an der Verhinderung dieser anderen Welt mitzuwirken“, sagt er.
Es bleibt Gefühl der Leere
Da wird ein Problem dieser Generation im Allgemeinen und dieses Films im Besonderen deutlich, das wohl ein unlösbares Dilemma ist: etwas ernst nehmen und zugleich cool persiflieren, das klappt nicht. So bleibt von diesem unterhaltsamen, originellen Film vor allem ein Gefühl der Leere zurück: leer wie eine Utopie, an die man nicht mehr glaubt.