Nichtsesshafte und fahrendes Volk kommen im Kino kaum vor. Wie auch? Schon ihre Benennung wird schwierig: Der Begriff Zigeuner ist verpönt, Sinti und Roma werden ethnisch definiert, andere Bezeichnungen charakterisieren nur kleine Teilgruppen. Zudem wollen die Betroffenen gar nicht festgelegt werden; ihr ganzes Auftreten zielt darauf ab, sich dem zu entziehen. Wobei ihre bloße Existenz der Mehrheitsbevölkerung Unbehagen bereitet – erinnert sie doch an eine nomadische Lebensweise, die ihre eigenen Vorfahren schon vor Jahrtausenden aufgegeben haben.
Info
Das Gesetz der Familie
Regie: Adam Smith,
99 Min., Großbritannien 2016;
mit: Michael Fassbender, Brendan Gleeson, Lyndsey Marshal
Kronprinz ohne Schulbesuch
Der Clan wird angeführt von Chad Cutler (Brendan Gleeson). Als Patriarch alter autoritärer Schule verbringt er die Tage im Freien auf einem Couchsessel und wacht darüber, dass alle spuren. Insbesondere sein Sohn Colby (Michael Fassbender): Zwar hat er nie eine Schule besucht, doch offenbar mehr Grips als die übrige Bande zusammen. Wenn Chad seine Leute auf Raubzüge losschickt, vertraut er seinem Sohn die Leitung an – damit kein anderer Ganove Mist baut.
Offizieller Filmtrailer
Antisoziale Privatideologie
Die Cutlers sind Berufskriminelle: Was sie brauchen, stehlen sie sich zusammen – vom Kleinwagen für einen joy ride bis zum systematischen Ausräumen luxuriöser Anwesen. Chad schmiedet die Pläne, Colby führt sie aus, alle Anderen hören auf ihr Kommando. Das rechtfertigt der Clan-Chef mit seiner antisozialen Privatideologie aus Anarcho-Sprücheklopferei und wirren Bibelzitaten. Nach dem Motto: Jesus persönlich hat uns befugt, aller Welt auf der Nase herumzutanzen.
Nun agieren die Cutlers nicht im luftleeren Raum. Es gibt Kontakte zu anderen Tunichtguten in der Gegend, die auch von Diebesgut und Hehlerei leben. Manchmal kommen sie zu einer Art Jahrmarkt zusammen, bei denen auf illegale Faustkämpfe gewettet wird und Fusel in Strömen fließt. Doch Regisseur Smith stellt seine Akteure als quasi autark dar – und verspielt damit jede Glaubwürdigkeit seines Szenarios.
Analphabeten als Kunstkenner
Angefangen mit den Hauptdarstellern: Gleeson und Fassbender machen ihre Sache gut – viel zu gut. Dass diese kultivierten Weltklasse-Schauspieler Asoziale mit wenig Affektkontrolle am Rand der Gesellschaft verkörpern sollen, glaubt man ihnen keine Sekunde lang. Am wenigsten Fassbender: Er beherrscht weder Lesen noch Schreiben, trickst aber mit raffinierter Kombinationsgabe Hundertschaften von Polizisten aus. Am albernsten wirkt das, als Colby mit seinen Handlangern angeblich aus einem Herrenhaus eine Kollektion Alter Meister klaut – Analphabeten als Kunstkenner?
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Light between Oceans" – beeindruckendes Findelkind-Drama von Derek Cianfrance mit Michael Fassbender
und hier eine Besprechung des Films "Am Sonntag bist Du tot - Calvary" – schwarzhumorige irische Sitten-Tragikomödie von John Michael McDonagh mit Brendan Gleeson
und hier einen Bericht über den Film "Ich, Daniel Blake" – packendes Sozialdrama im englischen Prekariat von Ken Loach, prämiert mit der Goldenen Palme in Cannes 2016.
und hier einen Beitrag über den Film "Parked – Gestrandet" – eindrucksvolles Kammerspiel über Obdachlose in Irland von Darragh Byrne.
Mit der Polizei vertraut
Dass die Macher keine rechte Ahnung von dem schwer zugänglichen Milieu haben, das sie porträtieren wollen, wird in etlichen Momenten deutlich. Trotz ständigen Fluchens mit four letter words drücken sich alle Protagonisten zu elaboriert aus; ihr Wortschatz ist für Angehörige der Unterschicht viel zu groß. Die anfängliche Schar von Nebenfiguren verschwindet praktisch von der Bildfläche, sobald der Vater-Sohn-Konflikt in den Vordergrund tritt – obwohl solche Sippen-Strukturen doch Stärke und Stabilität aus ihrem Gruppenzusammenhalt beziehen.
So überzeugen paradoxerweise am ehesten genre-Elemente, die mit der eigentlichen story wenig zu tun haben: etwa Colbys halsbrecherische Flucht nach einem missglückten coup oder eine Razzia der Fahnder im Morgengrauen. Das hat Tempo, Spannung und Witz – bei der Polizei kennt sich Regisseur Smith offenkundig besser aus als im Prekariat.