Da steckt wohl System dahinter: Es scheint ein US-Bundesgesetz zu geben, demzufolge alle Filmporträts berühmter Persönlichkeiten mit einer halben Stunde maßloser Lobhudelei beginnen müssen. An diese Regel hält sich auch Regisseur Mark Noonan. Seine Doku ist zwar eine weitgehend irische Produktion, weil der Architekt Kevin Roche 1922 in Dublin zur Welt kam, doch gefilmt wurde vor allem in den USA. Dorthin wanderte Roche 1948 aus.
Info
Kevin Roche:
Der stille Architekt
Regie: Mark Noonan,
82 Min., Irland/ Frankreich/ Spanien/ USA 2017;
Mies van der Rohe war ihm zu kopflastig
Nach einer halben Stunde werden die Festreden endlich von biographischen Informationen abgelöst: Der erste Entwurf des Schweinezüchter-Sohns war für einen Schweinestall. Nach seinem Studienabschluss in Dublin ging Roche nach Chicago, um sich am „Illinois Institute of Technology“ bei Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) fortzubilden, fand aber dessen rigiden International Style zu abstrakt und kopflastig. 1951 heuerte er im Architekturbüro des Finnen Eero Saarinen in Michigan an und stieg bald zum Chef-Designer auf.
Offizieller Filmtrailer OmU
Als Saarinen 1961 starb, führte Roche das Büro mit Bauingenieur John Dinkeloo weiter. Gemeinsam vollendeten sie eine Reihe von Projekten, die ihnen weithin Aufmerksamkeit verschafften: etwa den „Dulles Airport“ (1962) in Washington, D.C., das CBS-Hochhaus (1964) in New York und vor allem den „Gateway Arch“ (1966), einen riesigen Torbogen am Mississippi als Wahrzeichen für St. Louis. Über diese frühen Großtaten, die noch auf Saarinens Plänen beruhten, geht der Film rasch hinweg.
Oakland-Museum als Stadtpark
Das erste Gebäude, dem sich Regisseur Noonan ausführlich widmet, ist die 1968 errichtete „Ford Foundation“ in New York: Für eines der ersten Atrium-Hochhäuser holte Roche durch üppige Innenraum-Bepflanzung die Natur in die Stadt. Wenig später radikalisierte er dieses Konzept im „Oakland Museum of California“ (1969): Bei diesem ausladenden Komplex von locker miteinander verbundenen Einzelbauten wurden auf den Dächern ganze Gärten angelegt – ein Museum als Stadtpark.
Zukunftsweisende Ideen; inwieweit Roche sie kontinuierlich weiter verfolgte, bleibt offen. Da mögen Weggefährten noch so wortreich seinen undogmatischen, nutzerorientierten Ansatz preisen: den vorgestellten Gebäuden ist das kaum anzusehen. Das „Center of the Arts“ (1973) der Wesleyan University in Connecticut wirkt wie eine Handvoll Kalkstein-Bauklötze. Was an der Unternehmens-Zentrale von „Cummins Engine“ (1985) in Indiana herausragend sein soll, erschließt sich nicht: Etliche Firmensitze sind in mäandernden Flachbauten untergebracht.
Neo-Versailles für Bouygues-Baukonzern
Roches Markenzeichen sei, dass er kein Markenzeichen habe, sondern jede Bauaufgabe individuell löse, wird betont. Mag sein; immerhin erhielt er 1982 den Pritzker-Preis, der als Nobelpreis für Architekten gilt. Doch dem Film gelingt es nie, Roches vorgeblich überraschende Problemlösungen und Liebe zum Detail zu veranschaulichen. Stattdessen schwelgt er in Oberflächenreizen: mit endlosen Kamerafahrten entlang spiegelnder Fassaden, in Zeitlupe und brillanten Farben.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Böhms - Architektur einer Familie" - Doku über die Architekten-Dynastie von Maurizius Staerkle-Drux
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Radikal Modern: Planen und Bauen im Berlin der 1960er-Jahre" - umfassende Überblicks-Schau in der Berlinischen Galerie
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Coop Himmelb(l)au - Frankfurt Lyon Dalian" - Werkschau des dekonstruktivistischen Büros im Deutschen Architekturmuseum, Frankfurt/Main
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Zoom! Architektur und Stadt im Bild" in der Pinakothek der Moderne, München.
Noch mit 93 Jahren samstags ins Büro
Roches einziges Gebäude in seiner irischen Heimat, das Kongresszentrum von Dublin (2010), wollte er mit einem 17-stöckigen Büroturm garnieren. Er hätte die Stadtsilhouette dominiert – nach heftigen Bürgerprotesten entfiel er. Ohnehin ist der verbliebene Koloss auffällig genug: durch eine gekippte Glastrommel mit integrierten Rolltreppen als Fassade. Nachts blinkt sie grell und bunt wie ein Spielautomat; man mag das für originell halten, doch marktschreierischer kann Architektur kaum auftreten.
Doch alle Beteiligten beteuern, wie diskret und zurückhaltend Kevin Roche sei; nie habe er das Rampenlicht gesucht. Vermutlich war er zu beschäftigt: Erst mit 94 Jahren verzichtete er darauf, auch samstags ins Büro zu gehen. Die der Branche eigene Arbeitswut wird im Film ausgiebig mit Zitaten und Anekdoten gefeiert, die zumindest eine Erkenntnis befördern: Kein Wunder, dass unsere Städte so unwirtlich sind – wenn ihre Planer ein Leben lang von der Welt nicht mehr sehen als Schreibtische und Baustellen.