Als hätten sich die Verleiher abgesprochen: Im Abstand von nur drei Wochen kommen zwei Filme über die beiden berühmtesten Sängerinnen des 20. Jahrhunderts ins Kino. „Maria by Callas“ dokumentiert ihr Leben nur aus Selbstzeugnissen. „Auf der Suche nach Oum Kulthum“ ist dagegen ein Spielfilm – über die Unmöglichkeit, ihr mit einem Spielfilm gerecht zu werden.
Info
Auf der Suche nach Oum Kulthum
Regie: Shirin Neshat und Shoja Azari, 90 Min., Deutschland/Österreich/ Italien/ Marokko 2017;
mit: Neda Rahmanian, Yasmin Raeis, Mehdi Moinzadeh
Sechs Jahre Vorbereitungszeit
Grund genug für die exiliranische Künstlerin Shirin Neshat, dem größten muslimischen Star einen Film zu widmen – was bislang noch kein männlicher Kollege gewagt hat. Wie schon bei ihrem Debütfilm „Women without men“ (2009) über den Sturz des iranischen Premiers Mossadegh 1953 und die folgende Schah-Diktatur hat Neshat sechs Jahre lang daran gearbeitet. Ihre Sorgfalt sieht man dem Ergebnis an: Abermals gerät die Komposition makellos elegant. Alle Einstellungen sind von opulenter Pracht, in der jedes Detail stimmt – dieser ausgefeilte Ästhetizismus ist zugleich Stärke und Schwäche des Films.
Offizieller Filmtrailer
Karriere-Kontrolle einer Kinderlosen
Neshat, deren vielfach prämiertes Werk vor allem um die Stellung von Frauen in der islamischen Welt kreist, wollte sich nicht mit einem schlichten Biopic begnügen. Oum Kulthum hatte maximalen Erfolg, weil sie ihre Karriere völlig kontrollierte, ihre Verträge selbst aushandelte, ihr Bühnenrepertoire allein bestimmte und die Nähe zu Ägyptens Staatschefs suchte: erst zu König Faruk, später zu Präsident Nasser. Um den Preis von Einsamkeit an der Spitze: Sie blieb unverheiratet und kinderlos.
Im Film quält sich die Regisseurin Mitra (Neda Rahmanian) mit einem dürftigen Privatleben, die sich unschwer als Alter Ego von Shirin Neshat deuten lässt. Mitra will eine Filmbiographie über Oum Kulthum drehen, mit Ghada (Yasmin Raeis) in der Hauptrolle. Doch das Projekt kommt nicht recht voran, weil Mitra von Zweifeln und Ängsten heimgesucht wird. Zudem plagen sie Schuldgefühle gegenüber ihrem kleinen Sohn, der während der Dreharbeiten plötzlich verschwindet; warum, bleibt unklar.
Eine Diva für alle + alle für eine Diva
Solche Film-im-Film-Reflexionen waren während der 1970/80er Jahre in Mode, dann verschwanden sie weitgehend – weil die Selbstbespiegelung von Regisseuren nur selten zu fesseln vermag. Auch hier würde die Aufmerksamkeit rasch erlahmen, wäre das Sujet nicht so einmalig. Der Film beschränkt sich auf wenige Re-Inszenierungen von Momenten aus Oum Kulthums fast 60-jähriger Laufbahn. Doch ihr einzigartiger Gesangsstil beeindruckt jedes Mal: von ihren Anfängen im Nildelta als Mädchen in bäuerlicher Jungenkluft bis zu triumphalen Auftritten vor der Elite von Kairo.
Hintergrund
Lesen Sie hier ein Interview mit Shirin Neshat über ihren Film "Auf der Suche nach Oum Kulthum"
und hier einen Bericht über den Film "Maria by Callas" – Doku aus Selbstzeugnissen der berühmten Opernsängerin von Tom Volf
und hier eine Besprechung des Films "In den letzten Tagen der Stadt" – komplexer Kairo-Film von Ramer El Said
und hier einen Beitrag über den Film "Art War" – fulminante Doku über Street Artists in Kairo als Teil der Arabellion von Marco Wilms mit dem Islam-Kritiker Hamed Abdel-Samad.
Lieder dauerten bis zu einer Stunde
Ihre Rolle als nationales Symbol, das für Frömmigkeit und konservative Werte stand, thematisiert der Film nur ansatzweise. Vielleicht, weil die Regisseurin wenig damit anfangen kann; vielleicht, weil orientalische Zuschauer ohnehin darum wissen und westliche davon nichts wissen wollen. Das Gleiche gilt für ihren Einfluss auf arabische Kunstmusik, der sie ein neues, heute kanonisches Gepräge gab – ihre Lieder konnten bis zu einer Stunde dauern.
Für diese divergenten Elemente findet Shirin Neshat keine gemeinsame Form. Ihr Drehbuch zerfällt in Powerfrauen-Räsonnement, Schlaglichter auf Ägyptens Geschichte und kurze Rückblicke auf Sternstunden einer Ausnahme-Interpretin; all das steht kaum verbunden nebeneinander. So bekommt der Film den Mythos Oum Kulthum kaum zu fassen – doch als exquisit gestaltete Einführung in den Klangkosmos einer gewaltigen Stimme taugt er allemal.