
Alter und Armut geben ein unglückliches Paar ab. Auch die grazile Dame Candelaria (Verónica Lynn) und ihr etwas bulliger Ehemann Víctor Hugo (Alden Knight) müssen sich mit den beiden Übeln herumplagen. Zu essen gibt es meist nur wässerige Gemüsesuppen. Fleisch hatten die beiden schon lange nicht mehr. Dabei gehen die beiden Mitsiebziger noch immer arbeiten: sie als Wäschefrau in einem Hotel, er in einer Tabakfabrik.
Info
Candelaria - Ein kubanischer Sommer
Regie: Jhonny Hendrix Hinestroza,
88 Min., Kolumbien/ Kuba/ Deutschland/ Norwegen 2017;
mit: Verónica Lynn, Alden Knight, Philipp Hochmair
Überlebenskampf statt Politik
Das alte Paar lässt im Radio klaglos die Durchhalteparolen der Partei über sich ergehen – sofern der Strom nicht gerade wieder ausgefallen ist. Der Überlebenskampf beschäftigt sie mehr als die Politik. Die gefährliche Überfahrt nach Miami wie sie ihr Freund Negro (Manuel Viveros) wagen will, wäre ohnehin keine Option für sie.
Offizieller Filmtrailer
Ein rotes Kleid als Farbtupfer
Den Alten bleibt nur der Widerstand im Kleinen: Viktor schmuggelt manchmal Tabak aus der Fabrik, und Candelaria hält illegal ein paar Küken in ihrer bröckelnden, kleinen Altbauwohnung in Havanna. Doch mehr als zukünftige Fleischlieferanten sieht die kinderlos gebliebene Frau Ersatzzöglinge in ihnen.
Dies alles erzählt „Candelaria – Ein kubanischer Sommer“ im bedächtigen Tempo seiner betagten Figuren und in ruhigen, farbentsättigten Bildern, in denen allenfalls Candelarias rotes Kleid ab und zu einen Kontrapunkt setzt.
Videokamera in der Schmutzwäsche
Jahrzehntelange Gewöhnung und die schwierige Lebenslage haben die eheliche Zärtlichkeit verschlissen. Zwar singt Candelaria an manchen Abenden tief melancholische Sons voller Liebessehnsucht in einer Eckkneipe, doch die Flamme der Leidenschaft zwischen ihr und Víctor scheint verloschen.
An diesem Punkt bringt der kolumbianische Regisseur Jhonny Hendrix Hinestroza eine Videokamera ins Spiel, die er Candelaria zufällig in der schmutzigen Hotelwäsche finden lässt. Statt sie auf dem Schwarzmarkt zu verhökern, fängt das Ehepaar an, sich gegenseitig zu filmen.
Wiedergewonnenes Begehren
Der ungewohnte Blick durch das Kameraobjektiv reißt den Schleier der Gewohnheit von ihren Augen. Ihre tiefe Liebe erhält wieder Nahrung, auf der geistigen wie auf der körperlichen Ebene. Der Film kontrastiert dabei die körnigen, unmittelbar wirkenden Videoaufnahmen mit den digitalen Kamerabildern, die im Vergleich plötzlich sehr glatt wirken. Dieser visuelle Gegensatz ist durchaus reizvoll.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Letzte Tage in Havanna" - kubanische Tragikomödie von Fernando Pérez
und hier einen Beitrag über den Film "Una Noche - Eine Nacht in Havanna" - authentisches Jugend-Drama aus Kuba von Lucy Mulloy
und hier einen Bericht über den Film "Hasta La Vista, Sister" - kubanische Komödie über Sozialismus-Nostalgie von John Roberts
Bittersüße Melancholie
Dass der Regisseur in diese stille Geschichte um wiedergefundenes Begehren im Angesicht des herannahenden Lebensendes dann jedoch eine Wendung um einen abgebrühten Schwarzmarkt-Händler (Philipp Hochmair) einbaut, wirkt aufgesetzt. Er gerät zufällig an die Videoaufnahmen des Paares und verkauft das pornografische Material mit dessen Zustimmung gewinnbringend. Allein von der Liebe kann man eben auch im Alter nicht leben.
Am meisten berührt „Candelaria – Ein kubanischer Sommer“, wenn sich der Film ganz der Nostalgie und Melancholie seiner Protagonisten überlässt. Die bittersüße Gefühlsmischung in der tatsächlichen oder imaginierten Erinnerung an vergangenes Glück drückt sich vor allem in der kubanischen Musik aus. Unter anderem in den berühmten Sons, die auch Candelaria mit wahrer Gefühlstiefe singt. Dass sich dabei Kuba-Klischees und kubanische Lebenswirklichkeit unauflösbar miteinander vermengen, ist wohl kaum zu vermeiden.