
Niemand hat den so genannten Klondike-Goldrausch in Alaska ab 1896 literarisch besser beschrieben als Jack London (1876-1916); er verarbeitete in seinen Büchern eigene Erlebnisse aus seinem bewegten Leben. London kannte die Entbehrungen als Goldsucher im hohen Norden genauso wie das Matrosen-Dasein auf den Weltmeeren. Seine schnörkellos erzählten Romane beschreiben immer große Abenteuer mit vielen genau beobachteten Details und einem Quäntchen Menschlichkeit.
Info
Ruf der Wildnis
Regie: Chris Sanders,
105 Min., USA 2019;
mit: Harrison Ford, Omar Sy, Karen Gillian
In Kalifornien gekidnappt
Regisseur Chris Sanders‘ Adaption von „Ruf der Wildnis“ bedient sich ausgiebig bei CGI-Technik; animiert sind allerdings nur die Hunde sowie Teile der Landschaft. Die Handlung folgt im wesentlichen der Vorlage, die mit Beginn des Goldrauschs einsetzt. Damals herrschte in Alaska starke Nachfrage nach kräftigen Schlittenhunden zu Transportzwecken. Daher wird Buck, eine Mischung aus Bernhardiner und schottischem Schäferhund, von geldgierigen Schwarzhändlern aus seinem komfortablen Leben in Kalifornien entführt.
Offizieller Filmtrailer
Sich buchstäblich durchbeißen
Im arktischen Norden angekommen, lernt er schnell und schmerzhaft, sich anzupassen und diversen neuen Herren unterzuordnen, um zu überleben. Als Teil eines Schlitten-Rudels von Postbote Perrault (Omar Sy) kommt er bis in entlegene Teile Alaskas und beißt sich dort durch – nicht nur buchstäblich. Allmählich brechen dort seine wilden Instinkte durch; er hört den ‚Ruf der Wildnis‘ des Titels. Bevor er diesem endgültig nachgibt, lernt er den Einsiedler John Thornton (Harrison Ford) kennen; dieser gibt ihm die nötige Freiheit, sich zu entscheiden.
London schildert die Verwandlung des Hundes in einen Wolfsrudel-Anführer sehr rau und teilweise brutal. Sanders‘ Film will dagegen offenbar ein möglichst breites Familienpublikum ansprechen; er lässt nur ansatzweise durchblicken, wie düster die Vorlage aus der Hunde-Perspektive ausfällt. Statt dessen fungiert hier Bucks letzter Besitzer John Thornton als Off-Erzähler, der dem Zuschauer die grausamen Aspekte der Handlung weitgehend erspart.
Etwas vermenschlichte Computer-Hunde
Mit der Besetzung des schwarzen Schauspielers Omar Sy als Postboten und einer Frau als dessen Gehilfin Françoise – im Roman sind es ein Franzose und ein männliches „Halbblut“ – passt der Regisseur zudem die Geschichte etwas an den heutigen Zeitgeschmack an. Das schadet der Story aber nicht, obwohl manches arg harmlos daherkommt. Da gibt es zwischen den Schlittenhunden fast nur kleine Beißereien; sie enden mit Blessuren, doch nie tödlich. Dagegen sind die Bösewichte wie der skrupellose Goldsucher Hal (Dan Stevens) so überzeichnet, dass sie wie Karikaturen wirken.
Hintergrund
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Erfreulich wenig sentimental
Zu bilderbuchartig unberührt im Sonnenlicht erscheinen vor allem die verschneiten Weiten, durch die sich die Schlittenhunde kämpfen müssen; auch manchem allzu knorrig verwachsenen Baum darf man getrost misstrauen. Unübersehbar ist der Wille, eine nicht mehr vorhandene urwüchsige Flora nachzuahmen – ganz gegen den Geist der Geschichte, die von der alten Sehnsucht handelt, zur unberührten Natur zurückzukehren.
Kompensiert wird diese Künstlichkeit durch die herzensgute Figur des alten Säufers Thornton. Für diese Rolle scheint Harrison Ford wie geschaffen; als würdiger Nachfolger von Charlton Heston (1972) oder Rutger Hauer (1997), die früher diesen gebrochenen Charakter verkörperten. Damit hat Regisseur Sanders zwar keine kongeniale Verfilmung von Londons Roman geschaffen – aber für einen schönen Familiennachmittag im Kino taugt diese erfreulich wenig sentimentale Version von „Ruf der Wildnis“ allemal.