„Heute ist Wursttag“ steht auf dem Schild, das den Meisterkoch aus Shanghai Cheng (Pak Hon Chu) und seinen Sohn Nunjo (Lucas Hsuan) begrüßt, als sie nach langer Anreise in einem Dorf in Lappland aus dem Bus stolpern. Das Schild können sie zwar nicht lesen, doch die beiden haben sowieso keine Wahl, wo sie einkehren wollen. Sirkkas Gasthaus ist nicht nur die einzige gastronomische Einrichtung weit und breit, sondern zudem die Anlaufstelle, an der man ihnen vielleicht weiterhelfen kann.
Info
Master Cheng in Pohjanjoki
Regie: Mika Kaurismäki,
114 Min., Finnland/China 2019;
mit: Anna-Maija Tuokko, Chu Pak-hong, Kari Väänänen
Nichts für Hetero-Finnen
Am nächsten Tag ist schon wieder Wursttag. Als es eine Busladung chinesischer Touristen an diesen verlassenen Ort verschlägt, die von Sirkkas gastronomischem Angebot wenig beeindruckt sind, springt Cheng ein. Er kauft den kleinen Dorfladen leer und zaubert aus wenigen Zutaten eine köstliche Suppe. Obwohl einer der beiden grauhaarigen Stammgäste einwendet, dass „kein heterosexueller finnischer Mann so etwas jemals essen würde“, schmeckt es dann doch nicht nur den Touristen.
Offizieller Filmtrailer
Saunagänge + Schnapsgelage
Da die alten Käuze das Herz am richtigen Fleck haben – so wie eigentlich jeder in diesem netten und launigen, wenn auch recht vorhersehbarem Feelgood-Film – fällt es ihnen nicht schwer, ihre Begeisterung einzugestehen. Seinem Reiseziel kommt der reservierte Cheng zwar zunächst nicht näher. Doch fortan kocht er Tag für Tag in Sirkkas Gaststätte und gewinnt damit die Zuneigung der Einheimischen. Zum Verkaufsschlager entwickelt sich das Kräuter-Rentier, bei dem finnische Hausmannskost und chinesische Kochkunst zusammenfinden.
Nebenbei wird Cheng mit finnischer Lebenart vertraut gemacht: in der Sauna schwitzen, Fische fangen, Schnaps trinken und natürlich Tango tanzen. Sogar Nunjo, der bisher kaum seine Augen vom Smartphone lösen konnte, lässt sich von der kargen Landschaft in Lappland überwältigen, deren schier endlose Weite die Kamera beeindruckend einfängt.
Rentiere schmecken gut
Regisseur Mika Kaurismäki ist der ältere Bruder des international erfolgreicheren Autorenfilmers Aki Kaurismäki. Letzterer wurde zur Galionsfigur des finnischen Kinos, indem er Lakonie und Empathie mit einer eigenwilligen Bildsprache verbindet. Eine derart prägnante Handschrift vermisst man bei „Master Cheng in Pohjanjoki“ ebenso wie eine spannungsreiche Dramaturgie – auch wenn so manche hübsche Idee im Drehbuch steckt.
Etwa, als Cheng, Sirkka und Nunjo unversehens vor einer Herde Rentiere stehen: Cheng reagiert fast entsetzt, als Sirkka trocken feststellt, dass diese majestätischen Tiere ziemlich gut schmecken – normalerweise wundern sich eher Europäer, was in China alles auf dem Teller landet. So werden Klischee subtil gewendet. Mika Kaurismäki, der selbst lange im Ausland lebte, bezeichnet seinen Film als Plädoyer, Globalisierung nicht als Bedrohung zu sehen, sondern als Chance zum für beide Seiten vorteilhaften Austausch.
Finnen sagen, was sie denken
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Girl King" – Biopic über die schwedische Königin Kristina von Mika Kaurismäki
und hier eine Besprechung des Films "Kirschblüten und Rote Bohnen" – kulinarische Lebensweisheiten aus Japan von Naomi Kawase
und hier einen Beitrag über den Film "Kiss the Cook – So schmeckt das Leben!" – gelungene Gastro-Komödie von Jon Favreau
und hier einen Bericht über den Film "Lunchbox" – indisches Kulinarik-Melodram von Ritesh Batra mit Irrfan Khan.
Allerdings fehlt es der Geschichte grundsätzlich an Spannung, trotz der kulturellen Gegensätze. „Wir Finnen sagen, was wir denken“, stellt Sirkka fest; ansonsten würde das Leben zu kompliziert. Cheng dagegen will zunächst nicht einmal offenbaren, warum er seinen Sohn nicht Fahrrad fahren lässt. Trotzdem finden die beiden langsam zueinander.
Kein Problem kocht über
Bald aber droht Unbill. Chengs Visum ist abgelaufen, er soll das Land verlassen. Doch auch dieser von Bürokraten ausgelöste Konflikt wird vom Herd gezogen, bevor er hochkochen kann. So plätschert der Film geruhsam und grundsympathisch dahin. Am Ende bleibt der Nachgeschmack, dass in einer solchen Geschichte einiges mehr steckt.