Pan Nalin

Das Licht, aus dem die Träume sind

Film ist Leben und Leben ist Film: Mit gestohlene Zelluloidstreifen gestalten sich Samay (Bhavin Rabari) und seine Freunde ihre Freizeit bunter und aufregender. Foto: Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 12.5.) Dieses Licht kommt natürlich aus dem Projektor: Der indische Regisseur Pan Nalin erinnert sich an die Aufregung der ersten Kinobesuche. Als Porträt eines neunjährigen Jungen, der sein eigenes Lichtspielhaus einrichtet – gefühlsseliger Balsam für Cineasten-Seelen.

Blick zurück in Nostalgie: Wenn Regisseure in die Jahre kommen, schauen sie gerne sentimental auf Kindheit und Jugend zurück, als das Leben scheinbar noch jeden Tag etwas Aufregendes zu bieten hatte. Solch einen Moment, nämlich den ersten Kinobesuch, will der indische Regisseur Pan Nalin nicht nur wieder aufleben lassen. Er feiert auch kraftvoll und mit mehr oder weniger deutlichen Verbeugungen vor der Filmgeschichte die Magie des Kinos, der er selbst als Autodidakt erlegen ist.

 

Info

 

Das Licht, aus dem die Träume sind

 

Regie: Pan Nalin,

110 Min., Indien/ USA/ Frankreich 2021;

mit: Bhavin Rabari, Bhavesh Shrimali, Richa Meena

 

Weitere Informationen zum Film

 

Anfangs rattert eine schwarzweiße Lokomotive ins Bild; als Hommage an die Erfinder des Kinos, die Lumiere-Brüder, und deren Kurzfilm von 1895. Es ist eine kleine farbliche Irritation in der ansonsten bunten und sehr autobiografisch gefärbten Geschichte um den neunjährigen Samay (Bhavin Rabari). Der lebt mit Eltern und Schwester in einem kleinen Dorf im Bundesstaat Gujarat. Der streng religiöse Vater verkauft Tee an Durchreisende auf dem Bahnhof und bringt damit seine Familie mehr schlecht als recht durch.

 

Freundschaft mit Filmvorführer

 

Als im nächstgelegen Kino mit dem vielsagenden Namen „Galaxy“ ein Film mit religiösem Sujet läuft, darf Samay endlich zum ersten Mal dorthin. Er ist sofort gefangen von der Atmosphäre und neuen Welt, die sich für ihn auftut. Um mehr zu erleben, schwänzt er dafür sogar die Schule. Zufällig lernt er den Filmvorführer Fazal kennen (Bhavesh Shrimali), der ihn hinter die Kulissen blicken lässt; Initialzündung für eine Leidenschaft, mit der er auch seine Freunde ansteckt.

Offizieller Filmtrailer


 

Gujarati statt Hindi sprechen

 

In jedem seiner Filme taucht Pan Nalin tief in die Erlebniswelt seiner Figuren ein. So verfolgte „Samsara“ (2001) bildgewaltig das wechselhafte Lebens eines buddhistischen Mönchs, der auf Abwege gerät. Die Doku „An den Ufern der heiligen Flüsse“ (2013) feierte in malerischen Bildern „Kumbh Mela“: Beim größten Fest der Welt versammeln sich alle zwölf Jahre Millionen von Hindus. Ganz anders war der kammerspielartige Film „7 Göttinnen“ (2015) angelegt: Darin leuchtete eine Gruppe von Freundinnen bei Hochzeits-Vorbereitungen ohne Tabus alle Aspekte des Frauseins im heutigen Indien aus.

 

Mit „Das Licht aus dem die Träume sind“ wendet sich der Regisseur nun seinen Erinnerungen zu, mitunter sehr gefühlsselig; dabei bewegt er sich offensichtlich auf vertrautem Terrain. Erstmals lässt er seine Schauspieler nicht Hindi sprechen, wie es in nordindischen Filmen üblich ist, sondern im regionalen Idiom Gujarati; das kam sicher den überzeugend agierenden Kinderdarstellern zugute, die unter Tausenden von Bewerbern ausgewählt wurden.

 

Kochkunst als Eintrittskarte

 

Obwohl zu Beginn 2010 als Jahr der Handlung genannt wird, verorten nur Mobiltelefone das Geschehen in der nahen Vergangenheit. Samays Familie wohnt entlegen an einem Feld; das muss er jeden Morgen überqueren, um den Zug zu erreichen, der ihn in die nächste Stadt zur Schule bringt. Dabei trägt er Leckereien bei sich, die seine Mutter liebevoll vorbereitet hat. Sie erweisen sich als Eintrittskarte in die Kinowelt, denn die Gattin des Filmvorführers Fazal ist keine begnadete Köchin.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "An den Ufern der heiligen Flüsse" – Dokumentation über das indische Kumbh-Mela-Fest am Ganges von Pan Nalin

 

und hier eine Besprechung des Films "Mitternachtskinder"  – grandiose Verfilmung von Salman Rushdies Indien-Epos von Deepa Mehta

 

und hier ein Beitrag über den Film "Original Copy -Verrückt nach Kino" – Dokumentation über indischen Film-Plakatmaler von Florian Heinzen-Ziob und Georg Heinzen

 

und hier ein Bericht über den Film "Lunchbox" – berührendes Kulinarik-Melodram aus Indien von Ritesh Batra mit Irrfan Khan.

 

Während dieser genüsslich mampft, kann Samay alle Ecken des Projektionsraums erkunden und den Film durch die Luke immer wieder betrachten. Er hilft beim Filmrollenwechsel und lernt alles kennen, was beim klassischen Kinobetrieb im Hintergrund abläuft, während heimelig die uralten Projektoren rattern. Fazal tritt dabei als Bezugsperson und netter, weltgewandter Onkel auf, der dem Jungen das Leben erklärt und ihn akzeptiert, wie er ist.

 

Kino als kollektives Erlebnis

 

Ganz anders als der Vater, zumal Samays Schwänzen irgendwann ruchbar wird: Sein Sohn soll es ja mal besser haben und nicht wie er selbst um seine Existenz bangen, wenn die Züge nicht mehr wie bisher am Bahnhof halten. Trotzdem wünscht sich der Junge bald, selbst einmal Kinobilder zu schaffen. Er starrt durch bunte Glasscherben, die seine Mutter kunstvoll auf der Veranda drapiert hat. Oder er organisiert mit Freunden ein eigenes Kino: mit einem Projektor, den sie aus Schrott zusammenbauen, und blassen Filmschnipseln, die sie live vertonen.

 

Ein herzergreifender Moment; er rechtfertigt den schmalzigen Titel und relativiert manche Szene, in der Regisseur Nalin zu sehr in Selbstverwirklichung schwelgt, wodurch die mit visuellen Zitaten gespickte Handlung etwas prätentiös und gewollt naiv erscheint. Damit erinnert Nalin daran, was Kino als kollektives Erlebnis im vollbesetzten Saal auslösen kann. Das ist Balsam für alle Cineasten-Seelen: als Hommage und zugleich Abgesang auf eine Epoche, in der selbst in Gujarat schnöde Digitaltechnik Einzug hält.