Vor einem Berliner Szenelokal wird die bekannte Schauspielerin Anna (Sophie Rois) von einem deutlich jüngeren Mann überfallen. Er rempelt sie an und entreißt ihr die Handtasche. Sie fällt dabei auf die Knie und kann ihm nur hinterher starren. Zwar verfolgen zwei Zeugen aus dem Lokal den Täter und nehmen ihm die Tasche wieder ab, doch bei Anna bleibt eine Verletzung. Eine von vielen, die Anna derzeit aushalten muss.
Info
A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe
Regie: Nicolette Krebitz,
104 Min., Deutschland/ Frankreich 2022;
mit: Sophie Rois, Milan Herms, Udo Kier, Nicolas Bridet
Vermieter ist Annas größter Fan
Inzwischen lebt Anna davon, drittklassige Filme zu synchronisieren. Allerdings scheitern auch diese Jobs regelmäßig am Aufeinanderprallen ihrer Prinzipien mit den Zumutungen der Branche. Daher ist die Freundschaft mit ihrem Vermieter und größtem Fan Michel (Udo Kier) Annas wichtigster verbliebener Anker in der Welt – ihr Mann hat vor Jahren Selbstmord begangen.
Offizieller Filmtrailer
Ab der ersten Sitzung stimmt die Chemie
Der junge Mann, der sie überfallen hat, heißt Adrian (Milan Herms). Er ist eine Waise mit ADHS und von keiner seiner Pflegefamilien je wirklich angenommen worden; daher gilt er als schwieriger Fall. Von ihrem Arzt vermittelt, landet Adrian bei Anna; sie soll ihm Sprechunterricht erteilen. Das ist nicht zuletzt auch als Therapie für Anna gedacht: Diese Aufgabe soll ihr Stabilität geben und reale Erfolgsmomente bescheren.
So stehen sich bald Täter und Opfer in Annas geräumiger Wohnung mit leeren Zimmern und altmodischer Einrichtung gegenüber. Und das Wunder gelingt: Von der ersten Sitzung an stimmt die Chemie zwischen beiden, die auf Neugier beruht. Wechselseitig erkennen und akzeptieren sie ihre Eigenheiten, wegen derer ihre Umwelt sie als kaum gesellschaftsfähig empfindet, und nähern sich behutsam einander an. Adrian findet zum ersten Mal im Leben seine Stimme, und in Anna erwachen Begehren und Liebesfähigkeit; damit hatte sie nicht mehr gerechnet.
Moderater als Liebe-zu-Wolf-Film
Was zunächst etwas konstruiert wirkt, entwickelt sich zur nachvollziehbaren Liebesgeschichte zwischen zwei Außenseitern. Beide können den Erwartungen, die Dritte an sie herantragen, kaum entsprechen. Dafür entdecken sie aber in ihrem Miteinander sehr schnell und konkret, wer sie sind und was gut für sie ist. Dass sie ihre Zweisamkeit entschlossen gegen das Unverständnis ihres Umfelds verteidigen, versteht sich – und führt zur Flucht nach Frankreich, ins Land der Liebe.
Mit ihrem vierten Spielfilm setzt Regisseurin Nicolette Krebitz da an, wo sie mit dem letzten aufgehört hatte, gibt sich aber moderater. In „Wild“ (2016) hatte die unmögliche Liebe der Protagonistin Ania einem Wolf gegolten; entsprechend fantastisch wirkte am Ende ihre Kompromisslosigkeit. In „A E I O U“ scheint zunächst die Charaktere ebenfalls sehr viel mehr zu trennen als zu verbinden, doch sind die Hürden hier nicht ganz so hoch.
Anna nackt durch halb Nizza tragen
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Alles in bester Ordnung" - unmögliche Liebesgeschichte zwischem älterer Schauspielerin und jungem Dieb von Natja Brunckhorst
und hier eine Besprechung des Films "Zimmer 212 - In einer magischen Nacht" – musikalische Tragikomödie über Ehebrecherin, die junge Liebhaber bevorzugt, von Christophe Honoré mit Chiara Mastroianni
und hier ein Beitrag über den Film "Die schönen Tage" – leichthändiges Liebesdrama von Marion Vernoux mit Fanny Ardant + jungem Liebhaber
Der Film beobachtet sie dabei, wie sie gemeinsam allerlei Dinge tun, die Liebende eben miteinander machen – nur dass es Anna und Adrian etwas mehr Überwindung kostet und mehrerer Anläufe bedarf. Dafür wird dann aber alles auch ordentlich ausgekostet; etwa wenn Adrian nachts Anna nackt durch halb Nizza nach Hause trägt.
Mutmachendes Liebesmärchen
Ihnen bei ihren Annäherungen zuzusehen, berührt tatsächlich. Sophie Rois hat sich die Art, mit der sie die kantige Diva verkörpert, während ihrer eigenen langen Karriere erarbeitet, als wäre sie immer schon ein Ziel ihrer Schauspielkunst gewesen. Dagegen ist der 20-jährige Milan Herms in diesem Film in seiner ersten größeren Rolle zu sehen, was er mit sehenswert körperlicher Präsenz meistert.
So wirkt „A E I O U“ vor allem als Mut machendes Märchen von der echten Liebe: einmal erblüht, macht sie keine Zugeständnisse. In Zeiten, in denen Amouröses und Erotik immer gefährdeter erscheinen, verteidigt Regisseurin Nicolette Krebitz beharrlich das Bestehen auf der eigenen Lust. Zur Not auch gegen alle Chancen und Wahrscheinlichkeiten.