Margot Robbie + Brad Pitt

Babylon – Rausch der Ekstase

Nellie LaRoy (Margot Robbie) in Ekstase. Foto: © Paramount Pictures
(Kinostart: 19.1.) Hollywood sehen und sterben: Regisseur Damien Chazelle zeigt die Anfänge der US-Filmindustrie als monumentalen Mahlstrom, der alle Akteure verschlingt. Dabei feiert seine opulente Ausstattungsorgie die dämonischen Reize der Traumfabrik, doch nach furiosem Auftakt geht ihr bald die Puste aus.

Kalifornien 1925: Am Rand der Wüste mühen sich drei Männer damit ab, einen Elefanten rechtzeitig zu einer Premieren-Party zu schleppen. Der Kontrast der Szenerie ist enorm: Um sie herum erstreckt sich weites, dürres, unerschlossenes Land – einen Hügel weiter steht ein Märchenschloss, das allen Komfort der Zivilisation bietet: von exklusiven Speisen über eine Big Band bis zu exotischen Drogen.

 

Info

 

Babylon – Rausch der Ekstase 

 

Regie: Damien Chazelle,

189 Min., USA 2023;

mit: Brad Pitt, Margot Robbie, Diego Calva, Tobey Maguire

 

Weitere Informationen zum Film

 

Bevor er Einlass zu dieser dekadenten Sphäre erhält, muss der mexikanische Filmfan Manuel „Manny“ Torres (Diego Calva) erst einmal den Elefanten hinbringen. Der entleert sich unter Protest, im womöglich ersten Shitstorm des jungen Hollywoodkinos. Dann öffnen sich die Tore zur ersten großen Szene des Films: Eine entfesselte Kamera fliegt durch das Xanadu eines neureichen Filmproduzenten, vorbei an tanzenden, koksenden und kopulierenden Komparsen. Mitten im Getümmel trifft Manny auf das aufstrebende Starlet Nellie LaRoy (Margot Robbie): Willkommen in Babylon!

 

Sündenpfuhl der Juden + Kommunisten 

 

Hollywood und Babylon sind ein unzertrennliches Begriffspaar. Die US-Traumfabrik wird schon fast so lange mit dem biblischen Hort der Gottlosigkeit und Sünde verglichen wie dort überhaupt Filme gedreht werden. Die Gleichsetzung stammt von der christlichen Rechten, die dort seit jeher den Leibhaftigen in Form von Juden und Kommunisten am Werk sieht.

Offizieller Filmtrailer


 

Checkliste mit kritischen Tönen

 

Sie wurde zum Allgemeingut, als Kenneth Anger 1959 „Hollywood Babylon“ veröffentlichte: ein Enthüllungsbuch über die dunklen Seiten der Filmindustrie von Los Angeles, geschrieben in der Sprache der alten Hollywood-Klatschgazetten. Hätte jemand diese Geschichten adaptiert, wäre das ein wütender Film geworden: eine Abrechnung mit dem Zynismus der Reichen und ihrer Misogynie, deren ungebrochene Tradition von den Gründervätern bis zum Fall Harvey Weinstein reicht. Doch so eine Selbstdemontage hätte Hollywood nie riskiert.

 

Im Gegenteil: Filmstoffe, mit denen es sich selbst beweihräuchert, sind mittlerweile heiße Oscar-Kandidaten. Keiner weiß das besser als Damien Chazelle. Der Regisseur und Autor hat diese Formel mit „La La Land“ höchst erfolgreich aktualisiert; sein Neo-Musical erhielt 2017 sechs Academy Awards. Freilich schlägt Chazelle in „Babylon“ auch kritische Töne an – aber auf eine merkwürdig pflichtschuldige Art, als hätte er eine Checkliste abzuarbeiten.

 

Arbeitsplätze mitten in der Wüste

 

Ja, das Studio-System forderte etliche Opfer, und schon klar: lesbische Affären waren Karrierekiller. Auch Rassismus ist wohl vorgekommen – aber schaut her, was diese Teufelsbraten mit dürftigen Mitteln auf die Reihe bekommen haben! Das ist der Gestus von Chazelles Film. Wie zum Beweis führt er uns nach der Party und kurzer Katerstimmung an die Arbeitsplätze: In der zweiten großen Massenszene dreht Manny im Simi Valley mit Stummfilmstar Jack Conrad (Brad Pitt) eine Love Story, während direkt nebenan Nellie LaRoy ihr Debüt in den Kulissen eines Western-Saloons gibt.

 

Studios im heutigen Sinne gab es damals noch nicht; Film-Sets wurden irgendwo in der Landschaft aufgebaut. Dass beim Dreh nebenan Schüsse fielen und Pferde wieherten, störte nicht, da alle Film stumm waren. Warum Chazelle auch noch ein Orchester in der Wüste herumsitzen lässt, bleibt rätselhaft. Vermutlich wäre es sonst nicht bombastisch genug geworden. Aber dieses deplatzierte Detail enthüllt auch die Denkfaulheit und erzählerische Leere des Films.

 

Keinen Mucks beim Tonfilm-Dreh

 

Der verplempert in den ersten 48 Stunden seiner Handlung zwei Drittel seines Herzbluts – und springt fortan hektisch im Dekaden-Rhythmus voran. Thematisiert wird anschließend der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm. Das gibt abermals Anlass zu Komik, weil nun am Set alle Mitwirkenden keinen Mucks mehr machen dürfen, sobald gedreht wird. Doch auf den vorhersehbaren Lauf der Geschichte hat dies kaum Einfluss.

 

Wie erträumt findet Manny einen Job beim Film und verzehrt sich dabei vergeblich nach Nellie. Weil diese am Set keine Zicken an den Tag legt und weiß, was Männer wollen, macht sie ein paar Jahre lang Karriere, um schließlich – zu alt und kaputt – vom Studio-System ausgespuckt zu werden. Beim Versuch, sie zu retten, verliert auch Manny seine Position im Filmgeschäft. Stummfilmstar Jack Conrad geht ebenfalls unter; sein Ruin ist der Tonfilm, den er ironischerweise zuvor als ästhetische Neuerung begrüßt hat.

 

Nebenfiguren mit Allegorie-Pflichten

 

Zuweilen tauchen interessante Nebenfiguren auf: ein Jazz-Trompeter, eine lesbische Nachtclub-Sängerin, die obligatorische Klatschreporterin, eine fähige Regisseurin, und als einziger nichtfiktionaler Charakter der legendäre Filmproduzent Irving Thalberg (Max Minghella). Doch nachdem sie ihre quasi allegorische Pflicht erfüllt haben, verschwinden sie im Mahlstrom eines Epos, dem nach furiosem Auftakt die Puste ausgeht.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "La La Land" - mit sechs Oscars prämiertes Neo-Musical mit Emma Stone und Ryan Gosling von Damien Chazelle

 

und hier eine Besprechung des Films "Once upon a time… in Hollywood" über die Traumfabrik Hollywood von Quentin Tarantino mit Margot Robbie + Brad Pitt

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Artist" - ergreifende Hommage an Vorkriegs-Hollywood von Michel Hazanavicius, prämiert mit fünf Oscar 2012.

 

und hier einen Bericht über den Film "Hail, Cesar!" - ideenreiche Komödie über Hollywoods Studio-System in den 1940/50ern mit Starbesetzung von Joel + Ethan Coen.

 

Als der Rausch verflogen ist, folgt eine unerfüllte Liebesgeschichte samt ein paar Referenzen, Stilübungen und Variationen von sattsam Bekanntem. Mittendrin: Brad Pitt, der einmal mehr den inneren Clark Gable entfesselt und wie ein Relikt wirkt, das als Verkörperung eines Relikts besetzt wurde. Was der ganze Wirbel soll, bleibt unerfindlich. Ein Kessel Buntes – Hauptsache, es wirkt so aufgepumpt und überwältigend wie die Filmmusik.

 

Widerspruch von Makel + Schönheit

 

Dem zeitgenössischen Modetanz Charleston trauten die Macher offenbar nicht den nötigen Wumms zu; also dominiert eine Art Marching-Band-Techno die Tonspur. So bleiben vor allem die beiden monumentalen Massenszenen am Anfang in Erinnerung, bei denen sich Regisseur Chazelle als Meister des Timings und der grimmigen Komik erweist. Sowie die Funken sprühenden Auftritte von Margot Robbie, die diesen ansonsten arglosen und affirmativen Film aber auch nicht vor der Belanglosigkeit retten kann.

 

Wer aufgrund des Titels einen kritischen Blick auf jene Jahre erwartet, wird enttäuscht. Dass das Studio-System über Leichen ging und Mächtige stets straflos blieben, egal was auf ihrer Besetzungscouch vorging – all das ist nichts Neues, aber auch kein Stoff für einen Hollywood-Film. Diesem Widerspruch entkam schon die Sandalenfilm-Komödie „Hail Caesar!“ (2016) der Regie-Brüder Joel und Ethan Coen nicht. Wer der Traumfabrik ihre Makel vorhält, kann offenbar nicht anders, als gleichzeitig über ihre Schönheit zu schwadronieren.