Timm Kröger

Der Titel ist ein bisschen größenwahnsinnig

Regisseur Timm Kröger. Foto: Heike Blenk
Inspiration schlägt Berechnung: Am Anfang seines Films “Die Theorie von Allem” standen innere Bilder von Schwarzweiß-Bergen, Physikern auf Skiern und einem Hotel mit Geheimnis, erzählt Regisseur Timm Kröger. Die Handlung sei bewusst so konstruiert, dass man sie beim ersten Ansehen nicht verstehen kann.

Herr Kröger, ganz ehrlich: Waren Sie in der Schule gut in Physik?

 

Es ging so. Was es mit der Heisenbergschen Unschärfe-Relation auf sich hat, habe ich nie ganz begriffen. Viel interessanter fand ich, dass Physiklehrer immer idiosynkratrische Figuren waren, die sich mit den großen Fragen beschäftigten.

 

Welche Fragen stellt Ihr Film?

 

Info

 

Die Theorie von Allem

 

Regie: Timm Kröger,

118 Min., Deutschland/ Österreich/ Schweiz 2023;

mit: Jan Bülow, Olivia Ross, Hanns Zischler, Gottfried Breitfuß 

 

Website zum Film

 

Gibt es ein Schicksal oder einen göttlichen Plan? Gibt es eine Wahrheit? Wir alle neigen dazu, uns im Rückblick einzureden, unser Leben sei vielleicht nicht optimal, aber zumindest so verlaufen, wie es hätte sein sollen. Genauso suggerieren Filme in der Regel eine Art schicksalhafte Fügung, indem sie meist nur eine Geschichte mit einem Ende erzählen.

 

Keine Bedeutung außer man gibt sie

 

Aber wenn man die Idee der Multiversen metaphysisch betrachtet, wie es die Popkultur seit längerem praktiziert, tut sich dahinter ein riesiger Abgrund auf. Dann besteht die Möglichkeit, dass unsere Entscheidungen ganz arbiträr verlaufen und dies in unserem Universum egal ist. Dann gibt keine andere Bedeutung außer der, die Menschen sich gegenseitig verleihen. Dann kann es nicht nur eine wahre Geschichte geben – und davon handelt der Film.

Offizieller Filmtrailer


 

Erich Kästner trifft Alfred Hitchcock

 

Wie haben Sie, ausgehend von dieser Idee, Ihr Multiversum geschaffen?

 

Schon an der Filmschule hatte ich das Gefühl, dass mein früher mathematisches Gehirn sich allmählich auflöste und ich immer mehr in eine Welt abdriftete, in der ich mich fragte: Was ist die nächste richtige Idee? Was begeistert mich? Plötzlich kam mir dieser Titel in den Sinn: Die Theorie von Allem.

 

Ich sah vor meinem inneren Auge Berge in Schwarzweiß, skifahrende Physiker, ein Geheimnis unter einem Hotel. Eine Welt, in der Erich Kästner auf US-Paranoia wie in Hitchcock-Filmen trifft. Daraus hat mein Drehbuchautor Roderick Warich schließlich eine Geschichte entwickelt, die zu solchen Figuren und Atmosphären passte; von ihm stammt auch die Idee mit den Parallelwelten.

 

Genie oder Idiot?

 

Spätestens seit dem mehrfachen Oscar-Gewinnerfilm „Everything Everywhere All at Once“ liegen Multiversen in der Popkultur im Trend. Worin unterscheidet sich Ihre Geschichte von anderen Variationen des Themas?

 

Ich glaube, dass wir einen Film gemacht haben, bei dem man derlei nicht erwartet, zumal bei diesem 1960er-Jahre-Autorenfilm-Look. Er begibt sich bewusst in die Vergangenheit und zeigt ein exotisch antiquiertes Bild der Schweiz, das man allenfalls aus alten Filmen kennt. Diesen Eindruck sollen Musik und Bilder evozieren.

 

Darüber hinaus spielt psychologischer Horror eine Rolle: als Paranoia, die unter einer Romanze schlummert und in der vorgeblichen Heldenreise. Es geht um falsche Erinnerungen und einen jungen Physiker, von dem wir nicht wissen, ob er ein Genie oder ein Idiot ist. Dieses Verwirrspiel wird von der latenten Angst begleitet, ob man das richtige Leben lebt oder nicht.

 

Dunkler als Thomas Manns “Zauberberg”

 

Besteht nicht bei einem Verwirrspiel, wie Sie es beschreiben, die Gefahr, dass man sich darin leicht verlaufen kann?

 

Auf den ersten Blick ist der Film sicher sehr unklar. Ich wollte einen Film machen, der zwar nicht schwierig konstruiert ist, der aber so viele Fragen aufwirft, dass man ihn beim ersten Ansehen unmöglich verstehen kann. Der Zuschauer soll anfangen, seine eigenen Theorien zu entwickeln, die aber wieder zusammenstürzen, wenn neue Hinweise kommen.

 

Worauf haben Sie bei der Anlage der Erzählung speziell geachtet?

 

Ich wollte dem Publikum nicht den Boden unter den Füßen wegreißen, deshalb wird die Handlung relativ linear erzählt. Dazu gehört auch, dass der Protagonist Johannes Leinert bis auf kurze Momente mehr oder weniger der gleiche Mensch bleibt, der sich fragt, was zur Hölle vor sich geht. Er ist ein klassischer Bildungsreisender; allerdings wird er in viel dunklere Dinge verstrickt wird als etwa in Thomas Manns „Zauberberg“.

 

Dessen Romanheld Hans Castorp wird zwar intellektuell und emotional gefordert, aber in meinem Film wird die Realität selbst auf den Kopf gestellt. So wird Johannes wie oft im Film Noir zu jemandem, der nicht handelt, sondern der einem Geheimnis hinterherjagt, dass er verstehen möchte – und wir mit ihm.

 

Erinnerungen verunmöglichen Liebe

 

Ist die vermeintliche Romanze zwischen Johannes und Karin für Sie der Kern des Ganzen?

 

Ja, mir ging es von Anfang an auch um eine Liebesgeschichte. Sie wird von einer tragischen Komponente unterhöhlt: Karin scheint einen anderen Mann aus einer anderen Welt zu kennen, der Johannes gar nicht sein kann. Genaueres weiß sie auch nicht, was an ihren falschen Erinnerungen liegt.

 

Ihre Liebe wird sozusagen tragisch gebrochen, weil sie in dieser Welt nicht existieren kann. Ich glaube, dass wir alle dieses Gefühl kennen: Manche Verbindungen zwischen Menschen fühlen sich traumwandlerisch richtig an, aber lassen sich nicht herstellen.

 

Inspiration vs. Skepsis

 

Ihr Protagonist Johannes trifft ständig auf Widerstand. Ging es Ihnen bei der Arbeit am Film ähnlich?

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Theorie von Allem"

 

und hier eine Besprechung des Films "Dunkel, fast Nacht" – vielschichtiger Mystery-Thriller über NS-Hinterlassenschaften in Polen von Borys Lankosz

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die Entdeckung der Unendlichkeit" – stimmiges Biopic über das Physik-Genie Stephen Hawking von James Marsh 

 

und hier einen Bericht über den Film "Schilf – Alles, was denkbar ist, existiert" – theoriesatter Quantenmechanik-Psychothriller von Claudia Lehmann nach Roman von Juli Zeh.

 

Das fing schon beim Drehbuchschreiben an. Zum Beispiel behauptet unser Protagonist, er habe seine Theorie geträumt. Die Geschichte der Naturwissenschaften ist voller derartiger Fälle von Inspiration, die mich sehr beeindrucken. Mein Skript-Autor Rodereck hat dagegen die Figur des Dr. Strahten entworfen, der als Skeptiker dieser Form von Esoterik nichts abgewinnen kann. Ich empfinde diesen Gegensatz als sehr produktiv.

 

Titel hält Versprechen nicht

 

Der Filmtitel ist eine gewagte Behauptung, die Erwartungen weckt. Provozieren sie gern?

 

Ich glaube, das Kino braucht solche Titel, wenn vielleicht auch nicht bei jedem Film. Aber ich fand ihn passend, weil ich schon immer von der Idee einer Weltformel fasziniert war. Bis heute suchen manche Physiker danach, auch wenn man mittlerweile weiß, dass es eine Theorie, die alles erklärt, mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht gibt.

 

Aber das Konzept ist ultrainteressant; da wir wissen, dass es so etwas – zumindest: noch – nicht gibt, liegt darin ein Versprechen. Mit anderen Worten: Der Titel ist ein bisschen größenwahnsinnig. Obwohl wir schon wissen, dass er sein implizites Versprechen nicht halten kann, sind wir trotzdem neugierig darauf, was stattdessen passieren wird.