„Vergebung bedeutet, jede Hoffnung auf eine bessere Vergangenheit aufzugeben“ – so wird zu Filmbeginn ein buddhistischer Bestsellerautor zitiert. Demnach zielte Rache im Gegenteil zur Vergebung darauf, die Vergangenheit im Nachhinein verbessern zu wollen. Die durch ein Unrecht aus den Fugen geratene Welt zurück ins Lot zu bringen; dass dies nicht gelingen kann, lehren Geschichte und Physik. Ungeachtet dessen erfreut sich das Sujet der Rache quer durch alle Genres seit jeher großer Beliebtheit.
Info
15 Jahre
Regie: Chris Kraus,
143 Min., Deutschland/ Österreich/ Luxemburg 2023;
mit: Hannah Herzsprung, Albrecht Schuch, Hassan Akkouch
Weitere Informationen zum Film
Seelisch verletzte Systemsprengerin
Für Regisseur Chris Kraus ist „15 Jahre“ die Fortsetzung seines eigenen Autorenfilm-Erfolgs „Vier Minuten“ von 2006. Als deutlich ältere Erwachsene ist Jenny immer noch die Systemsprengerin, als die sie damals vorgestellt wurde: seelisch verletzt, auf der Suche nach Orientierung und Ausdrucksmöglichkeiten. Die musikalisch Hochbegabte verachtet weiterhin jede Mittelmäßigkeit, von der sie aber ständig umgeben ist, zum Beispiel in der Therapiegruppe. Insbesondere drückt sich das aus in ihrem Verhältnis zur naiv-gutmütigen Wolke (Stefanie Reinsperger), die regelmäßig unter Jennys Ausbrüchen zu leiden hat.
Offizieller Filmtrailer
Talentshow als Bühne für Rache
Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, als Jenny mit ihrer Gruppe zum Putzen in die Musikhochschule kommt, in der einst ihr Talent entdeckt wurde. Hier trifft sie auf den seinerzeit hoffnungslos in sie verliebten Harry Mangold (Christian Friedel). Der hat es zwar selbst nicht zum Virtuosen gebracht, ist aber im Musikbusiness gut vernetzt und verdient entsprechend Geld. Er bringt sie gegen ihren anfänglichen Widerstand dazu, gemeinsam mit seiner Entdeckung, dem syrischen Musiker Omar Annan (Hassan Akkouch), bei einer Talentshow anzutreten.
Star und Moderator dieser Show ist allerdings ihre einstige Jugendliebe – derjenige, der sie einst verraten und damit ihr erlittenes Martyrium zu verantworten hat. Unter dem sprechenden Künstlernamen Gimmiemore (Albrecht Schuch) ist er zur international erfolgreichen Pop-Instanz avanciert. Seine Präsenz ist der eigentliche Anreiz für Jenny, an der von ihr zutiefst verachteten Show teilzunehmen. So wird Gimmiemore zum Ziel ihrer finsteren Mord- und Rachepläne. Daran vermag zunächst auch die Tatsache nichts zu ändern, dass er ohne Perücke und Make-up von Krebs im Endstadium gezeichnet ist.
Intuition vs. Gerechtigkeitsgefühl
Aufkeimende zarte Gefühle zwischen Jenny und Omar haben es in dieser Situation ebenfalls schwer. Stattdessen kommt immer wieder die große Frage zur Sprache, was im Leben Vorrang habe – Gerechtigkeit wiederherzustellen oder das eigene Los anzunehmen, um seine angenehmen Seiten zu genießen, die darin auch enthalten sind. Wenn der Film dabei droht, in Kitsch abzugleiten, rettet ihn immer wieder Jennys Wahlspruch: „So lange du lebst, verschwende dich!“ Das tut sie ausgiebig. Dabei können Drehbuch und Darstellerin dem Charakter durchaus ambivalente Züge abgewinnen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Blumen von Gestern" - aberwitzig groteske Tragikomödie zur NS-Aufarbeitung mit Hannah Herzsprung von Chris Kraus
und hier einen Beitrag über den Film "Systemsprenger" – mit acht Deutschen Filmpreisen prämiertes Problemkind-Drama von Nora Fingscheidt mit Albrecht Schuch
und hier eine Besprechung des Films "Promising Young Woman" - mitreißender Rachefeldzug einer jungen Frau mit Carey Mulligan von Emerald Fennell.
Rache-Drama überzeugt trotz Schwächen
Darstellerisch können in „15 Jahre“ eine Reihe bekannter TV-Gesichter mehr von ihrem Können zeigen als im öffentlich-rechtlichen Abendprogramm. Dazwischen ragen Albrecht Schuch und mehr noch Hannah Herzsprung durch die Intensität ihres Spiels deutlich hervor. Zudem gelingt es Kamera, Schnitt und Musik, eine düstere, spannungsgeladene Grundstimmung zu erzeugen, die den Film in Richtung Finale treibt. Diese wird immer wieder gebrochen durch überraschend schöne Bilder und Sequenzen, die in Momenten kurzfristigen Glücks Hoffnung auf ein besseres Leben machen.
Zwar hat das Drehbuch einige Schwächen, denn es bemüht mehr als einmal Klischee-Bilder für Klischee-Situationen, doch das kann man Regisseur Kraus nachsehen. Abgesehen davon gelingt ihm mit der Fortsetzung seiner Jenny-Saga auch ohne die verstorbene Monica Bleibtreu, was schon „Vier Minuten“ aus dem deutschen Film-Durchschnitt heraushob: ein stark gespielter Genre-Film mit Musik.