Reinaldo Marcus Green

Bob Marley: One Love

Bob Marley (Kingsley Ben-Adir) bei einem Auftritt. Foto: Paramount Pictures Germany
(Kinostart: 15.2.) The Harder They Come: Der Reggae-Ikone wird ein Biopic gewidmet. Als Quasi-Staatsakt: Die gesamte Familie Marley und halb Jamaica sind daran beteiligt. Womit sich Regisseur Reinaldo Marcus Green übernimmt – in seinem Messias-Porträt spielt dessen künstlerische Entwicklung keine Rolle.

43 Jahre nach seinem Tod wird auch Reggae-Legende Bob Marley mit einem Biopic bedacht. Witwe Rita, Sohn Ziggy und viele andere Marleys haben ko-produziert: „One Love“ ist das offizielle Erinnerungs-Manifest einer Familien-Dynastie. Das kann Vorteile haben – doch eine Garantie für einen guten Film es nicht.

 

Info

 

Bob Marley: One Love

 

Regie: Reinaldo Marcus Green,
104 Min., Jamaika/ USA 2023;

mit: Kingsley Ben-Adir, Lashana Lynch, James Norton

 

Website zum Film

 

Zu den positiven Effekten des Nepotismus zählt eine gewisse Authentizität. Für den Nationalheiligen ließen sich auf Jamaika Heerscharen von Statisten mobilisieren. Originalschauplätze wurden hergerichtet oder nachgebaut, eine lokale Crew engagiert und Familienmitglieder eingespannt. So wird Marleys Bassist Aston „Family Man“ Barrett, der am 3. Februar verstorben ist, kompetent von seinem eigenen Sohn verkörpert; die Sängerin Marcia Griffiths von ihrer Nichte Naomi Cowan.

 

Überforderter Marley-Darsteller

 

Allerdings gehören sie damit zu den vielen Figuren, die der Film nur als Stichwortgeber benutzt und ansonsten links liegen lässt. Einzig Marleys Frau Rita (Lashana Lynch) und sein später geschasster Manager Don Taylor (Delroy Brown) haben deutliche Konturen; alle übrige Aufmerksamkeit gilt der Titelfigur. Deren Darsteller erweist sich als heillos überfordert.

Offizieller Filmtrailer


 

Dem Film fehlen vibrations

 

Sicher: Kingsley Ben-Adir hat Bob Marleys eigenwilligen Tanzstil eifrig studiert. Doch sein mimisches Ausdrucksspektrum beschränkt sich auf einen versonnenen Blick, was in der Regel bedeutet, dass Bob Marley gerade nachdenkt. Dann knipst er ein entwaffnendes Lächeln an und entspannt die Situation mit einem lebensklugen Spruch. Das ist auch die einzige Form von Humor, die sich der Film leistet.

 

Wenn biografisch belegte Interviews und Garderobengespräche nachgestellt werden, springt kein Funke über. Sobald im Archiv-Material, das in den Film hinein geschnitten wurde, der echte Bob auftaucht, schrumpft sein Darsteller auf das Format eines verschmitzten Posers. Nicht nur ihm fehlt, was Marley von seinen Musikern explizit einfordert; nennen wir es vibrations. Dieses Defizit durchzieht den gesamten Film.

 

Von 1976 bis 1978

 

Dagegen nimmt die Musik den ihr gebührenden Platz ein, wird aber je nach Gemütslage auch mit Streichern und Stadionhall verrührt. Das ist im Biopic mittlerweile üblich, aber meist ein Zeichen dramaturgischer Schwäche. In einer Szene wird Marley von seinen Musikern gefragt, wie er das Konzert denn beginnen wolle. Kurzes Nachdenken, strahlendes Lächeln: „Am Anfang!“ Das hätte Regisseur Reinaldo Marcus Green sich ruhig zu Herzen nehmen können.

 

Anstelle einer chronologischen Erzählung verdichtet er das Geschehen auf die Jahre 1976 bis 1978. Es wird gerahmt von zwei großen Wailers-Konzerten auf der Karibikinsel. Gezeigt wird nur das erste. Mit „Smile Jamaica“ wollte Marley bei freiem Eintritt einer von Wirtschaftskrise und Flutkatastrophe demoralisierten Bevölkerung sein Lebensthema nahebringen: Einigkeit, Frieden und Liebe.

 

Doku-Händedruck statt Mega-Konzert

 

Doch das Konzert fiel mitten in den Wahlkampf; der wurde auf Jamaica mit einer bis dahin nicht gekannten Waffengewalt ausgefochten. Marley geriet zwischen die Fronten: Bei einem Attentat wurde der Sänger angeschossen, ebenso Rita und Manager Don Taylor. Doch mit den Hintergründen des Anschlags, die etwa in einer Doku von 2018 ausgeleuchtet werden, hält sich die Handlung nicht lange auf.

 

Sie folgt Marley ins britische Exil und auf eine Europatournee, bevor er für das „One Love Peace Concert“ nach Jamaika zurückkehrt. Damit wollte er explizit die politischen Gräben überbrücken. Anstelle des Konzerts zeigt der Film aber nur dokumentarische Aufnahmen des von ihm erwirkten Händedrucks der verfeindeten Parteiführer.

 

Wie Jesus, der Händler aus Tempel jagt

 

Im Jahr 1978 weiß Marley inzwischen, dass er an Hautkrebs leidet. Doch auch dieser thematische Strang wird am Ende durch eingeblendeten Text brüsk gekappt. Was genau der Film bis dahin erzählen möchte, erschließt sich also nur mit viel gutem Willen. Anekdotisch zementiert er den Status von Bob Marley als charismatischer Ikone mit froher Botschaft und weltweiter Wirkmacht. Dass der Mann auch Schwächen hatte, wird dabei eingeräumt.

 

Vor allem Rita dürfte wichtig gewesen sein, seine dauernde Untreue zumindest zu erwähnen. Dass er auch jähzornig werden konnte, musste sein Manager erfahren: Nachdem er Geld veruntreut hatte, verabreichte ihm der Sänger zum Abschied eine Tracht Prügel. Wer hier an Jesus denkt, der die Händler aus dem Tempel jagt, liegt nicht falsch. In der Bildsprache des Films sind die Analogien zum christlichen Messias Legion.

 

Lee Perry tanzt auf Mischpult

 

Jedoch durch die Brille der Rastafari-Religion betrachtet: Bobs eigene Initiation wird in einer von mehreren Rückblenden gezeigt. Mit ihnen unterbricht der Film immer wieder seinen ohnehin recht unfokussierten Erzählfluss, indem er sich quasi selbst erläutert. So entwickelt sich „One Love“ zu einer Art „Oppenheimer“-Film auf Patois; das Publikum muss viel mitdenken.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Marley" – fesselnde Doku über die Reggae-Ikone Bob Marley von Kevin Macdonald

 

und hier eine Besprechung des Films "Journey to Jah" – Doku über weiße Reggae-Stars auf Jamaika von Noël Dernesch + Moritz Springer

 

und hier einen Beitrag über den Film "Lee Scratch Perry's Vision of Paradise" – Doku über den genialen Reggae-Dub-Produzenten von Volker Schaner.

 

und hier einen Bericht über den Film "The First Rasta" über Leonard Percival Howell, Gründer der Rastafari-Religion.

 

Auch die einzige aussagekräftige Studioaufnahmen-Szene besteht aus einer Rückblende. Der junge Bob spielt mit seinen „Wailers“ bei der jamaikanischen Produzenten-Legende Coxsone Dodd vor; anwesend ist auch Marleys späterer Produzent Lee „Scratch“ Perry. Zuerst ernten die Musiker mit ihrem Repertoire aus US-Schnulzen nur Schulterzucken. Dann erstreiten sie sich eine Zugabe; nach wenigen Takten ihres eigenen Songs „Simmer Down“ tanzt Lee Perry auf dem Mischpult des „Studio One“.

 

Visionen mystischer Vaterwahl

 

Man würde gern mehr solcher Szenen sehen. Sie machten nachvollziehbar, wie aus einem Talent auf einer unterentwickelten Karibik-Insel ein internationaler Superstar werden konnte. Doch Marleys Entwicklung als Künstler bleibt komplett ausgespart. Sie findet nur auf metaphysischer Ebene statt: In wiederkehrenden Visionen, die ihn offenbar stets zu Konzertbeginn heimsuchen, löst sich Marley allmählich vom Phantom seines abwesenden leiblichen Vaters, einem britischen Kolonial-Offizier.

 

Der ihm zugeordnete weiße Tropenhelm, der mehrfach vor brennendem Horizont aufleuchtet, entpuppt sich jedoch als Kopfschmuck des 1975 gestürzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie, der von Rastafaris kultisch verehrt wird. Viel mehr als diese mystische Vaterwahl bleibt von „Bob Marley: One Love“ leider nicht hängen. Fast alles andere ist schon in anderen Filmen detaillierter und kritischer erzählt worden.