Grit Lemke

Bei uns heißt sie Hanka

Traditionelle Hochzeit: Hanka und Ignac zelebrieren ihren großen Tag in sorbischer Tracht. Foto: © Neue Visionen Filmverleih
(Kinofilm: 18.4.) Auf der Suche nach der unbekannten Minderheit: Regisseurin Grit Lemke beleuchtet sorbische Identität abseits von Folklore-Klischees. Ihre sehr persönliche Doku stellt mit einem Kaleidoskop von Begegnungen diverse Aspekte des Sorbischseins vor – als Einladung, es selbst zu entdecken.

Das Computer-Textverarbeitungsprogramm ist störrisch: Stets will es die Wörter Sorbe, Sorbin oder sorbisch zu Serbe, Sorge oder serbisch korrigieren. Der Dokumentarfilm „Bei uns heißt sie Hanka“ bestätigt dies: Das Sorbische gilt allzu häufig als Abweichung von der deutschen Mehrheitsnorm.

 

Info

 

Bei uns heißt sie Hanka

 

Regie: Grit Lemke,

92 Min., Deutschland 2023;

 

Weitere Informationen zum Film

 

Schon vor etwa 1500 Jahren besiedelten slawische Stämme das Gebiet zwischen Oder und Elbe/Saale. Im Laufe der Jahrhunderte gab es immer wieder geografische Verschiebungen. Bis heute besteht ein Kernsiedlungsgebiet in der Ober- und Unterlausitz. Dort, also im Osten Sachsens und im Süden Brandenburgs, sind die Ortseingangsschilder zweisprachig, und viele Menschen kennen eine sorbische und eine deutsche Variante ihres Namens.

 

Rückbesinnung im Erwachsenenalter

 

Nach offiziellen Angaben gibt es derzeit etwa 60.000 Sorben in Deutschland; etwa die Hälfte soll ihre westslawische Sprache aktiv verwenden. Etliche von ihnen tun dies erst im Erwachsenenalter, im Zuge einer Rückbesinnung auf ihre sorbische Identität. So legt es der Film nahe, ohne jedoch mit konkreten Zahlen aufzuwarten. Doch was macht diese Identität überhaupt aus? Von außen wird Sorbentum vor allem mit altertümlichen Trachten, filigran bemalten Ostereiern und demonstrativ praktiziertem Katholizismus assoziiert.

Offizieller Filmtrailer


 

Traditionen + Legenden

 

Zudem gibt es bekannte Legenden wie die von Krabat oder der Mittagsfrau. Dass sorbisches Brauchtum nicht nur musealen Charakter hat, sondern weiterhin aktiv praktiziert wird, zeigt Regisseurin Grit Lemke mit Bildern von einer traditionellen sorbischen Hochzeit, die sich wie ein roter Faden durch den Film ziehen. Die junge Braut ist jene Hanka des Film-Titels, die durch ihren traditionsbewussten Ehemann ihr Sorbischsein entdeckt.

 

Bei vielen Gesprächspartnern geht es um eben diese Wiederentdeckung einer verschütteten und oft auch verleugneten Identität. So auch bei Grit Lemke selbst, der als Kind gesagt wurde, sie solle nicht rumlaufen „wie ’ne wend’sche Hanka“. Der Begriff „Wenden“ als Zuschreibung für Sorben hat in vielen Zusammenhängen einen abwertenden Beiklang.

 

Kaleidoskop modernen Sorbischseins

 

So ähnelt die Suche der Dokumentarfilmerin nach ihren eigenen sorbischen Wurzeln derjenigen ihrer Protagonisten und Protagonistinnen. Dabei drängt sich Grit Lemke als Reiseleiterin nicht auf, sondern führt als sanft begleitende Stimme durch den Film. „Bei uns heißt sie Hanka“ ist ein Kaleidoskop von Begegnungen mit Menschen, die ihr Sorbischsein auf unterschiedliche Art verstehen.

 

Neben dem jungen Brautpaar ist das unter anderem das links-alternative Künstlerinnenkollektiv „Wakuum“, das zeigen will, dass sorbische Kultur auch jenseits tradierter Formen lebendig ist, zum Beispiel in der Malerei oder der Rap-Musik. Ein junger Fußballfan aus Cottbus hingegen sympathisierte mit Rechtsextremen, bevor er seine sorbische Identität entdeckte. Ein Imker erzählt, wie seine Eltern ihr Sorbischsein als etwas gesehen hätten, das man besser versteckt.

 

Individuelle Bekenntnisse

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Mittagsfrau" – episch-sinnliche Verfilmung des Bestsellers von Julia Franck von Barbara Albert mit Mala Emde

 

und hier eine Besprechung des Films "In den Gängen" – poetische Kleine-Leute-Studie in Ostdeutschland von Thomas Stuber mit Sandra Hüller

 

und hier einen Beitrag über den Film "Klasse Deutsch" – Dokumentation über Integrationsbemühungen durch Sprachunterricht von Florian Heinzen-Ziob

 

und hier einen Bericht über den Film "Newo Ziro – Neue Zeit" – Dokumentation über Sinti + Roma in Deutschland von Robert Krieg + Monika Nolte.

 

Lemkes Film zeigt, wie breit das Spektrum sorbischer Kultur und Identität ist – deutlich breiter, als gemeinhin von der deutschen Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen wird. Dabei überrascht, dass es oftmals eher um ein bewusstes Bekenntnis zu dieser westslawischen Kultur geht als um Verwurzelung durch Geburt und Erziehung. Aber warum sollte es überhaupt DEN Sorben geben, meint treffend der Schriftsteller Jurij Koch im Film; DEN Deutschen gäbe es schließlich auch nicht.

 

Der Film reißt komplexe Themenfelder an, bleibt in der Regel aber auf der individuellen Ebene und ordnet das Gezeigte kaum in größere Kontexte ein. So könnte ein Einzelaspekt wie der Verlust sorbischer Siedlungsgebiete durch den Braunkohlentagebau in der Lausitz einen eigenen Film füllen. Auch bleibt nebulös, welche internen Debatten hinter der Frage nach dem Recht auf ein eigenes Territorium stecken, oder was eine Reise sorbischer Vertreter zum EU-Parlament bewirken soll. Es ist umstritten, so viel wird klar.

 

Persönliche Auseinandersetzung

 

Daher ist der sorgfältig geschnittene und mit einem einprägsamen Soundtrack aus sorbischen Liedern unterlegte Film in erster Linie eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis eines Volkes, das seit Jahrhunderten im Schatten der deutschen Mehrheit lebt. Es ist kein Film über die Sorben, versucht aber, ihre Perspektive zu vermitteln. So ermutigt die Dokumentation dazu, selbst zu entdecken, was sich hinter den zweisprachigen Namen der Lausitz verbirgt.