Mala Emde

Die Mittagsfrau

Karl (Thomas Prenn) und Helene (Mala Emde) kommen sich näher. © 2023 - Wild Bunch Germany, Lucky Bird Pictures.Foto: Nick von Nostitz
(Kino-Start: 28.9.) Ohnmacht und Mythos: Mit sinnlichen Bildern und großer Geste adaptiert Regisseurin Barbara Albert den preisgekrönten Bestseller von Julia Franck. Wenn die Inszenierung unter dem Druck der Vorlage ächzt, schultert Hauptdarstellerin Mala Emde eindrucksvoll die Last allein.

Helene (Mala Emde) war schon immer ein seltsames Kind. Ihre ältere Schwester Martha (Liliane Amuat) nennt sie liebevoll „Engelchen“, aber so unschuldig ist sie nicht. Helene ist fasziniert vom menschlichen Körper, von der Seele und vom Tod. Am liebsten würde sie Martha, die als Pflegerin arbeitet, in der Klinik besuchen, um ein paar Leichen zu sehen. Wenn sie groß ist, will sie einmal Ärztin werden. Aber die Chancen stehen nicht gut.

 

Info

 

Die Mittagsfrau

 

Regie: Barbara Albert,

136 Min., Deutschland/ Schweiz/ Luxemburg 2023;

mit: Mala Emde, Max von der Groeben, Thomas Prenn

 

Weitere Informationen zum Film

 

Seit ihre psychisch kranke Mutter Selma (Eli Wasserscheid) „am Herzen erblindet“ ist, wie Martha es formuliert, müssen die Schwestern sich umeinander kümmern. Auch Männer gibt es in der Familie Würsich keine mehr. Die Brüder sind im Ersten Weltkrieg gefallen, der Vater ist nie von der Front zurückgekehrt. Das jahrelange Warten hat seine Frau verrückt gemacht. Jetzt erkennt sie ihre Töchter nicht mehr.

 

Flucht in die Stadt

 

Als Helene zufällig von der Existenz ihrer Tante Fanny (Fabienne Elaine Hollwege) in Berlin erfährt, gibt es für die Schwestern kein Halten mehr. Ende der 1920er Jahre fliehen sie aus der Bautzener Provinz zur mondänen Dame in die Großstadt und stürzen sich ins Leben. Mit 17 ist Helene noch zu jung, um Medizin zu studieren. Aber dank ihrer Tante kann sie bei einem befreundeten Apotheker arbeiten, um das Geld für die Ausbildung zusammenzusparen. Bald lernt sie den verträumten Literaten Karl (Thomas Prenn) kennen und lieben; für einen Moment scheint ihre kleine Welt fast perfekt zu sein.

Offizieller Filmtrailer


 

Ein hoher Preis

 

Doch mit der Machtübernahme der Nazis verliert Helene nicht nur ihre große Liebe. Martha und Fanny fliehen vor dem, was kommt. Helene will bleiben, aber den  „Ariernachweis“, den man von ihr verlangt, kann sie nicht aufbieten. Zum Glück sieht man ihr die jüdische Herkunft nicht an. Der SS-Mann Wilhelm (Max von der Groeben), der in sie verliebt ist, besorgt Helene eine neue, „unbelastete“ Identität. Aber auch die hat ihren Preis.

 

Barbara Albert hat sich mit ihrer Verfilmung keine leichte Aufgabe gestellt. Der 2007 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnete Bestseller von Julia Franck ist ein episch angelegtes und sprachlich eindringliches Werk. Die Handlung erstreckt sich bis weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus. Zu diesem Zeitpunkt ist Helenes von Gewalt und Bevormundung überschattete Vernunftehe mit Wilhelm längst in die Brüche gegangen. Alles, was ihr bleibt, ist ein Kind, das sie nicht will.

 

Mythos als Rahmen

 

Gerahmt wird die Geschichte vom Mythos der Mittagsfrau. Eine alte Legende besagt, dass man mit ihr reden muss, wenn man sie in der glühenden Mittagshitze auf dem Feld trifft, sonst verliert man den Verstand. So erklärt es Helene dem einsilbigen Bauern, der ihr zu Beginn des Films an seinem Küchentisch ernst gegenübersitzt. Anschließend zeigt Regisseurin Albert mittels Rückblenden, warum Helene an diesem schwülen Sommertag zu dem fremden Mann aufs Land gefahren ist.

 

Die österreichische Regisseurin erzählt mit großer filmischer Sinnlichkeit von einer jungen Frau, die den fatalen historischen Umständen zum Trotz ihren Weg geht. Elegantes Wechselspiel aus Licht und Schatten verleiht den Bildern Räumlichkeit und Tiefe. Oft konzentriert sich die Kamera ausschließlich auf die bemerkenswerte Ausdrucksstärke von Emdes Gesicht.

 

Im Wandel der Zeit

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Licht" – bildgewaltiges Historien-Drama von Barbara Albert

 

und hier eine Besprechung des Films "Fabian oder Der Gang vor die Hunde" – atmosphärisch stimmige Verfilmung des Roman-Klassikers von Erich Kästner durch Dominik Graf

 

und hier einen Bericht über den Film "Hinterland" – historischer Thriller im Wien der 1920er Jahre von Stefan Ruzowitzky mit Max von der Groeben

 

und hier einen Beitrag über den Film "Berlin Alexanderplatz" – Verfilmung des 1920er-Jahre-Epochenromans von Alfred Döblin durch Burhan Qurbani mit Albrecht Schuch.

 

Trotzdem wirkt die Adaption in sich nicht immer stimmig. Den Szenen aus der frühen Kindheit der Schwestern haftet eine Künstlichkeit an, die im Kontrast zur Lebendigkeit der Partyszenen in den Berliner Jahren steht. Auch wenn die Regisseurin zur großen Geste ansetzt, geht es manchmal schief: Etwa wenn Helene und Karl eines Nachts verliebt und nackt durch die Straßen rennen, oder die junge Mutter ihren neugeborenen Sohn mit schmerzverzerrtem Gesicht an der wunden Brust trägt.

 

Am wirkungsvollsten ist Alberts Inszenierung dagegen, wenn es darum geht, ein Gefühl für den Wandel der Zeiten und Stimmungen zu vermitteln. Erst merkt man es kaum, wie die Farben im Verlauf der Erzählung immer blasser, Helenes Kleider immer zweckmäßiger werden. Bis Wilhelm seine Frau nur noch missbilligend anschaut. „Was trägst du da für einen Fetzen“, rügt er sie, als er einmal ohne Voranmeldung in der gemeinsamen Wohnung steht. Die Arbeit im Krankenhaus hat er Helene verboten; zum Putzen ist ihr Hauskleid gut genug.

 

Beeindruckende Hauptdarstellerin

 

Immer wieder muss die junge Frau schwerwiegende Entscheidungen treffen. Immer mehr spürt man, wie die brutale Realität auf ihre schmalen Schultern drückt. Und es ist die spannende Ambivalenz in Emdes Spiel, die Alberts Verfilmung auf beeindruckende Weise zusammenhält. Ihre darstellerische Kraft ist für die Intensität der Bilder wesentlich. Mit viel Verve und Feingefühl verkörpert Emde eine Figur, die sich konsequent dem Leben stellt – egal, wie das Schicksal sich dreht.