Dakota Johnson + Sean Penn

Daddio – Eine Nacht in New York

Girlie (Dakota Johnson) und der Taxifahrer Clark (Sean Penn). Foto: © 2024 LEONINE Holding GmbH
(Kinostart: 27.6.) Taxifahrt als Therapie: Aus einer Standardsituation entwickelt Christy Hall in ihrem Regie-Debüt ein so intimes wie spannendes Kammerspiel. Während draußen der Verkehr stockt, nutzen zwei Fremde die Anonymität der Großstadt, um in ihrem Gefühlsleben zu wühlen.

Manchmal ist eine spontane Unterhaltung mit Fremden lehrreicher als der Austausch mit der besten Freundin oder dem besten Freund, gerade weil die beteiligten Personen nichts übereinander wissen. Ohne Vertrautheit lässt sich mitunter besser Vertrauen entwickeln und so das Allgemeine im Spezifischen erkennen. Das ist genau der Reiz des Films „Daddio – Eine Nacht in New York“ der US-Regisseurin Christy Hall.

 

Info

 

Daddio - Eine Nacht in New York

 

Regie: Christy Hall,

101 Min., USA 2023;

mit: Dakota Johnson, Sean Penn, Marcos A. Gonzalez

 

Weitere Informationen zum Film

 

Der Plot lässt sich schnell zusammenfassen: Eine junge Frau (Dakota Johnson) steigt in am New Yorker Flughafen JFK in ein Taxi und unterhält sich unterwegs mit dem Fahrer (Sean Penn). Sein Fahrgast möchte nach Hause in Midtown in Manhattan. „Ah, das gute alte Midtown“, sagt Taxifahrer Clarke wissend. Mit diesem unverfänglichen Allgemeinplatz legt er den Grundstein für eine Unterhaltung, die den gesamten Film füllen wird.

 

Monolog zum Auftakt

 

Zunächst ist es allerdings eher ein Monolog. Der gesprächige Clarke, Ende 50, beschwert sich über Kreditkarten: Weil niemand mehr in bar zahle, bekomme er kaum noch Trinkgeld. Überhaupt nervten ihn Smartphones, die die Leute ständig in ihren Händen hielten. Er ist positiv überrascht, dass seine Kundin gerade keines benutzt – und irrt sich. Die den ganzen Film über namenlos Bleibende (im Drehbuch schlicht „Girlie“ genannte) Frau behält ihr Telefon die gesamte Zeit über im Auge.

Offizieller Filmtrailer


  

 

Verkehr stockt, Gespräch nimmt Fahrt auf.

 

Als das Taxi in einem Stau auf dem Highway zum Stehen kommt, beginnt Clarke, Fragen zu stellen. Wo sie herkomme, was sie beruflich mache, ob sie hier geboren sei und nicht zuletzt: ob sie liiert sei. Seine Fragen werden immer intimer, ohne dass er dabei aufdringlich wirkt. Clarke, der nach eigener Auskunft seit 20 Jahren Taxi fährt, ist dank seiner Erfahrung zum Hobby-Psychologen geworden. Immer wieder überrascht er die Frau mit Mutmaßungen, die sich als wahr erweisen.

 

Als er mit der Annahme richtig liegt, dass seine Kundin einen Liebhaber hat, der verheiratet, beruflich sehr erfolgreich und wesentlich älter als sie selbst ist, nimmt das Gespräch Fahrt auf. Die Frau, die sich bisher mit selbstbewusstem Kaugummikauen eine gewisse Souveränität und Distanz erhalten hat, kommt aus der Deckung und offenbart intime Details ihres Beziehungslebens. Dieses ist allerdings ebenso klischeehaft gezeichnet wie das von Clarke, der eine Frau sucht, die vor allem gut aussieht. Das wirkt etwas bemüht und aus der Zeit gefallen.

 

Der unsichtbare Dritte

 

Dennoch gelingt es Regisseurin Christy Hall in ihrem Debüt-Film, die nächtliche Fahrt über die Dauer von rund 100 Minuten spannend zu gestalten. Für Rhythmus sorgen dabei kurze Zwischensequenzen, die immer wieder den Dialog der ungleichen Protagonisten unterbrechen. Nur zu diesen Gelegenheiten wird das Taxi von außen gezeigt. Plötzlich ist der Straßenlärm zu hören, während im Hintergrund die Skyline New Yorks zu sehen ist – ein harscher Kontrast zur friedlichen Stille im Auto. Momente des Schweigens werden überbrückt mit eingeblendeter Musik und wechselnden Nahaufnahmen der Gesichter. 

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Beziehungsweise New York"turbulente transatlantische Patchwork-Komödie von Cédric Klapisch

 

und hier eine Besprechung von David Cronenbergs "Cosmopolis" – Verfilmung eines Romans von Don DeLillo, die überwiegend in einer durch New York cruisenden Stretch-Limousine spielt.

 

sowie einen Beitrag über den Film "No Turning Back (Locke)" – eindrucksvolles Auto-Kammerspiel, in dem Tom Hardy am Steuer mit seinem Telefon und seinen Problemen ganz allein bleibt

 

und hier einen Bericht über den Film "Holy Motors" - schräg-stilisierter Episodenfilm ebenfalls mit Stretch-Limousinen von Leos Carax.

 

Und dann ist da noch die dritte, wenn auch unsichtbare Figur: der mysteriöse Mann, mit dem die Frau heimlich auf ihrem Handy chattet. Es ist jener Liebhaber, von dem Clarke bereits erraten hat, dass er wesentlich älter ist als sie. Er schickt ihr Genitalbilder und verlangt dafür von ihr Nacktfotos. Ihr Blick erweckt manchmal den Anschein, als zöge sie es ernsthaft in Erwägung, während sie das Handy vor Clarkes Blicken in den Rückspiegel verbirgt. Es ist eine faszinierende Nebenhandlung ohne echte Handlung.

 

Vertrauen zwischen Fremden

 

Zum anderen wird die Spannung gehalten durch die schauspielerischen Leistungen von Johnson und Penn. Alles basiert auf der Chemie zwischen ihnen. Sie pendelt stets zwischen erotischem Knistern und Sympathie, besonders, wenn die beiden unangenehme persönliche Geheimnisse austauschen. Am stärksten sind die Szenen, in denen sie sich verletzlich zeigen. So ringt Clarke mit den Tränen, als er gefragt wird, ob er seine Ex-Frau vermisse. Der jungen Frau zufolge haben beide diese Verwundbarkeit, die sie im Taxi an den Tag legen, in ihren eigenen Beziehungen nie gezeigt.   

 

Durch die Konzentration auf zwei Personen wird der Zuschauer hier selbst zum Küchen-Psychologen. So bleibt am Ende dieses gelungenen Auto-Kammerspiels ein interessantes Fazit. „Daddio“ zeigt, dass Fremde in einer neutralen Umgebung durchaus bereit sind, einander ihre tiefsten Geheimnisse anzuvertrauen. Die einfühlsame Regiearbeit von Hall macht diese Nachtfahrt zu einer faszinierenden Studie über das Beziehungsleben in der Großstadt.