Tilda Swinton

Problemista

Elizabeth (Tilda Swinton) stellt Alejandro (Julio Torres) einem Bekannten vor. Foto: © FreezeCorp LLC . Fotoquelle: Universal Pictures International
(Kinostart: 13.6.) Auf Du und Du mit der Drama Queen: Ein Latino-Einwanderer ohne US-Aufenthaltsgenehmigung gerät an eine kratzbürstige Kunstkritikerin. Seine verspielte Alter-Ego-Nabelschau inszeniert Regisseur Julio Torres bar jeder Plausibilität – als Gag-Revue ohne Ahnung vom Kunstbetrieb.

Elizabeth meckert, nörgelt und schimpft unentwegt. Sie keift und zetert, spuckt Gift und Galle, klagt die ganze Welt an und macht jeden zur Schnecke, der ihr in die Quere kommt. Weil nie etwas so ist, wie es sein sollte, nichts ihren Erwartungen entspricht, dauernd etwas schief oder kaputt geht. Ihr Leben ist ein ständiger showdown, ein ewiger Kampf gegen den Eigensinn der Dinge und der Mitmenschen, bei dem sie stets verbal aus allen Rohren feuert.

 

Info

 

Problemista

 

Regie: Julio Torres,

104 Min., USA 2023;

mit: Julio Torres, Tilda Swinton, RZA, Catarina Saavedra

 

Weitere Informationen zum Film

 

In dieser Rolle ist Tilda Swinton eine Wucht. Mit feuerrot gefärbter Mähne, irrlichternd stechendem Blick und grotesken Designer-Kleidern zwischen Esoterik-Hexe und Kleinstadt-Domina gibt sie eine ungenießbare Kratzbürste, die überall verbrannte Erde hinterlässt. Selbst wenn man ihr entgegen kommt: Wenn ein Kellner klein beigibt und bittet, zu warten, damit er seinen Chef holen könne, schleudert die Furie ihm entgegen: „Sie wollen uns hier wohl als Geiseln festhalten?“.

 

Fabeldrachen ohne edlen Ritter

 

Ihr Mann Bobby – gespielt von Rapper RZA, dem Kopf des „Wu-Tang Clan“ – nannte sie zärtlich „meine Hydra“. Sehr treffend: Würde man ihr das Schandmaul stopfen, wüchsen sogleich andere nach. Zu jedem Fabeldrachen gehört aber auch ein edler Ritter, der es mit ihm aufnimmt. Und da fangen die Probleme von „Problemista“ an.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Milchbubi als armes Würstchen

 

Hauptfigur Alejandro könnte unscheinbarer und langweiliger kaum sein. Regisseur Julio Torres spielt ihn selbst, was Spekulationen erübrigt, ob es sich um sein Alter Ego handelt. Wie Torres kommt Alejandro aus El Salvador; wie Torres muss Alejandro lange bangen, ob er eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für die USA erhält; und wie Torres jagt Alejandro einem exzentrischen Traum nach. Wobei er nicht wie Torres TV-Comedian werden will, sondern Spielzeug-Designer für den US-Branchengiganten „Hasbro“, Hersteller von u.a. „Monopoly“ und „My little Pony“.

 

Gut möglich, dass sich Torres bei seiner Ankunft in New York wirklich als derart armes Würstchen empfand. Ein Milchbubi mit Topfdeckel-Haarschnitt und sedierter Mimik in nichtfarbenen Streetwear-Klamotten, der wie ein Kaninchen hoppelt. Immer einen Rucksack tragend, den er nicht einmal ablegt, wenn er sich aus Geldnot von betuchten Schwulen als Nacktputzer anheuern lässt. Zugleich quasi verwachsen mit seinem Smartphone; das braucht er vor allem, um Mama Dolores (Catarina Saavedra) in El Salvador sein Leid zu klagen und sich von ihr Tipps geben zu lassen.

 

Unmotivierte Episoden für schnelle Lacher

 

Wie Alejandro an Elizabeth gerät, ist mindestens so abstrus wie die Charaktere selbst. Als ihr Mann Bobby, ein mäßig erfolgreicher Maler, an Krebs starb, ließ er sich einfrieren, um eines Tages aufgetaut und geheilt werden zu können. Kryokonservierung ist teuer; um Geld aufzutreiben, will Elizabeth eine Verkaufsausstellung mit Werken ihres toten Gatten organisieren, der nur Riesen-Eier vor abstrakten Hintergründen malte. Dabei soll Alejandro ihr als persönlicher Assistent zur Hand gehen; als Belohnung will sie ihm zum Bleiberecht verhelfen.

 

Selbstredend sind Bobbys simple Eier-Gemälde weit verstreut, natürlich läuft nichts wie geplant. Das dürftige Setting dient Julio Torres nur dazu, nach sitcom-Manier unmotivierte Episoden aneinander zu reihen, die für schnelle Lacher taugen – von Leuten, die keine Ahnung vom Kunstbetrieb haben. Ob der authentisch wirkt, kümmert den gelernten Gag-Schreiber keinen Deut; Hauptsache, er lässt sich ins Lächerliche ziehen.

 

Generationswechsel-Diagnose

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der Mann, der seine Haut verkaufte" – präzis-groteske Kunstbetriebs-Satire über Bürgerkriegs-Flüchtling von Kaouther Ben Hania

 

und hier eine Besprechung des Films "Memoria" – vieldeutig schillernde Erinnerungs-Fabel von Apichatpong Weerasethakul mit Tilda Swinton

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Square" – gallige Kunstmarkt-Satire aus Schweden von Ruben Östlund, prämiert mit Goldener Palme 2017

 

und hier einen Bericht über den Film "Ich und Kaminski" – ausgefeilte Kunstbetriebs-Tragikomödie von Wolfgang Becker mit Daniel Brühl.

 

Folglich ist hier alles völlig unrealistisch. Eine wandelnde Giftspritze wie Elizabeth könnte niemals seriöse Medien mit Kunstkritiken beliefern. Kein Sammler würde ihr erlauben, großformatige Leinwände mit der U-Bahn zu transportieren. Fände sie endlich eine Galerie für die Retrospektive, wären Bobbys Werke nicht im Nu verkauft. Und Heimchen Alejandro würde nie in eine cool-as-fuck-WG aufgenommen, deren Mitbewohner ständig schnaps- und drogenbefeuerte Partys feiern.

 

Doch Plausibilität spielt für Torres keine Rolle: Ihm geht es um verspielte Selbstbespiegelung. Was durchaus einen Nerv der Zeit trifft: Man kann „Problemista“ als Diagnose eines Generationswechsels betrachten. Kreative Freaks mit Ecken und Kanten sind Auslaufmodelle; die Zukunft gehört glattgebügelten Migranten-Mäuschen, denen alles andere egal ist, solange ihnen nur ihr persönliches Vorankommen gelingt.

 

Kein Date mit Alejandro

 

Ob Regisseur Torres diese soziale Dimension seiner Einwanderer-Nabelschau bewusst ist? Zumindest eines macht sie deutlich: Mit Elizabeth würde man gerne ausgehen, wenn sie nicht gerade einen grottenschlechten Tag hat. Mit ihrem Assistenten Alejandro auf keinen Fall.