
Gleichviel, ob man Tom Tykwers Filme mag oder sie zu überladen und verspielt findet – eines kann man dem Regisseur sicher nicht vorwerfen: einen Mangel an Mut, mit Erzählformen und Stilen zu experimentieren. So spielte sein Erfolgsfilm „Lola rennt“ (1998), mit dem Tykwer seinen Durchbruch erlebte, eine simple Ganoven-Geschichte in drei verschiedenen Varianten durch. Seitdem hat sich Tykwer auch manchmal grandios verhoben; etwa beim monumentalen Science-Fiction-Epos „Cloud Atlas“ (2012), das er als Regie-Triumvirat mit den Wachowski-Geschwistern („Matrix“-Tetralogie 1999-2021) realisierte.
Info
Das Licht
Regie: Tom Tykwer,
162 Min., Deutschland/ Großbritannien 2025;
mit: Lars Eidinger, Nicolette Krebitz, Tala Al-Deen
Weitere Informationen zum Film
Wohnung im Charlottenburger Altbau
Sie wohnen in einer geräumigen Altbauwohnung in Berlin-Charlottenburg, die mit ihrem zusammengewürfelten Interieur an eine Studentenbude erinnert. Statussymbole sind Milena nicht wichtig; sie engagiert sich seit Jahren bei der Entwicklungshilfe in Kenia. Tim arbeitet bei einem think tank und produziert dort mit jungen Kollegen progressiv klingende Slogans und Kampagnen zu Zeitgeist-Themen wie dem Umweltschutz – als Werbefritze für gute Sachen.
Offizieller Filmtrailer
Psychologin als Putzfrau
Mehr Mitbewohner als Kinder sind die Zwillinge Frieda (Elke Biesendorfer) und Jon (Julius Gause). Frieda zieht mit ihren Freundinnen ziellos durch die Berliner Nächte, während Jon stubenhockend in die virtuelle Gaming-Szene abtaucht. Ab und zu kommt auch noch Milenas jüngerer Sohn Dio (Elyas Eldridge) vorbei, das Resultat ihrer Affäre mit einem Kenianer.
Als eines Tages die polnische Putzfrau Maja überraschend stirbt, wird die geflüchtete Syrerin Farrah (Tala Al-Deen) engagiert. Der ausgebildeten Psychologin kommen die Engels nicht nur wegen des Putzjobs gelegen: Sie braucht diese Familie für andere Zwecke, was mit dem titelgebenden Licht zusammenhängt. Bald kümmert sich Farrah nicht nur um die Wohnung, sondern auch um das geistige Wohl ihrer Bewohner – der Bilderbuch-Version einer dysfunktionalen Familie.
Die Scheinheiligkeit der Weltverbesserer
Die Eltern haben vor lauter idealistischer Betriebsamkeit ihre Kinder sich selbst überlassen und die Verbindung zu ihnen verloren. Als eingeschworene Gutmenschen gehen sie in ihren weltverbessernden Tätigkeiten auf – bei denen unklar bleibt, worin sie eigentlich bestehen. Bei Tim beschränkt es sich offenbar darauf, dass er aus Prinzip mit dem Fahrrad fährt. Milenas Mission ist klarer: Sie will in Nairobi ein Theaterhaus errichten. Dass sie dafür mehrmals im Jahr hin- und zurückfliegen muss, hält ihr Frieda eines Abends drastisch vor.
Dabei steigert sie sich in eine flammende Anklage hinein und zeiht die Eltern der Scheinheiligkeit und Weltverbesserei – was Tim am nächsten Tag zu einer weiteren PR-Parole ummünzt. Ihr Bruder entzieht sich all dem durch Flucht in seine Online-Welten. In seinem vermüllten Messie-Zimmer wird die ansonsten nur subtil angedeutete Wohlstandverwahrlosung sichtbar.
Tykwer will überfordern
All das wäre ein guter Stoff für eine Komödie, aber Tykwer will mehr als Schmunzeln oder Nachdenklichkeit. Sondern das ganz große Krisen-Panorama: Migration, Klimaangst, der Verlust sozialer Empathie – fast alles, was heutzutage Menschen umtreibt, packt er in diese eine Geschichte und will damit dezidiert überfordern. Das funktioniert naturgemäß allenfalls teilweise.
Oft meint man, drei Filme gleichzeitig zu sehen. Der Schwerpunkt liegt auf dem glaubhaft inszenierten Familienporträt: Vier voneinander entfremdete Menschen finden durch Farrahs Einwirken wieder zueinander. Das verdanken sie auch dem erwähnten Licht, das von einem altertümlich anmutenden Gerät ausgeht. Davor sitzende Personen geraten in einen tranceartigen Zustand, der ihren Geist in die Vergangenheit oder in andere Menschen versetzt.
Traumatische Flucht + Tanz im Westhafen
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Ein Hologramm für den König" – sarkastisches Globalisierungs-Sittengemälde in Saudi-Arabien von Tom Tykwer
und hier eine Besprechung des Films "Cloud Atlas" - Monumentale Literaturverfilmung von Tom Tykwer und den Wachowskis
und hier eine Kritik des Films "Sterben" – Familienporträt von Matthias Glasner mit Lars Eidinger
und hier einen Beitrag über den Film "All my Loving" – bittersüße Dramödie über drei Geschwister von Edward Berger mit Lars Eidinger.
Dazu kommen noch ein paar hübsch anzusehende dramaturgische Spielereien: Ein Tagtraum wird animiert, oder Tanzsequenzen illustrieren das Innenleben der Figuren. Dann hellt sich das sonst dauerverregnete Berlin auf und mutiert zu einem märchenhaften Ort – noch nie sah der Berliner Westhafen so gut aus.
Kein echtes Happy-End
Am Ende wird zwar allen geholfen, aber das ist nicht unbedingt ein Happy-End. Nur innerhalb der Familie herrscht ein bisschen mehr gegenseitiges Verständnis; zudem bedeutet ihr Farrah deutlich mehr, als nur eine Angestellte zu sein. Was nach Plattitüde klingt; doch nicht trotz, sondern gerade wegen seiner inhaltlichen Überfrachtung und der dadurch ausgelösten Überforderung hallt Tykwers Film beim Zuschauer nach.