Tom Tykwer

Das Licht

Tim (Lars Eidinger) mit der syrischen Haushälterin Farrah (Tala al-Deen). Foto: © Fredric Batier/ X-Filme AG
(Kinostart: 20.3.) Wie drei Filme auf einmal: Mit seinem Porträt einer Berliner Akademiker-Familie will Regisseur Tom Tykwer alle Probleme unserer Epoche in ein ambitioniertes Drama packen. Womit er sich nicht zum ersten Mal an einer großen Idee verhebt – da helfen auch keine Tanzeinlagen im Westhafen.

Gleichviel, ob man Tom Tykwers Filme mag oder sie zu überladen und verspielt findet – eines kann man dem Regisseur sicher nicht vorwerfen: einen Mangel an Mut, mit Erzählformen und Stilen zu experimentieren. So spielte sein Erfolgsfilm „Lola rennt“ (1998), mit dem Tykwer seinen Durchbruch erlebte, eine simple Ganoven-Geschichte in drei verschiedenen Varianten durch. Seitdem hat sich Tykwer auch manchmal grandios verhoben; etwa beim monumentalen Science-Fiction-Epos „Cloud Atlas“ (2012), das er als Regie-Triumvirat mit den Wachowski-Geschwistern („Matrix“-Tetralogie 1999-2021) realisierte.  

 

Info

 

Das Licht

 

Regie: Tom Tykwer,

162 Min., Deutschland/ Großbritannien 2025;

mit: Lars Eidinger, Nicolette Krebitz, Tala Al-Deen

 

Weitere Informationen zum Film

 

Nachdem er acht Jahre lang mit der Fernsehserie „Babylon Berlin“ beschäftigt war, wendet er sich nun als Regisseur wieder der Gegenwart zu. Das Ergebnis ist ein opulentes Drama, in dem Probleme und Dilemmata der linksliberal-urbanen Akademiker-Mittelschicht am Beispiel einer modellhaft zusammengesetzten Familie verhandelt werden. Die Engels bestehen aus Mutter Milena (Nicolette Krebitz), Vater Tim (Lars Eidinger) und ihren zwei halbwüchsigen Kindern.

 

Wohnung im Charlottenburger Altbau

 

Sie wohnen in einer geräumigen Altbauwohnung in Berlin-Charlottenburg, die mit ihrem zusammengewürfelten Interieur an eine Studentenbude erinnert. Statussymbole sind Milena nicht wichtig; sie engagiert sich seit Jahren bei der Entwicklungshilfe in Kenia. Tim arbeitet bei einem think tank und produziert dort mit jungen Kollegen progressiv klingende Slogans und Kampagnen zu Zeitgeist-Themen wie dem Umweltschutz – als Werbefritze für gute Sachen.

Offizieller Filmtrailer


 

Psychologin als Putzfrau

 

Mehr Mitbewohner als Kinder sind die Zwillinge Frieda (Elke Biesendorfer) und Jon (Julius Gause). Frieda zieht mit ihren Freundinnen ziellos durch die Berliner Nächte, während Jon stubenhockend in die virtuelle Gaming-Szene abtaucht. Ab und zu kommt auch noch Milenas jüngerer Sohn Dio (Elyas Eldridge) vorbei, das Resultat ihrer Affäre mit einem Kenianer.

 

Als eines Tages die polnische Putzfrau Maja überraschend stirbt, wird die geflüchtete Syrerin Farrah (Tala Al-Deen) engagiert. Der ausgebildeten Psychologin kommen die Engels nicht nur wegen des Putzjobs gelegen: Sie braucht diese Familie für andere Zwecke, was mit dem titelgebenden Licht zusammenhängt. Bald kümmert sich Farrah nicht nur um die Wohnung, sondern auch um das geistige Wohl ihrer Bewohner – der Bilderbuch-Version einer dysfunktionalen Familie.

 

Die Scheinheiligkeit der Weltverbesserer

 

Die Eltern haben vor lauter idealistischer Betriebsamkeit ihre Kinder sich selbst überlassen und die Verbindung zu ihnen verloren. Als eingeschworene Gutmenschen gehen sie in ihren weltverbessernden Tätigkeiten auf – bei denen unklar bleibt, worin sie eigentlich bestehen. Bei Tim beschränkt es sich offenbar darauf, dass er aus Prinzip mit dem Fahrrad fährt. Milenas Mission ist klarer: Sie will in Nairobi ein Theaterhaus errichten. Dass sie dafür mehrmals im Jahr hin- und zurückfliegen muss, hält ihr Frieda eines Abends drastisch vor.

 

Dabei steigert sie sich in eine flammende Anklage hinein und zeiht die Eltern der Scheinheiligkeit und Weltverbesserei – was Tim am nächsten Tag zu einer weiteren PR-Parole ummünzt. Ihr Bruder entzieht sich all dem durch Flucht in seine Online-Welten. In seinem vermüllten Messie-Zimmer wird die ansonsten nur subtil angedeutete Wohlstandverwahrlosung sichtbar. 

 

Tykwer will überfordern

 

All das wäre ein guter Stoff für eine Komödie, aber Tykwer will mehr als Schmunzeln oder Nachdenklichkeit. Sondern das ganz große Krisen-Panorama: Migration, Klimaangst, der Verlust sozialer Empathie – fast alles, was heutzutage Menschen umtreibt, packt er in diese eine Geschichte und will damit dezidiert überfordern. Das funktioniert naturgemäß allenfalls teilweise.  

 

Oft meint man, drei Filme gleichzeitig zu sehen. Der Schwerpunkt liegt auf dem glaubhaft inszenierten Familienporträt: Vier voneinander entfremdete Menschen finden durch Farrahs Einwirken wieder zueinander. Das verdanken sie auch dem erwähnten Licht, das von einem altertümlich anmutenden Gerät ausgeht. Davor sitzende Personen geraten in einen tranceartigen Zustand, der ihren Geist in die Vergangenheit oder in andere Menschen versetzt.

 

Traumatische Flucht + Tanz im Westhafen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films  "Ein Hologramm für den König" – sarkastisches Globalisierungs-Sittengemälde in Saudi-Arabien von Tom Tykwer

 

und hier eine Besprechung des Films "Cloud Atlas" - Monumentale Literaturverfilmung von Tom Tykwer und den Wachowskis

 

und hier eine Kritik des Films "Sterben"Familienporträt von Matthias Glasner mit Lars Eidinger

 

und hier einen Beitrag über den Film "All my Loving" – bittersüße Dramödie über drei Geschwister von Edward Berger mit Lars Eidinger.

 

Während diese Licht-Therapie die Engels einander wieder näherbringt, versucht Farrah auf diese Weise Kontakt zu ihrer eigenen Familie aufzunehmen, die sie auf der Flucht verloren hat. Man kann das als Esoterik abtun oder als verständlichen Wunsch begreifen, ihre Schuldgefühle als Überlebende zu bewältigen. Im letzten Drittel stellt Tykwer in einer Rückblende ihre traumatische Überfahrt dar; das wirkt wie nachträglich aufgepfropft und schwächt die Konsistenz der Handlung.

 

Dazu kommen noch ein paar hübsch anzusehende dramaturgische Spielereien: Ein Tagtraum wird animiert, oder Tanzsequenzen illustrieren das Innenleben der Figuren. Dann hellt sich das sonst dauerverregnete Berlin auf und mutiert zu einem märchenhaften Ort – noch nie sah der Berliner Westhafen so gut aus.

 

Kein echtes Happy-End

 

Am Ende wird zwar allen geholfen, aber das ist nicht unbedingt ein Happy-End. Nur innerhalb der Familie herrscht ein bisschen mehr gegenseitiges Verständnis; zudem bedeutet ihr Farrah deutlich mehr, als nur eine Angestellte zu sein. Was nach Plattitüde klingt; doch nicht trotz, sondern gerade wegen seiner inhaltlichen Überfrachtung und der dadurch ausgelösten Überforderung hallt Tykwers Film beim Zuschauer nach.