Mohammad Rasoulof

Manuscripts don’t burn

Die Schergen des Regimes: ratlos - Morteza (mi.) hat soeben die Ermordung eines Dissidenten vermasselt. Foto: Peripher Film
(Kinostart: 13.8.) Banalität der Brutalität: Die Geheimdienst-Hetzjagd auf Oppositionelle im Iran zeigt Regisseur Mohammad Rasoulof als reibungslos laufende Mordmaschine. Sein Schwanengesang taugt als Antidot gegen Iran-Euphorie nach dem Atom-Abkommen.

Khosrow ist ein unscheinbarer Handlanger, von denen unzählige die Metropolen von Schwellenländern bevölkern: Er lungert in Jeans und Sportjacke herum und wartet auf den nächsten Auftrag. Anweisungen befolgt er, ohne nach dem Warum zu fragen, denn sein chronisch kranker Sohn bereitet ihm genug Sorgen: Dass seine Frau ständig Geld für Medikamente und Ärzte verlangt, raubt ihm den Schlaf.

 

Info

 

Manuscripts don't burn

 

Regie: Mohammad Rasoulof,

124 Min., Iran 2013;

mit: Darsteller nicht benannt

 

Weitere Informationen

 

Sein Kollege Morteza trägt Lederjacke und wirkt gefasster. Meist steuert er das Auto zu ihren Einsatzorten, während Khosrow die Drecksarbeit erledigt. Was ihn manchmal an der Rechtmäßigkeit ihres Tuns zweifeln lässt, während Morteza überzeugt scheint, dass alles im Einklang mit göttlichen und irdischen Gesetzen geschieht. Sofern die Bezahlung stimmt.

 

Alles zum Wohle der Staatssicherheit

 

Ihr Vorgesetzter Hadj Saïd ist die Selbstgewissheit in Person. Ob er Druckfahnen einer Zeitung zensiert, über Poesie diskutiert oder ein Opfer verhört: Stets lässt er keinen Zweifel daran, dass er das Wohl der Staatssicherheit verkörpert. Früher zählte Saïd zur Opposition, dann wechselte er die Seiten und machte Karriere. Sein Bart ist perfekt gestutzt, seine Mimik beherrscht, er spricht stets leise und bewegt sich gemessen – ein Mensch, der mit sich völlig im Reinen ist.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Memoiren-Manuskript als Pfand für Ausreise

 

Dagegen wirkt die Gegenseite demoralisiert. Der Schriftsteller Forouzandeh sitzt im Rollstuhl, sieht dem Tod entgegen und will zuvor noch sein letztes Buch veröffentlichen – nicht im Internet, sondern auf Papier. Sein Freund Kian verspricht ihm, einen Drucker zu suchen, der trotz Zensur und Überwachung dazu bereit ist, hält das aber eigentlich für überflüssig: Die Jugend lese nur noch Facebook und Twitter. Kian schreibt depressive Gedichte mit Titeln wie „Vom ereignislosen Leben eines gefeuerten Lehrers“.

 

Beide bewahren zuhause je eine Kopie von den Memoiren des krebskranken Kasra auf: Darin schildert er, wie vor etlichen Jahren 21 Intellektuelle per Bus zu einem Kongress nach Armenien reisten. Der Fahrer war ein Geheimdienst-Agent; er sollte den Bus in eine Schlucht stürzen lassen, was ihm misslang. Nun setzt Kasra sein Manuskript als Pfand ein, um seinem alten Bekannten Hadj Saïd eine Ausreisegenehmigung abzuhandeln. Doch um der Staatssicherheit willen darf die alte Affäre unter keinen Umständen publik werden.

 

80 „Kettenmorde“ in den 1990er Jahren

 

Sein Film zeigt laut Regisseur Mohammad Rasoulof „eine weitgehend wahrheitsgetreue Fiktion“ – so realistisch, dass Schauspieler und Filmteam zu ihrem Schutz ungenannt bleiben. Ende der 1990er Jahre wurden im Iran rund 80 systemkritische Intellektuelle umgebracht; diese so genannten „Kettenmorde“ blieben unaufgeklärt. Der plot ist jedoch in der Gegenwart angesiedelt: als schonungslose Bestandsaufnahme eines reibungslos funktionierenden Unterdrückungs-Apparats wie als Schwanengesang auf die aussterbende Intelligenzija.

 

Rasoulof weiß, wovon er spricht: Er und sein Regie-Kollege Jafar Panahi wurden 2010 verhaftet, als sie eine Doku über Proteste gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen 2009 drehten, und zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Beide mussten die Haft bislang nicht antreten, stehen aber unter Hausarrest bzw. Berufsverbot – dennoch arbeiten sie heimlich weiter. Während Panahi mit „Taxi Teheran“, wofür er im Februar den Goldenen Bären erhielt, einen verschmitzt vieldeutigen Blick auf heutige Zustände im Iran wirft, übt Rasoulof vernichtende Kritik.

 

Killer als gestresste Staatsangestellte

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Taxi Teheran" - Berlinale Gewinner 2015 von Jafar Panahi

 

und hier einen Bericht über den Film “Jahreszeit des Nashorns” – brilliantes Polit-Psychodrama über Exil-Iraner in der Türkei von Bahman Ghobadi

 

und hier das Interview “Filme im Gefängnis machen” mit Regisseur Mohammad Rasoulof über seinen Film “Good Bye“, eine Auswanderungs-Parabel in Teheran.

 

Ohne jedes Pathos: Indem er das blutige Handwerk der Geheimdienst-Häscher so nüchtern darstellt, als handele es sich um stinknormalen Alltagskram – inklusive Kaffeepausen, besudelten Decken, die man reinigen muss, und störenden Anrufen von den Lieben daheim. Killer im Auftrag der Regierung sind auch nur gestresste Staatsangestellte. In Rasoulofs Vorgängerfilm „Good Bye“ über eine ausreisewillige Anwältin eignete anonymen Dunkelmännern noch eine mysteriöse Aura. Diesmal erscheint ihre Brutalität so banal, dass sie fast unerträglich monströs wird.

 

Das Trio jagt Dissidenten, die ohnehin praktisch erledigt sind: Von zerrütteter Gesundheit geplagt und rund um die Uhr observiert, ist ihr Spielraum gleich Null. Noch hält sich der kleine Zirkel die Treue; man reicht sich gegenseitig Manuskripte weiter, doch das Ende ist absehbar. Die Alternative lautet: Tod durch eigene Hand oder auf Geheiß der Staatsmacht. Und das Schlimmste ist: Niemand liest mehr ihre Texte – außer deren Schergen.

 

Keine Petrodollars ohne Filmsichtung

 

„Manuscripts don’t burn“ atmet den Geist totaler Resignation: Keine Hoffnung, nirgends. Ob daraus Schwarzmalerei spricht oder intellektuelle Redlichkeit, die nichts beschönigt – wer mag das von außen beurteilen? Jedenfalls verabreicht Rasoulof ein Antidot gegen grassierende Gesundbeterei des Mullah-Regimes, die nach Abschluss des Atom-Abkommens mit dem Iran im Juli auf dessen Petrodollars spekuliert: Bevor Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel wieder nach Teheran jettet, um Großaufträge einzufädeln, sollte er sich diesen Film ansehen.