Ach, dieser Woody Allen! Einerseits möchte man vor ihm den Hut ziehen – allein dafür, dass der 82-Jährige weiterhin unermüdlich einen Film pro Jahr dreht. Doch andererseits sind wegen seiner überschaubaren Themen-Palette nach fünf Jahrzehnten Wiederholungen vorprogrammiert. Irgendwann hat sich das, was der Regisseur zu sagen hatte, offenbar erschöpft. Man hat den Eindruck, dass Allen beim Filmemachen inzwischen auf Autopilot schaltet; Details scheinen ihn kaum noch zu interessieren.
Info
Wonder Wheel
Regie: Woody Allen,
101 Min., USA 2017;
mit: Kate Winslet, Justin Timberlake, Jim Belushi, Juno Temple
Schöne Retro-Kulisse
Nachdem Allen sich in den letzten Jahren immer wieder mit nostalgischem Blick dem alten Europa zugewandt hatte, nimmt er sich nun erstmals seit „Whatever Works“ (2011) wieder seiner Heimatstadt New York an. Vor einer Retro-Kulisse der 1950er Jahre, dem Vergnügungspark Coney Island im Süden von Brooklyn, erzählt Allen von amourösen Wirren, schmucken Bademeistern, gescheiterten Lebensentwürfen und sinistren Mafiosi. Im Mittelpunkt steht Ginny: Sie ist unglücklich verheiratet mit dem Karussellbetreiber und Ex-Alkoholiker Humpty (Jim Belushi).
Offizieller Filmtrailer
Ein pyromanischer Sohn
Einst lebte sie in einer glücklichen Beziehung, glaubte an ihre künstlerische Berufung und spielte Theater. Nun schuftet sie in einem Fisch-Imbiss und trauert ihrer großen Liebe nach, die sie durch einen Seitensprung vergrault hat. Von damals geblieben ist ihr nur ihr pyromanisch veranlagter Sohn; der zündet alles an, was er auf seinen Streifzügen durch Coney Island findet. Auch Gatte Humpty hat Kummer mit seinem Kind aus erster Ehe. Tochter Carolina (Juno Temple) hat ihm das Herz gebrochen, als sie einen Gangster heiratete.
Mittlerweile hat sie von ihrem Gauner-Gatten zwar genug. Doch der Mafia gefällt nicht, dass sie beim FBI ausgepackt hat. In ihrer Not steht sie bei Daddy vor der Tür – was Ginny nicht gefällt. Deren einziger Lichtblick ist Mickey (Justin Timberlake), der mit Ginny anbändelt. Der Bademeister und Rettungsschwimmer hält sich für einen Feingeist und künftigen Bühnenautor – und reagiert willfährig auf die Ambitionen seiner Affäre. Kurzum: Er soll die Dinge für Ginny wieder ins Lot bringen. Doch dann verguckt sich Mickey in deren Stieftochter Carolina.
Belangloser Humor
Mit dieser Geschichte zitiert Woody Allen große Melodramen der 1950er Jahre, aber leider zündet der Plot nicht; was vor allem an den ziemlich schwachen Dialogen liegt. Über eine erste Fassung scheint Allen mit dem Drehbuch nicht hinausgekommen zu sein – und die enthält reichlich banales Pathos, Humor dagegen nur in Spurenelementen.
Hintergrund
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Boulevard statt große Bühne
Einzig Kate Winslet haucht ihrer Ginny Leben ein; auf eine sehr eindringliche, theatralische Art; das wirkt so, als wolle Winslet mit ihrem Auftritt auf einer Sprechbühne bis zu den hinteren Rängen durchdringen. Überhaupt strahlt „Wonder Wheel“ etwas theaterhaftes aus – was nicht schlecht sein muss. Nur ist es hier leider eben eher der Boulevard als die große Bühne. Schon bald wird dem Zuschauer ziemlich egal, wie es mit den Protagonisten weitergeht.
Das ist bedauerlich, weil diese Tragikomödie wirklich toll aussieht. Kameramann Vittorio Storaro, der schon die Klassiker „Apocalypse Now“ (1978) von Francis Ford Coppola und „Der letzte Kaiser“ (1985) von Bernardo Bertolucci gedreht hat, schafft mit geschickten Farbakzenten eine wunderbar leuchtende, keineswegs grelle Retro-Ästhetik – etwa, wenn er das brüchige Licht auf den Vergnügungspark scheinen lässt. Deshalb schmerzt es, von diesem Film abzuraten. Vielleicht sind Ohrenstöpsel eine Lösung: Dann könnte man sich die Dialoge ausdenken.