François Ozon

Der andere Liebhaber (L’amant double)

Paul (Jérémie Renier) bringt Chloé (Marine Vacth) in ein gefährliches Spiel aus Begierde und Täuschung. Fotoquelle: Weltkino Filmverleih GmbH
(Kinostart: 18.1.) Im Spiegelkabinett der Sinnlichkeit: In diesem Erotik-Thriller von Regisseur François Ozon verliebt sich eine Frau zuerst in ihren Psychotherapeuten und dann in dessen Zwillingsbruder – spannende, aber allzu verwirrende Dreiecksgeschichte.

François Ozon ist immer für Überraschungen gut. Nach dem streng und klassisch erzählten Nachkriegsdrama „Frantz“ hatte er offenbar Lust auf etwas anderes. In „Der andere Liebhaber“ verarbeitet er eine psychotherapeutische Behandlung, wobei der Originaltitel „L’amant double“, also „Der doppelte Liebhaber“, das Geschehen präziser benennt, denn es geht um Zwillinge. Regisseur Ozon taucht dabei nicht nur tief in die Psychotherapie ein, sondern spielt auch mit Doppeldeutigkeiten, Spiegelungen und falschen Fährten.

 

Info

 

Der andere Liebhaber
(L'amant double)

 

Regie: François Ozon,

107 Min., Frankreich/ Belgien 2017;

mit: Marine Vacth, Jérémie Renier, Jacqueline Bisset

 

Website zum Film

 

Die junge Chloé (Marine Vacth aus Ozons Film „Jung & schön“, 2013) plagen permanente Bauchschmerzen ohne körperliche Ursachen. Sie begibt sich in Behandlung beim Psychotherapeuten Paul (Jérémy Renier), dem sie freimütig ihre Probleme, Ängste und Zwangsvorstellungen erzählt. Der ist fasziniert von dem androgynen Geschöpf, das ihm unmissverständlich Avancen macht.

 

Der doppelte Psychotherapeut

 

Nach ein paar Sitzungen ist auch der Therapeut verliebt. Sie ziehen zusammen und sind miteinander glücklich, die Bauchschmerzen verschwinden von selbst. Zufällig entdeckt Chloé, dass Paul vor ihr seinen Zwillingsbruder Louis (ebenfalls Jérémie Renier in einer Doppelrolle) verheimlicht, der ebenfalls Psychotherapeut ist. Neugierig geworden, begibt sie sich auch bei ihm in Behandlung. 

Offizieller Filmtrailer


Was ist Realität, was Phantasie?

 

Louis ist das genaue Gegenteil des verständnisvollen Paul. Er fordert Chloé heraus, zeigt sich dominant, selbstherrlich und brutal. Fasziniert beginnt sie mit ihm eine Affäre, bei der sie bisher unbekannte Gelüste ausleben kann. Das bringt aber nicht nur die Bauchschmerzen zurück, sondern verwirrt die labile junge Frau immer mehr. Die Grenzen zwischen Realität und Phantasie verschwimmen. Als sie versucht, den Grund für die Rivalität der Zwillingsbrüder zu finden, mündet der Plot in eine Thriller-Handlung; sie erinnert sehr an Filme von Brian de Palma wie etwa „Die Schwestern des Bösen“ (1973), in denen er sich meisterhaft mit dem Zwillingsthema auseinander setzt.

 

Das Leitmotiv des Films ist dementsprechend Glas, ob durchsichtig oder verspiegelt. Pauls Praxis hat ein riesiges Fenster, die Wohnung von ihm und Chloé bietet einen Panoramablick über die Stadt – während Louis‘ Wohn- und Behandlungsräume ausschließlich aus Spiegeln bestehen zu scheinen. Auch die Zwillinge treten spiegelverkehrt auf: Der eine ist Rechts-, der andere Linkshänder; ihren Scheitel tragen sie auf entgegen gesetzten Seiten. 

 

Hauptfigur ist parasitärer Zwilling

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Frantz" – subtiles deutsch-französisches Kammerspiel nach dem Ersten Weltkrieg von François Ozon

 

und hier eine Besprechung des Films "Jung & schön" über eine Lolita als Luxus-Prostituierte von François Ozon

 

und hier ein Beitrag über den Film "In ihrem Haus" – raffiniertes Verwirrspiel über ein fatales Lehrer-Schüler-Verhältnis von François Ozon

 

und hier einen Bericht über den Film "Enemy" – komplexe Verfilmung des Romas "Der Doppelgänger" von José Saramago durch Denis Villeneuve.

 

Auch Chloés Welt spiegelt sich im Visuellen: Als sie einen neuen Job als Museumswärterin antritt, läuft sie zunächst durch helle Räume mit Installationen, die im weiteren Verlauf immer düsterer und blutiger werden. Inzwischen misstraut sie beiden Brüdern und auch sich selbst, denn sie kennt den Grund für den Bruch zwischen beiden – eine Frau namens Sandra. Außerdem will Louis jetzt mehr von ihr als therapeutischen Sex. Das wäre als Zwillings-Dreiecksgeschichte schon kompliziert genug. Ozon setzt aber noch eins drauf.

 

So stellt sich heraus, dass Chloé ein verhinderter, ein parasitärer Zwilling ist. Dabei schluckt im Mutterleib quasi ein Embryo den anderen und trägt somit das Erbmaterial zweier Menschen in sich. Bis es aber zu dieser recht unappetitlichen Auflösung kommt, muss man sich als Zuschauer durch ein immer unübersichtlicher werdendes Geflecht aus möglicher Wahrheit und Chloés Hirngespinsten und erotischen Phantasien wühlen.  

 

Orientierungslos im Spiegelkabinett

 

Das wird auf Dauer sehr anstrengend; zudem bleibt die Hauptfigur in ihren Neurosen ziemlich blass. Selbst der reichlich praktizierte Sex scheint nur Mittel zum Zweck zu sein, um mit Spiegelungen, Überblendungen und ähnlichen visuellen Spielereien Desorientierung und aufkeimenden Wahnsinn anzudeuten.

 

Was einen dennoch bei der Stange hält, ist die herausragende Schauspielleistung von Jérémy Renier, der das ungleiche Brüderpaar sehr überzeugend darstellt, aber auch Jaqueline Bisset in einer kleinen Doppelrolle. Und die Neugier darauf, wie sich Ozon aus der mit Anspielungen überfrachteten Geschichte herauswindet. Kurzweil sieht anders aus – aber wer erwartet das schon von einer Therapie-Sitzung?