Tilda Swinton

Liebe löst Revolutionen aus

Tilda Swinton bei einem Publikumsgespräch im Rahmen der Viennale 2009. Foto: Manfred Werner/ Wikipedia
In «I am love» spielt Tilda Swinton die russische Gattin eines Mailänder Industriebosses, die mit einem Koch durchbrennt. Ein Gespräch über die Liebe als Medium des Erwachens und die Strategie, das Publikum mit einem Schaumbad einzuseifen.

Als Tourist in Hollywood

 

Gehören Sie nicht selbst dieser Schicht an, etwa in Hollywood?

 

Ich habe nie zu Hollywood gehört, ich war dort nur Tourist. Ich war quasi im Vorzimmer, und habe durch den Türspalt geguckt.

 

Und was sahen Sie dort?

 

Eine Menge Konferenzräume mit Leuten in Anzügen, die kreative Entscheidungen trafen; Monate bevor die Kamera angeschaltet wurde. Viele Geschäftsleute und viel Geld.

 

Sag‘ es mit Blumen

 

Haben Sie viele Menschen gesehen?

 

Oh ja, es gibt Menschen in Hollywood! Manche sind sehr interessant – dafür bin ich nach Hollywood gegangen. Sie versuchen, ein Zeichen der Menschlichkeit auf dieser Riesen-Maschine zu hinterlassen. Das ist faszinierend, auch wenn sie scheitern.

 

Im Film spielt das Essen eine Hauptrolle: Es wird sehr zelebriert und scheint die einzige Kommunikationsform der beiden Liebenden zu sein; sie reden kaum miteinander. Ist das nicht wie im 19. Jahrhundert?

 

Es ist wie im 19. Jahrhundert und erinnert mich an „Sag‘ es mit Blumen“. Im viktorianischen England hatten alle Blumen eine Bedeutung – ein Strauß konnte eine Frau erröten lassen, weil er erotische Anspielungen enthielt. Das war üblich, wenn verbale Kommunikation nicht gestattet oder unpassend war – diesen Eindruck wollten wir erzeugen.

 

Kamera im Trance-Zustand

 

Deshalb ist der Film zweigeteilt: Der erste Teil soll wie ein warmes Schaumbad wirken, in dem man es sich bequem machen kann. Dabei ist es sehr gefährlich, Filme über Reiche zu drehen. Inmitten all dieses Luxus verfällt die Kamera leicht in eine Art hypnotischen Trance-Zustand: Drinnen sind die happy few, und wir kleben draußen mit roten Nasen an den Fenstern und sehen all das Silber und Porzellan…

 

Diese Stimmung wollten wir schaffen, bis sich die Zuschauer darin richtig wohl fühlen. Und dann ganz nahe an die Figuren herangehen, um sie auf menschliches Maß zu reduzieren. Das ist eine sehr riskante Strategie: Ich fürchte, dass viele Leute in der ersten halben Stunde abschalten, weil sie das Ende zu kennen glauben. Es ist ein Experiment: Wir zeigen, welche Revolution die Liebe auslösen kann.

 

Mit Melodram zur Tragödie

 

Die letzte Szene, deren Dramatik an einen Stummfilm erinnert, haben wir als erste entworfen. Wir enden mit einer griechischen Tragödie, aber kommen mit einem Melodrama dorthin. Es klingt verrückt, aber genau das wollten wir. Das Publikum will immer schon ahnen, wie es weiter geht – und das wollten wir durchkreuzen.