Das riesige Krokodil im Büro verschlingt eine nackte Frau – nur im Traum. Da reißt das Telefon den Verkehrs-Minister Bertrand Saint-Jean (Olivier Gourmet) aus dem Schlaf: Ein Reisebus ist in der Provinz verunglückt, mehrere Insassen sind tot, von ihm wird Präsenz erwartet. Also um zwei Uhr morgens raus dem Bett, rein in Anzug, Dienstwagen und Helikopter, um wenig später in Mikros von Trauer und Mitgefühl zu sprechen.
Info
Der Aufsteiger –
L'éxercice de l'État
Regie: Pierre Schoeller,
112 min., Frankreich/ Belgien 2011;
mit: Olivier Gourmet, Michel Blanc, Zabou Breitman
Als Regierungs-Praktikant überall dabei
Keine Atempause, Geschichte wird gemacht: Der Film nimmt den Zuschauer als Regierungs-Praktikanten mit, der hautnah bei allen Gesprächen und Intrigen dabei ist. Termine und Themen wechseln im Minuten-Takt: Man darf keine Silbe oder Geste verpassen, um nicht den Faden zu verlieren. Die irrwitzige Hektik treibt den Adrenalin-Spiegel beim Publikum genauso hoch wie bei den Akteuren.
Offizieller Filmtrailer
Nur Stabs-Chef hat den Überblick
Alle würden von diesem hochtourig laufenden Hamsterrad ausgeknockt, gäbe es nicht Stabs-Chef Gilles (Michel Blanc): Mit unerschütterlichem Gleichmut sitzt er im Vorzimmer des Minister-Büros wie Alberich auf dem Nibelungen-Schatz und koordiniert alle Aktivitäten.
Jede Anfrage, jeder Rede-Text und jedes Dossier geht durch seine Hand; er allein hat den Überblick. Und er bahnt die wichtigste politische Weichenstellung an: Saint-Jean wird gegen seine Überzeugung die Privatisierung der Bahnhöfe befürworten – zugunsten der Staats-Kasse und seiner Karriere.
Aufsteiger verdrängen die Enarchen
Manches in diesem Wespen-Nest von Film ist spezifisch französisch: etwa die Kaste der «Enarchen», der Gilles angehört. Etliche Politiker und hohe Staats-Beamte haben die Elite-Hochschule ENA (École nationale d’administration) absolviert und kennen sich seit ihrer Studienzeit.
Saint-Jean zählt nicht dazu. Er hat die Ochsen-Tour einer Partei-Laufbahn hinter sich und rüttelt nun am Tor des Kanzleramts. Indem er die Attitüde des unermüdlichen Machers pflegt; als einer der sozialen und politischen Aufsteiger, die allmählich die «Enarchen» von der Macht verdrängen.
Innen-Ansicht des Regierungs-Alltags
Wobei der deutsche Titel die Komplexität des Films stark vereinfacht: Regisseur Pierre Schoeller geht es weniger um das Psychogramm eines ehrgeizigen Emporkömmlings, als vielmehr um eine Innen-Ansicht des Regierungs-Alltags. Wie der französische Original-Titel mit kaum übersetzbarem Wortspiel andeutet: «L’éxercice» meint hier «Amtsausübung», also etwa: wie staatliches Handeln praktiziert wird.
Hintergrund
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Zum Teilchenbeschleuniger mutiert
Schoeller denunziert keine seiner Figuren, die alle zugleich Boss und Untergebene, Sklaven- Treiber und Getriebene sind. Ihr berechnendes Taktieren und ihren zynischen Opportunismus führt er als unerlässliche Überlebens-Strategien in der Knochen-Mühle der Macht vor. Die hat digitale Kommunikation enorm beschleunigt, was Reflexion praktisch verunmöglicht.
Schon vor Einführung von Handy und Internet glich der Politik-Betrieb einem «Treibhaus», wie ihn Wolfgang Koeppen 1953 in seinem gleichnamigen Roman beschrieb; inzwischen ist er zum Hochfrequenz-Teilchenbeschleuniger mutiert. Anstelle von «Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß», die einst Max Weber bei Berufs-Politikern forderte, herrscht nur noch Dauer-Stress – so plausibel wie unerträglich.