Tom Hanks

Captain Phillips

Captain Richard Phillips (Tom Hanks) wird von Piraten bedroht. Foto: © 2013 Sony Pictures
(Kinostart: 14.11.) Goliath gegen David: Am Horn von Afrika feuert die US-Marine aus allen Rohren auf somalische Piraten. Regisseur Paul Greengrass zeigt nüchtern, wie ungleich dieser Kampf ist – mit einem überragenden Tom Hanks in der Hauptrolle.

Piratenfilme spielten bisher im 16. bis 18. Jahrhundert, der Blütezeit der atlantischen Piraterie. Während zeitgenössische Darstellungen zur Dämonisierung neigen, tendierte Hollywood früher mit Stars wie Clark Gable und Erroll Flynn zur Romantisierung dieses Gewerbes. Inzwischen hat die Reihe der „Fluch der Karibik“-Filme das Genre gleichsam absorbiert und erledigt; nun ist es bereit für ein neues Kapitel.

 

Info

 

Captain Phillips

 

Regie: Paul Greengrass,

134 Min., USA 2013;

mit: Tom Hanks, Catherine Keener, Barkhad Abdi

 

Website zum Film

 

Nach dem Kollaps ihres Staates, dem Leerfischen ihrer Gewässer durch ausländische Fangflotten und der Zweckentfremdung ihrer Küsten als international genutzte Mülldeponie haben somalische Fischer die Piraterie für sich entdeckt. Insofern hat Piratenkapitän Musa (Barkhad Abdi) nicht ganz unrecht, als er sich dem Containerschiff „Maersk Alabama“ ironisch als „somalische Küstenwache“ vorstellt.

 

Perfekt inszenierter Erstkontakt

 

Da verfolgt er bereits den riesigen Frachter in einer Nussschale von Boot, das Gewehr im Anschlag, begleitet von drei mehr oder weniger zuverlässigen Kollegen, von denen einer barfuß läuft. Diese erste Action-Sequenz ist perfekt inszeniert: vom ersten Radarkontakt bis zum Augenblick, in dem die beiden Kontrahenten Musa und Captain Phillips (Tom Hanks) sich durchs Fernglas erstmals in die Augen sehen.


Offizieller Filmtrailer


 

Geschichte im dokumentarischen look

 

Die Szene entwickelt einen dynamischen Sog, obwohl oder gerade weil Regisseur Paul Greengrass auf die einschlägigen Techniken des modernen Actionkinos – slow motion, ästhetisiertes Stahlgewitter, hyperrealistische Kollisionen von Körper und Metall – verzichtet.

 

Der britische Regisseur hat mit Filmen wie „Bloody Sunday“, „Flug 93“ und „Green Zone“ seinen eigenen modus operandi entwickelt: Er zeichnet historisch verbriefte Ereignisse in dokumentarischem look nach. Zwischen minutiös rekonstruierten und gewalttätigen Konfrontationen – Demonstranten gegen Besatzungsarmee, Kidnapper gegen Flugzeug-Crew und Passagiere – charakterisiert er knapp die Menschen, die unfreiwillig hineingezogen werden.

 

Ganz anders als „Black Hawk Down“

 

Nachdem er zwei Filme der „Bourne“-Trilogie gedreht hat, ölt er mit diesem Rezept erstmals das Räderwerk eines Blockbusters. Mit Tom Hanks in der Titelrolle trägt ein Superstar „Captain Phillips“, produziert hat Kevin Spacey. Dabei behält die Methode des Regisseurs gegenüber Hollywoods Tendenzen zur Dämonisierung oder Romantisierung meist die Oberhand.

 

Den letzten Hollywood-Ausflug nach Somalia unternahm Ridley Scott 2001 mit „Black Hawk Down“; auch damals ging es um die Rekonstruktion militärischer Operationen. Doch „Captain Phillips“ könnte unterschiedlicher nicht sein. Greengrass‘ Somalis sind keine gesichtslose, mörderische Masse, sondern zu viert.

 

Gentlemen in Flipflops

 

Sie haben verschiedene Gesichter, Stimmen, Talente, Schwächen, Meinungen, Ängste und Hoffnungen. Und die Piraten, allen voran ihr dürrer Anführer, erweisen sich als Gegner, deren Chuzpe, Entschlossenheit und Cleverness der Schiffsmannschaft um Kapitän Phillips die Sprache verschlägt.

 

Anfangs wurden die im Vergleich zu ihren südasiatischen Kollegen wenig schießwütigen Piraten am Horn von Afrika auch als „Gentlemen in Flipflops“ bezeichnet. Heute werden die Störenfriede des Welthandels mit geballter militärisch-industrieller Macht bekämpft: von Lärmkanonen bis hin zu Marine-Einsätzen bis aufs Festland.

 

Rekrutierungs-Video + Apokalypse-Vision

 

Folglich haben die Piraten das Gentleman-Image hinter sich gelassen. Dabei bildete die Kaperung der „Maersk Alabama“, für die USA der erste derartige Fall seit 200 Jahren, den Wendepunkt. Die geballte Macht der US-Marine rückt mit Drohnen, Hubschraubern, Navy SEALS, Psychotricks und Scharfschützen an, um den Kapitän zu befreien, bevor die flüchtenden Piraten mit ihrer Geisel im Rettungsboot das Festland erreichen.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Extrem Laut und Unglaublich Nah" - Thriller über den 9/11-Terroranschlag mit Tom Hanks von Stephen Daldry

 

und hier einen kultiversum-Bericht über den Film "Green Zone" - Polit-Action-Thriller über das Versagen der US-Strategie im Irak von Paul Greengrass

 

und hier eine Rezension des Films "Kon-Tiki" - über die legendäre Seereise Thor Heyerdahls von Joachim Rønning + Espen Sandberg

 

Greengrass schildert diese maritime „Ankunft der Kavallerie“ als minutiös funktionierende Kriegsmaschine, die außerhalb der USA eher ein mulmiges Gefühl hervorrufen dürfte: eine Mischung aus Rekrutierungs-Video und Apokalypse-Vision.

 

Globaler asymmetrischer Krieg

 

Das festzuhalten, ist kein Antiamerikanismus; die EU rüstet bei der Piratenbekämpfung fleißig mit. Zweitens zeigt Greengrass nur, was geschieht: Es ist ein globaler Krieg, und die Asymmetrie der Mittel fast ohne Beispiel. Da kann Musa noch so oft beteuern: „Wir sind nicht Al Qaida“.

 

Auf Phillips‘ Erinnerungen basiert der ganze Film: Am Ende steht sein heroischer Einsatz für die Crew, seine Todesangst und sein Nervenzusammenbruch im Moment des Zugriffs. Da holt Tom Hanks in einem eruptiven Solo alles an Verzweiflung aus sich heraus.

 

Keine Gewaltpornografie

 

Selbst hier findet  Greengrass‘ harte, klare Bildsprache einen Weg, drohendes Pathos zu durchbrechen: Den Moment seiner Befreiung erlebt Phillips mit verbundenen Augen, allein, in plötzlicher Stille, über und über mit dem Blut und Gehirn seiner Feinde bedeckt. Keine Gewaltpornografie, sondern ein Bild aus dem und über das wahre Leben.