
Piratenfilme spielten bisher im 16. bis 18. Jahrhundert, der Blütezeit der atlantischen Piraterie. Während zeitgenössische Darstellungen zur Dämonisierung neigen, tendierte Hollywood früher mit Stars wie Clark Gable und Erroll Flynn zur Romantisierung dieses Gewerbes. Inzwischen hat die Reihe der „Fluch der Karibik“-Filme das Genre gleichsam absorbiert und erledigt; nun ist es bereit für ein neues Kapitel.
Info
Captain Phillips
Regie: Paul Greengrass,
134 Min., USA 2013;
mit: Tom Hanks, Catherine Keener, Barkhad Abdi
Perfekt inszenierter Erstkontakt
Da verfolgt er bereits den riesigen Frachter in einer Nussschale von Boot, das Gewehr im Anschlag, begleitet von drei mehr oder weniger zuverlässigen Kollegen, von denen einer barfuß läuft. Diese erste Action-Sequenz ist perfekt inszeniert: vom ersten Radarkontakt bis zum Augenblick, in dem die beiden Kontrahenten Musa und Captain Phillips (Tom Hanks) sich durchs Fernglas erstmals in die Augen sehen.
Offizieller Filmtrailer
Geschichte im dokumentarischen look
Die Szene entwickelt einen dynamischen Sog, obwohl oder gerade weil Regisseur Paul Greengrass auf die einschlägigen Techniken des modernen Actionkinos – slow motion, ästhetisiertes Stahlgewitter, hyperrealistische Kollisionen von Körper und Metall – verzichtet.
Der britische Regisseur hat mit Filmen wie „Bloody Sunday“, „Flug 93“ und „Green Zone“ seinen eigenen modus operandi entwickelt: Er zeichnet historisch verbriefte Ereignisse in dokumentarischem look nach. Zwischen minutiös rekonstruierten und gewalttätigen Konfrontationen – Demonstranten gegen Besatzungsarmee, Kidnapper gegen Flugzeug-Crew und Passagiere – charakterisiert er knapp die Menschen, die unfreiwillig hineingezogen werden.
Ganz anders als „Black Hawk Down“
Nachdem er zwei Filme der „Bourne“-Trilogie gedreht hat, ölt er mit diesem Rezept erstmals das Räderwerk eines Blockbusters. Mit Tom Hanks in der Titelrolle trägt ein Superstar „Captain Phillips“, produziert hat Kevin Spacey. Dabei behält die Methode des Regisseurs gegenüber Hollywoods Tendenzen zur Dämonisierung oder Romantisierung meist die Oberhand.
Den letzten Hollywood-Ausflug nach Somalia unternahm Ridley Scott 2001 mit „Black Hawk Down“; auch damals ging es um die Rekonstruktion militärischer Operationen. Doch „Captain Phillips“ könnte unterschiedlicher nicht sein. Greengrass‘ Somalis sind keine gesichtslose, mörderische Masse, sondern zu viert.
Gentlemen in Flipflops
Sie haben verschiedene Gesichter, Stimmen, Talente, Schwächen, Meinungen, Ängste und Hoffnungen. Und die Piraten, allen voran ihr dürrer Anführer, erweisen sich als Gegner, deren Chuzpe, Entschlossenheit und Cleverness der Schiffsmannschaft um Kapitän Phillips die Sprache verschlägt.
Anfangs wurden die im Vergleich zu ihren südasiatischen Kollegen wenig schießwütigen Piraten am Horn von Afrika auch als „Gentlemen in Flipflops“ bezeichnet. Heute werden die Störenfriede des Welthandels mit geballter militärisch-industrieller Macht bekämpft: von Lärmkanonen bis hin zu Marine-Einsätzen bis aufs Festland.
Rekrutierungs-Video + Apokalypse-Vision
Folglich haben die Piraten das Gentleman-Image hinter sich gelassen. Dabei bildete die Kaperung der „Maersk Alabama“, für die USA der erste derartige Fall seit 200 Jahren, den Wendepunkt. Die geballte Macht der US-Marine rückt mit Drohnen, Hubschraubern, Navy SEALS, Psychotricks und Scharfschützen an, um den Kapitän zu befreien, bevor die flüchtenden Piraten mit ihrer Geisel im Rettungsboot das Festland erreichen.
Hintergrund
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Globaler asymmetrischer Krieg
Das festzuhalten, ist kein Antiamerikanismus; die EU rüstet bei der Piratenbekämpfung fleißig mit. Zweitens zeigt Greengrass nur, was geschieht: Es ist ein globaler Krieg, und die Asymmetrie der Mittel fast ohne Beispiel. Da kann Musa noch so oft beteuern: „Wir sind nicht Al Qaida“.
Auf Phillips‘ Erinnerungen basiert der ganze Film: Am Ende steht sein heroischer Einsatz für die Crew, seine Todesangst und sein Nervenzusammenbruch im Moment des Zugriffs. Da holt Tom Hanks in einem eruptiven Solo alles an Verzweiflung aus sich heraus.
Keine Gewaltpornografie
Selbst hier findet Greengrass‘ harte, klare Bildsprache einen Weg, drohendes Pathos zu durchbrechen: Den Moment seiner Befreiung erlebt Phillips mit verbundenen Augen, allein, in plötzlicher Stille, über und über mit dem Blut und Gehirn seiner Feinde bedeckt. Keine Gewaltpornografie, sondern ein Bild aus dem und über das wahre Leben.