
Vor 100 Jahren erkannte man Kapitalisten als Hassfiguren an Bowler-Hut, Wanst und dicker Zigarre. Heute ist das schwieriger: Anzugträger mit Aktenkoffern können Top-Manager oder Banker sein, aber auch nur kleine Angestellte. Nur bei genauem Hinsehen bemerkt man feine Unterschiede: edlen Zwirn, teure Uhren und elektronische gadgets.
Info
Zeit der Kannibalen
Regie: Johannes Naber,
93 Min., Deutschland 2013;
mit: Devid Striesow, Sebastian Blomberg, Katharina Schüttler
Außenwelt aus Pappwürfeln
Dort siedelt Regisseur Johannes Naber seine „Zeit der Kannibalen“ an. Als Schauplätze genügen ihm drei Hotel-Suiten und ein Flur; die sehen in dieser Preisklasse überall ähnlich aus. Die Außenwelt – im Dauersmog brütende Metropolen in Indien oder Nigeria – besteht aus ein paar Pappwürfeln, die an Hochhäuser erinnern sollen: ein low cost-Verfremdungseffekt.
Offizieller Filmtrailer
Auf miese Drückerkolonne machen
Ihr Hotel verlassen Frank Öllers (Devid Striesow) und Kai Niederländer (Sebastian Blomberg) nicht: Draußen ist es ihnen zu heiß und dreckig. Weiter als bis zu Hotel-Bar und indoor swimming pool wagen sie sich nie. Wozu auch? Hier treffen sie Verhandlungspartner, Berichte schreiben sie am Laptop; Mahlzeiten bringt der room service. Gibt es was zu feiern, bestellen sie Edelnutten aufs Zimmer.
Denn beide geben sich als rustikale Alphatiere – das wird zum Problem des Films. Mitunter berichten Deserteure aus Investment-Banken, wie verächtlich ihre Ex-Kollegen intern über Kunden lästern. Doch diese beiden Exemplare reden unentwegt so, sogar gegenüber Klienten – was jeder Realität spottet. Wer bei Geschäftsverhandlungen die Etikette ignoriert, würde auf der Karriereleiter nie so weit aufsteigen wie solche um den Globus jettenden McKinseyaner. Öllers und Niederländer machen auf miese Drückerkolonne.
Von Anfang an erledigte Fälle
Als grobe Groteske kann der Film nicht leisten, was er sich vornimmt: Gebaren und Charaktere von top consultants zu vivisezieren. Er scheut die Mühe, glaubhaft Atmosphäre und Rituale der Finanzwelt zu entwerfen, um sie später genüsslich zu demontieren, sondern haut von Anfang an voll drauf. Was diese Zyniker, die nach Vorankommen lechzen, sofort zu erledigten Fällen macht: Natürlich leiden sie unter Depressionen, Phobien oder unlösbaren Familienproblemen.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung der Doku "Dramaconsult" - über Geschäftsleute aus Nigeria auf der Suche nach deutschen Partnern von Dorothee Wenner
und hier einen Bericht über den Film "Cosmopolis" - brilliantes Finanzhai-Psychogramm von David Cronenberg mit Robert Pattinson
und hier einen Beitrag über den Film "Der Albaner" - über die Kriminalisierung eines illegalen Immigranten von Johannes Naber.
Besser vorher Praktikum machen
Madame März sorgt zwar für etwas gewitztere Dialoge, aber die Grundkonstellation bleibt gleich: Alle schmeißen sich vorhersehbar aneinander ran, um sich prompt auszutricksen. Ihre Killer-Instinkte aus schrankenloser Gier und skrupellosem Verrat werden mit dem Holzhammer vorgeführt. Der zerlegt auch die Einrichtung; namenlose Terroristen erledigen den Rest. Bleibt am Ende die bange Frage: Was machen Unternehmensberater eigentlich beruflich – und vor allem: wie?
Dass Regisseur Naber diese Farce so holzschnittartig schnitzt, verwundert: Sein Debüt „Der Albaner“ überzeugte mit präziser Milieuschilderung und subtiler Figurenzeichnung, wofür er 2011 den Max-Ophüls-Preis erhielt. Davon ist beim Nachfolger wenig übrig. „Zeit der Kannibalen“ wirkt so stereotyp lebensfern, als hätten Naber und Drehbuchautor Stefan Weigl zu lange brainstormings in Hotel-Lobbys abgehalten – vielleicht hätten sie besser öfter vor die Tür gehen sollen. Oder zum Praktikum in eine Unternehmensberatung.