
Sich über deutsche Titel ausländischer Filme zu mokieren, ist unter Cineasten eine beliebte, wenn auch wohlfeile Übung. In diesem Falle wäre eine Beschwerde jedoch angebracht: Der Titel „Die unerschütterliche Liebe der Suzanne“ schickt Kinogänger auf eine ziemlich falsche Fährte. Wer ein episches Liebesdrama erwartet, dürfte zwar nicht enttäuscht, aber einigermaßen irritiert sein.
Info
Die unerschütterliche Liebe der Suzanne
Regie: Katell Quillévéré,
94 Min., Frankreich 2013;
mit: Sara Forestier, François Damiens, Adèle Haenel
Liebe auf den ersten Blick
Auch diese Krise übersteht die Familie. Der kleine Charlie wächst genauso behütet wie die Mädchen auf. Als Suzanne eines Tages Julien (Paul Hamy) kennen lernt, einen gut aussehenden Typen mit zweifelhaften Einkommensquellen, verliebt sie sich Hals über Kopf und verlässt für ihn Kind und Familie.
Offizieller Filmtrailer
Aus Liebe in die Halbwelt abtauchen
Eine Ausgangssituation, die viele Möglichkeiten der weiteren Entwicklung bietet. Die junge Regisseurin Katell Quillévéré hat sich dafür entschieden, den Lebensweg ihrer Hauptfigur konsequent nachzuzeichnen. Dabei ist ihr Film keine klassische Biografie, obwohl der erzählte Zeitraum gut 25 Jahre umfasst, sondern eher die elliptische Langzeitbeobachtung einer Frau, deren größter Fehler ist, sich in den falschen Mann zu verlieben.
Für Julien gibt Suzanne alles auf und taucht in die Halbwelt ab, in der er sich bewegt. Doch selbst da hält die Familie zu ihr und sorgt, so gut es geht, für ihren Sohn, der schließlich bei einer liebevollen Pflegefamilie untergebracht wird. Suzannes Schwester Marie, die inzwischen in der Stadt ihr eigenes Leben führt, und der Vater haben für den kleinen Charlie nicht genug Zeit.
Im Gefängnis wieder auftauchen
Das alles erfährt man wie nebenbei aus Gesprächen; überhaupt sind die meisten dramatischen Ereignisse in Suzannes Leben schon längst passiert, wenn die Geschichte weitergeht. Gezeigt werden nur die Ergebnisse ihrer Handlungen. So sieht man sie gut ein Jahr nach ihrem Verschwinden wieder, wie sie ins Gefängnis einrückt. Den Haftgrund erfährt man während einer Gerichtsverhandlung.
Auslassungen, Lücken und das Fehlen klassischer Erzählmuster machen den Film besonders einprägsam. Nur die Szene, in der Suzanne erstmals auf Julien trifft, erlebt man in Realzeit mit. Die Kamera bleibt immer nah an den Figuren, die dank hervorragender Schauspieler nahezu lebensecht wirken; auch das setting ist äußerst realitätsnah.
Mit Drogen aus Marokko nach Marseille
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “Jackie - Wer braucht schon eine Mutter” – tragikomisches Roadmovie von Antoinette Beumer mit Holly Hunter
und hier einen Bericht über den Film “We need to talk about Kevin” - Mutter-Kind-Drama mit Tilda Swinton von Lynne Ramsay
und hier einen kultiversum-Beitrag über den Film “Rückkehr ans Meer – Le refuge” - Drama einer drogensüchtigen Schwangeren von François Ozon.
Ein Foto mit ihrer neuen, kleinen Tochter ist das einzige Lebenszeichen für ihre Angehörigen, bis sie unter falschem Namen mit Mann, Kind und einem Auto voller Drogen wieder in Marseille auftaucht. Als sie vom Tod ihrer über alles geliebten Schwester Marie erfährt, bricht sie erstmals seelisch zusammen und beendet unvermittelt ihre Flucht – ausgelaugt und bereit, die Konsequenzen zu tragen.
Gesicht schreit nach Missbrauch
Das Gesicht von Hauptdarstellerin Sara Forestier ist so klar und arglos, dass es geradezu danach schreit, hintergangen oder missbraucht zu werden. Trotz vieler Tiefen verliert diese Suzanne nie ihre Würde oder ihren unbedingten Glauben an die Liebe. Das macht sie unangreifbar und ein wenig ätherisch, ganz im Gegensatz zu ihrer eher pragmatischen Schwester.
Dass ihr aber nicht nur die Liebe zum halbseidenen Julien Halt gibt, erkennt sie erfreulicherweise nicht zu spät. Am Ende sehen wir im Gefängnis die gesamte Restfamilie wieder: Vater, Tochter und ihre beiden Kinder– ein Moment des Glücks, das sich endlich auf Suzannes Gesicht widerspiegelt. Sie hat es verdient.