
Was für ein Titel! „Die süße Gier“ – das klingt nach evangelikaler Erweckungs-Broschüre, die vor Satans verderblichen Einflüsterungen warnt; mit Verhaltens-Rezepten und Seelentröstungen für schlichte Gemüter. Oder will der Verleih auf diese Weise die Fans von Fellinis Klassiker „Das süße Leben“ (1960) anlocken?
Info
Die süße Gier –
Il Capitale Umano
Regie: Paolo Virzì,
111 Min., Italien/ Frankreich 2013;
mit: Valeria Bruni Tedeschi, Fabrizio Bentivoglio, Matilde Gioli
Von Connecticut nach Brianza
Regisseur Paolo Virzì verlegt Amidons Geschichte aus Connecticut in die wohlhabende norditalienische Provinz Brianza. Zudem erzählt der Film das Geschehen nacheinander aus der Sichtweise von drei Akteuren; am Ende runden sich die drei verschiedenen Perspektiven zu einer in sich schlüssigen Fabel. Der Aha-Effekt hält sich aber in Grenzen.
Offizieller Filmtrailer
Geld weg, Theater weg, Radler tot
Immobilienmakler Dino Ossola (Fabrizio Bentivoglio) ist einer jener Geschäftemacher, deren Ehrgeiz ihre Fähigkeiten weit übersteigt. Da seine Tochter Serena (Matilde Gioli) mit Massimiliano liiert ist, dem Sohn des stinkreichen Finanzjongleurs Giovanni Bernaschi, will Dino ein großes Rad drehen. Er wanzt sich an Giovanni heran und kauft sich in dessen Investment-Fonds ein – auf Pump. Als die Anlagemodell fehlschlägt, steht Dino vor dem Ruin.
Davon bekommt Carla Bernaschi (Valeria Bruni Tedeschi) wenig mit; Giovannis Gattin langweilt sich in ihrer Luxus-Existenz. Als die Ex-Schauspielerin ein verwaistes Theater aufkauft und wiederbelebt, blüht sie auf – und vernascht den Intendanten in spe. Doch ihr zweiter Frühling währt nicht lang: Ihr Mann wandelt den Theaterbau in Appartements um, weil er Geld braucht. Und ihr Filius gerät in Verdacht, einen Radler tot gefahren zu haben; davon will ihn Mama mit aller Kraft reinwaschen.
Genug Personal + Motive für telenovela
Wodurch die Polizei auf Serena aufmerksam wird: Sie war in der Unfallnacht an Massimilianos Seite, obwohl sie zuvor mit ihm Schluss gemacht hatte. Denn ihr Herz gehört dem eigenwilligen Luca. Der ist künstlerisch ambitioniert, aber gesellschaftlich kaum vorzeigbar; sein Onkel dealt mit Drogen und spannt den Neffen dafür ein. Zudem war Luca mit von der Landpartie, als der verhängnisvolle Zwischenfall geschah.
Drei Hauptpersonen, drei Blickwinkel, dazu etliche weitere Figuren: Mit so viel Personal ließe sich leicht eine längere telenovela füllen. Genug Motive für mehrere Staffeln sind ebenfalls parat: Habgier, Skrupellosigkeit, Frustration, Fremdgehen, Familiensinn, Loyalitätskonflikte und Verbrechen wider Willen. Und das alles nur wegen fallender Börsenkurse und Trunkenheit am Steuer.
Webmuster wirkt arg konstruiert
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “La Grande Bellezza – Die große Schönheit” – Oscar-prämiertes Porträt eines gealterten Dandys in Rom von Paolo Sorrentino
und hier einen Bericht über den Film "Die Einsamkeit der Primzahlen" über Jugendliebe in Italiens Bourgeoisie von Saverio Constanzo
und hier ein Interview mit Tilda Swinton über ihren Film "I am Love" von Luca Guadagnino und die Welt der Superreichen in Italien.
Keiner Figur ist genug Zeit vergönnt, um glaubwürdig eine Entwicklung durchzumachen. Stattdessen hecheln sie den sich überschlagenden Ereignissen hinterher, wobei sie ständig andere Haltungen verkörpern sollen: eben noch geldgeiler Spekulant, jetzt treu sorgender Familienvater; eben noch zynisches society-Liebchen, jetzt kunstsinnige Muse usw.
Aus einem Film mach drei
Da helfen auch durchweg gute Schauspieler-Leistungen und die temporeiche Inszenierung wenig. Dieser Film will zuviel gleichzeitig sein – Turbokapitalismus-Kritik, Milieu-Studie, Generationenkonflikt-Drama – und tippt alles nur an. Regisseur Virzì hätte ihn besser in seine Bestandteile zerlegen und diese separat verfilmen sollen; wie Balzac seine Romane schrieb.