Havanna war einst eine architektonische Perle der Karibik. Doch seit Jahrzehnten siecht sie vor sich hin. Die habaneros, die Bewohner der Hauptstadt, nutzen inzwischen zwar smartphones, doch ihre Häuser sind heruntergekommen. Diesem Verfall ist in „Letzte Tage in Havanna“ des Regisseurs Fernando Pérez jegliche Romantik abhandengekommen. In den solares, den Bauten aus der Kolonialzeit, leben die Menschen auf engstem Raum. Der Putz bröckelt, die Einrichtung ist spartanisch, es gibt kein fließendes Wasser und kaum Privatsphäre.
Info
Letzte Tage in Havanna
Regie: Fernando Pérez,
93 Min., Kuba 2016;
mit: Jorge Martínez, Patricio Wood, Gabriela Ramos
Verwandte als Aasgeier
Die USA sind das Sehnsuchtsziel von Miguel. Der verschlossene und wortkarge Mittvierziger verbringt sein Leben im Wartestand. Schon sehr lange hofft er auf eine legale Ausreise und verdingt sich als Tellerwäscher, während er mühsam Englisch lernt. Hauptsächlich aber pflegt er Diego, den Aids im Endstadium ans Bett fesselt. Dessen Verwandte kreisen bereits wie Aasgeier um ihn, verspricht sein baldiger Tod doch begehrten Wohnraum. Ihre größte Befürchtung ist, dass Miguel allein die Zimmer okkupieren könnte.
Offizieller Filmtrailer OmU
Galgenhumor statt Pathos
Trotz seiner Krankheit wirkt Diego bei weitem lebendiger als sein stoischer Kumpel, dem er vorwirft, das Leben zu verpassen. Seine traurige Lage überspielt der schlagfertige Mann mit Galgenhumor und schaut unbeirrt Pornos. Zum Geburtstag wünscht sich Diego, dass Miguel ihm einen Stricher besorgt, schließlich möchte er noch mal „Genitalien in 3-D“ sehen.
Dem Homosexuellen, der von Jorge Martínez äußerst facettenreich gespielt wird, fehlen zwar nicht die vermeintlichen „schwulen“ Manierismen, doch hinter all den scharfzüngigen Worten wird ein sensibler Mensch sichtbar, der in seinem Leben viel Ablehnung erfahren hat. Diegos und Miguels bedingungslose Freundschaft hilft beiden, ihre Außenseiterposition in der kubanischen Gesellschaft zu ertragen.
Alle kämpfen ums Überleben
Regisseur Fernando Pérez zeichnet sie als zerrissene Gemeinschaft, in der jeder mühsam ums Überleben kämpft. Zwar gibt es noch die vielbeschworene kubanische Solidarität – die Bewohner des Hauses halten zusammen und helfen einander – doch sie ist vor allem aus der Not geboren.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Una Noche - Eine Nacht in Havanna" - authentisches Jugend-Drama aus Kuba von Lucy Mulloy
und hier einen Bericht über den Film "Hasta La Vista, Sister" - kubanische Komödie über Sozialismus-Nostalgie von John Roberts
und hier einen Bericht über den Film "7 Tage in Havanna" - abwechslungsreicher Episodenfilm von 7 Regisseuren.
Harsche Kritik am Regime
„Kuba hat viel zu lange gewartet damit, Dinge zu ändern, die unbedingt und schon lange hätten geändert werden müssen. Hätten wir dies getan, wären wir nun nicht an diesem Tiefpunkt“, sagt der Kubaner Pérez im Interview mit dem Trigon-Magazin. Dabei ist der 73-jährige Regisseur, der mit „Das Leben ein Pfeifen“ (1998) bekannt wurde, des Dissendententums unverdächtig und erklärter Anhänger der Revolution. Doch selbst für ihn scheinen die Zustände mittlerweile kaum noch auszuhalten zu sein.
Zum Schluss lässt er Yusi (Gabriela Ramos) – eine junge Verwandte Diegos, die gegen Ende des Films die Männer-WG mit ihrer Unbekümmertheit aufmischt – einen traurig-sentimentalen Schlussmonolog aufsagen: Sie fürchte nicht den Weltuntergang, sondern, dass die Welt so bleibt, wie sie ist. Dass eine derart deutliche Kritik am Regime der alten Männer mittlerweile möglich ist, lässt sich getrost als Hoffnungsschimmer deuten.