Iram Haq

Was werden die Leute sagen

Nisha (Maria Mozhdah) wird von ihrem Onkel (Lalit Parimoo) in Pakistan genötigt, ihren Pass zu verbrennen. Fotoquelle: Pandora Filmverleih
(Kinostart: 10.5.) Nicht ohne meine Herkunft: Ein Pakistani in Norwegen entführt seine Tochter in die Ex-Heimat, um ihr westliche Immoral auszutreiben. Mit differenzierter Sicht auf alle Akteure erzählt Regisseurin Iram Haq ein nüchternes Melodram.

Die 15-jährige Nisha (Maria Mozhdah) ist ein typischer, eher braver Teenager in Norwegen. Dennoch muss sie ein Doppelleben führen. Ihre Eltern stammen aus Pakistan; obwohl sie vordergründig recht integriert wirken in dem Land, in das sie eingewandert sind, haben sie doch ganz eigene Vorstellungen, wie ihre Tochter leben soll.

 

Info

 

Was werden die Leute sagen

 

Regie: Iram Haq,

106 Min., Norwegen/ Pakistan/ Deutschland 2017;

mit: Maria Mozhdah, Adil Hussain, Rohit Saraf

 

Website zum Film

 

Ist es das konservative Weltbild der Eltern oder eher der Druck der pakistanischen Exil-Community, der dafür sorgt, dass sie zumindest in ihrer Privatsphäre die westliche Lebensart ablehnen? Das bleibt etwas unklar – wie manche anderen Motive in diesem unaufgeregt inszenierten Familiendrama. Paradoxerweise wird es durch solche leichte Unschärfen noch eindrücklicher.

 

Handy nicht auf lautlos gestellt

 

Jedenfalls perfektioniert Nisha ihren Spagat zwischen beiden Welten: Im Familienkreis ist sie ihren Eltern eine gute Tochter. Außer Haus macht sie, was europäische Jugendliche eben machen: Basketball spielen, auch mal Alkohol trinken, auf eher unschuldige Weise mit einem Jungen anbändeln. Bis zum falschen Zeitpunkt ein Mobiltelefon klingelt: Sie und ihr erster Freund werden in ihrem Zimmer vom Vater Mirza (Adil Hussain) erwischt.

Offizieller Filmtrailer


 

Von Mutter in eine Falle gelockt

 

Der Vater verprügelt ihren Freund; Nisha landet in der Obhut des Jugendamts. Trotzdem ist ihr Vertrauen in die Eltern nicht völlig zerstört. Sie folgt der Bitte der Mutter, nach Hause zu kommen – und wird prompt von Vater und Bruder nach Pakistan verschleppt. Zur Ehrenrettung soll sie dort von der Verwandtschaft fernab westlicher Anfechtungen auf Kurs gebracht werden.

 

Doch auch dort gerät Nisha in Konflikt mit den Moralvorstellungen ihrer Umgebung; es kommt zu einer weiteren dramatischen Zuspitzung. Erzählt wird diese Geschichte sehr nah an ihren Protagonisten, teilweise mit Handkamera gedreht – ohne dass Regisseurin Iram Haq allzu sehr auf emotionale Überwältigung setzt.  Ihr Melodram gerät eher nüchtern.

 

Regisseurin brauchte viel Bedenkzeit

 

Die Filmemacherin verarbeitet mit diesem Film ihre Lebensgeschichte; eigene Erfahrungen hat sie mit fiktionalen Elementen angereichert. Nach eigener Aussage benötigte die heute 42-Jährige viel Zeit, bis sie sich in der Lage sah, „diese Geschichte auf kluge und vernünftige Weise zu erzählen, in der Nisha nicht nur als Opfer und ihre Eltern nicht bloß als Täter erscheinen“.

 

Nichtsdestoweniger ist ihr Film vor allem ein eindringliches Plädoyer für Selbstbestimmung. Alles andere wäre angesichts des autobiographischen Hintergrunds auch nicht schlüssig: Schließlich ging Iram Haq als Filmemacherin trotz aller Hindernisse ihren Weg; sie hat sich nicht den traditionellen Vorstellungen gebeugt, welche Rolle eine Frau auszufüllen hat.

 

Grautöne-Welt aus Leid und Trauer

 

Für die Position der Eltern Verständnis aufzubringen, fällt westlichen Zuschauern recht schwer. Obwohl die hier dargestellte Realität nicht schwarzweiß, sondern voller Grautöne erscheint – was eine Stärke dieses Films ist, trotz seiner wohlbekannten Handlung. Nisha tritt nicht als heroische Kämpferin gegen Unterdrückung auf, ihre Eltern ebenso wenig als dumpf reaktionäre Antagonisten.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der Stern von Indien - Viceroy's House" – brillanter Historienfilm über die Teilung des Subkontinents in Indien + Pakistan 1947 von Gurinder Chadha

 

und hier einen Bericht über den Film "West is West" – turbulente Culture-Clash-Komödie in Pakistan von Andy De Emmony

 

und hier einen Beitrag über den Film "Umrika"Auswanderer-Drama aus Indien von Prashant Nair

 

und hier eine Besprechung des Films "Ein Junge namens Titli" – mitreißendes Kleingangster-Drama in Neu-Dehli von Kanu Behl.

 

Teilweise ist diese Familiengeschichte fast universell. Im Zentrum des Films stehen recht pathosfrei Leid und Trauer: Nisha ist eigentlich gar nicht rebellisch gestrickt, sondern will nur ihr Leben in die Hand nehmen. Ihre Eltern wanderten seinerzeit wohl auch deshalb nach Norwegen ein, weil sie den Beschränkungen ihrer Heimat entkommen wollten – was ihnen aber offenbar nur zum Teil gelungen ist.

 

Tragischer Vater, berechnender Bruder

 

Regisseurin Haq macht deutlich, wie auch die Eltern mit sich ringen: Ihre Weltsicht ist mit der Umgebung, in der sie wohnen, unvereinbar. Insbesondere der Vater erscheint als tragische, ambivalente Figur: Zu ihm sucht das Mädchen lange ein enges, geradezu inniges Verhältnis – obwohl er sie durch die Entführung verraten und verkauft hat.

 

Auch die übrigen Akteure zeigt der Film aus differenzierter Sicht. Nishas Bruder etwa teilt die repressiven Vorstellungen seiner Eltern auf weltanschaulicher Ebene vermutlich gar nicht; er zieht nur mit, weil das seine Position im Familiengefüge stärkt. Wobei diese Familie nicht nur repressiv wirkt; es gibt durchaus positive Momente des Aufgehobenseins.

 

Kein Feelgood-Ausweg

 

Dabei verzichtet der Film wohltuend auf den Gestus moralischer Überlegenheit, mit dem derartige Culture-Clash-Szenarien häufig verhandelt werden. Vielmehr vermittelt er eindrücklich, dass es für eine Heranwachsende wie Nisha, die zwischen den Kulturen steht, vermutlich keinen einfachen Ausweg gibt, der sich für sie richtig anfühlt. Das Gleiche gilt wohl auch für ihre Familie – so unnötig die Probleme scheinen, die sie ihrer Tochter bereiten.