
Rike (Susanne Wolff) ist eine zupackende Frau, die weiß, welcher Handgriff wann der richtige ist. Wie souverän die Notärztin Menschenleben rettet, zeigen bereits die ersten Minuten des fast dokumentarisch anmutenden Dramas bei einem fordernden Einsatz nach einem Verkehrsunfall.
Info
Styx
Regie: Wolfgang Fischer,
94 Min., Deutschland/ Österreich 2018;
mit: Susanne Wolff, Gedion Oduor Wekesa
Routinierte Handgriffe
Souverän meistert Rike den Sturm, in den sie bald auf hoher See gerät. Trotz der dräuenden Atmosphäre dieses Open-Air-Kammerspiels ist es bis zu diesem Zeitpunkt fast ein Vergnügen, Rike bei ihren routinierten Verrichtungen zuzuschauen. Darüber hinaus bleibt ihre Charakterisierung zunächst spärlich, denn es gibt in diesem Hochsee-Drama kaum Dialoge.
Offizieller Filmtrailer
Der Wert eines Lebens
Die Situation, mit der sie nach dem Unwetter konfrontiert wird, hebelt Rikes Selbstverständnis aus. Nicht weit entfernt treibt ein manövrierunfähiges Flüchtlingsschiff im Meer. Rike setzt einen Notruf ab, doch die Küstenwache antwortet wenig Konkretes – außer der dringlichen Aufforderung, sich von dem Boot fernzuhalten.
Dass die Rettung dieser Menschen keine große Priorität hat und dass auch die Handelsschiffe, die in der Region unterwegs sind, mit den Schiffsbrüchigen nichts zu tun haben wollen, schockiert Rike, aber es überrascht sie nicht. Naiv ist die Ärztin nicht, sie weiß um die unterschiedliche Wertigkeit, die einem Menschenleben in diesem Kontext gegeben wird.
Moralisches Dilemma
Trotz der Erkenntnis, dass sie nicht annähernd alle Geflüchteten auf ihrem 12-Meter-Boot aufnehmen kann, bleibt sie in Sichtweite des Flüchtlingsschiffs. Einmal nähert sie sich sogar kurz an – mit der fatalen Konsequenz, dass einige Schiffbrüchige versuchen, sich auf ihre Yacht zu retten. Der junge Kingsley (Gedion Oduor Wekesa) ist der einzige, der es soweit schafft: Ihn zieht sie schließlich bewusstlos aus dem Wasser.
Das moralische Dilemma, mit dem Rike sich konfrontiert sieht, spitzt sich zu. Schließlich befindet sich auch Kingsleys Schwester auf dem kenternden Boot. Rike nimmt erneut Kontakt zur Küstenwache auf. Regisseur Wolfgang Fischer, zugleich auch Koautor des Drehbuchs, erzählt seine Geschichte nüchtern und stringent. Auf emotionalisierende musikalische Untermalung wird weitgehend verzichtet.
Bedrohliche Weite
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Farbe des Ozeans" - Flüchtlings-Drama von Maggie Peren
und hier einen Bericht über den Film "Seefeuer - Fuocoammare" - Berlinale-Siegerfilm 2016: Dokumentation über Flüchtlinge auf Lampedusa von Gianfranco Rosi
und hier einen Beitrag über den Film "Mediterranea" – authentisches Flüchtlings-Drama in Süditalien von Jonas Carpignano
Visuell besticht der Film vor allem mit der Inszenierung des Meeres: Mal erscheint es als Versprechen von Freiheit und Unendlichkeit, in das Rike fern der Zivilisation splitternackt eintauchen kann, mal ist es ein klaustrophobischer Ort, dessen unendliche Weite bedrohlich wirkt.
Mythologisch aktuell
Der Filmtitel wurde aus der griechischen Mythologie entliehen: Styx bezeichnet den Grenzfluss zwischen der Welt der Lebenden und dem Totenreich Hades. So oft Rike in ihrer beruflichen Praxis schon auf diesem Fluss unterwegs war – in dieser Ausnahmesituation bleibt auch sie hilflos. In der Realität ist das politisch so gewollt. Angesichts der aktuellen Diskussionen um die private Seenotrettung wirkt die hier erzählte Geschichte eindringlicher denn je.