„In Bayern wächst das Wackersdorf-Gefühl“ titelte die Süddeutsche Zeitung im Mai dieses Jahres. Es ging um den Widerstand gegen das sogenannte Polizeiaufgabengesetz, das die Befugnisse der Polizei in Bayern enorm erweitert hat. Es trat trotz der Proteste in Kraft. Die Schlagzeile verdeutlicht, wie tief die Proteste gegen die in den 1980er Jahren geplante atomare Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf die bayerische Politik geprägt haben.
Info
Wackersdorf
Regie: Oliver Haffner,
123 Min., Deutschland 2018;
mit: Johannes Zeiler, Peter Jordan, Florian Brückner
Strukturschwache Gegend
Die kleine Gemeinde Wackersdorf am östlichen Rand von Bayern war auch deshalb als Standort ausgewählt worden, weil die Bevölkerung der strukturschwachen Gegend mit ihren ausgekohlten Braunkohletagebauen als „industriegewohnt“ galt und die künftigen Arbeitsplätze dankbar annehmen würde – so das Kalkül der Politiker in München.
Offizieller Filmtrailer
Befeuerte Atomanlage
Nicht gerechnet hatten sie mit dem Widerstand der Bevölkerung, welcher das Bauprojekt über etliche Jahre begleitete. Tschernobyl entlarvte die „ungefährliche Atomtechnik“ schließlich als Augenwischerei. 1989 wurde das Aus für die Anlage verkündet, stattdessen einigten sich die deutschen Energiekonzerne mit den Franzosen auf eine gemeinsame WAA in La Hague.
Regisseur Oliver Haffner erzählt die Ereignisse aus der Perspektive des SPD-Landrates Hans Schuierer (Johannes Zeiler), der zu einer Leitfigur des Widerstandes wurde. Anfangs ist der volksnahe Politiker über die WAA-Pläne noch höchst erfreut. Ein Enthusiasmus, der vom Industrievertreter Karlheinz Billinger (wunderbar schleimig: Fabian Hinrichs) nach allen Regeln der Kunst befeuert wird. Bedenken des Landratsjuristen Claus Bössennecker (Peter Jordan) wischt er zunächst vom Tisch.
Landrat ohne Internet
Dann jedoch reagiert die Staatsregierung auf Kritik an ihren Plänen mit unverhältnismäßiger Härte. Rechtswidrig lässt sie einen von Atomgegnern errichteten Beobachtungsturm schleifen. Die Rechtsbeugung lässt Schuierer misstrauisch werden und auf die Anti-Atomaktivisten um das Ehepaar Monika und Karl Gegenfurtner (Anna Maria Sturm und Andreas Bittl) zugehen.
In einer erhellenden Szene geht der Landrat in eine Bibliothek, wo ihm eine Mitarbeiterin per Microfiche die zum Thema Atomkraft vorhandene Literatur heraussucht. Es ist heute kaum mehr vorstellbar, wie lange es damals dauerte, an Informationen zu kommen. Schuierer konnte die Pro- und Kontra-Argumente nicht einfach googeln. Für die Entwicklung einer eigenen Haltung war das allerdings nicht unbedingt von Nachteil.
Kein Blick über den Weißwurst-Äquator
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Müll im Garten Eden" - engagierte Umwelt-Dokumentation von Fatih Akin
und hier einen Bericht über den Film "Promised Land" - Polit-Thriller zum Thema "Fracking" von Gus van Sant
und hier einen Beitrag über die Dokumentation "Sushi - The Global Catch" von Mark S. Hall über die Überfischung der Ozeane
Je weiter die Proteste fortschreiten, umso mehr gerät der im Oberpfälzer Dialekt gedrehte Film allerdings zur Heldensaga vom integeren Landrat, der gegen die böse Staatsgewalt kämpft. Da macht sich dann zu viel an der Person eines Einzelnen fest – auch wenn damals sogar eine „Lex Schuierer“ geschaffen wurde, die es der Landesregierung erlaubte, Entscheidungen ohne Zustimmung der Lokalpolitiker durchzudrücken. Sie gilt bis heute. Trotzdem ist „Wackersdorf“ in der Summe ein solides und vor allem gut gespieltes Geschichtsstück über ein im Spielfilm bislang sträflich vernachlässigtes Themenfeld.