Christophe Honoré

Sorry Angel

Jacques (Pierre Deladonchamps) und Arthur (Vincent Lacoste) sind verliebt. Foto: Salzgeber & Co. Medien GmbH
(Kinostart: 25.10.) Ein beiläufiges, präzise beobachtetes Aids-Drama: Regisseur Christophe Honoré erzählt von der letzten Liebe eines HIV-positiven Schriftstellers in den 90er-Jahren – mäandernd, realistisch und mit schnippischen Dialogen.

Der Schriftsteller Jacques (Pierre Deladonchamps) ist Mitte 30 und HIV-positiv. Man schreibt das Jahr 1993, die Aids-Epidemie ist im Alltag angekommen. Doch eine realistische Überlebensperspektive gibt es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Nach außen hin wirkt Jacques einigermaßen fit. Ein Gespräch mit seinem Arzt und ein anschließender Krankenhausaufenthalt machen jedoch klar: Es steht nicht gut um ihn.

 

Info

 

Sorry Angel

 

Regie: Christophe Honoré,

132 Min., Frankreich 2018;

mit: Pierre Deladonchamps, Vincent Lacoste

 

Website zum Film

 

Dementsprechend richtet sich Jacques in seinem Alltag ein: zwischen Geldsorgen und Vaterpflichten – er hat einen  Sohn im Schulalter – und mit einem Freundeskreis, in dem das Sterben alltäglich geworden ist. Im Wesentlichen hat er mit dem Leben abgeschlossen, mit der Liebe sowieso. Es ist eine Art freiwilliges Bindungsverbot, dass er sich auferlegt hat. Mehr als ein Geplänkel mit einem jungen Mann war da schon seit einer ganzen Weile nicht.

 

Frisch verliebt

 

Für die emotionale Erdung sorgt vor allem das enge Verhältnis zu seinem besten Freund und Nachbarn Mathieu (Denis Podalydès). Bis Jacques bei einem arbeitsbedingten Aufenthalt in Rennes auf den jüngeren Arthur (Vincent Lacoste) trifft. Und sich dann doch verliebt. Was ihn aber nicht davon abhält, Arthur erst einmal auf Abstand zu halten.

Offizieller Filmtrailer


 

Rauchen und reden

 

Der ist jedoch sowieso nicht der anhängliche Typ. Im Gegenteil: Der 22-Jährige probiert sich in vielerlei Hinsicht aus. Er hat eine Freundin, vielleicht ist er bisexuell. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass er sich langsam an sein Coming-Out herantastet. Und so lockt ihn eben auch Paris und das aufregende schwule Leben. Aktuell jobbt der Student jedoch als Betreuer in einem Ferienlager.

 

Es ist eine asymmetrische Liebesgeschichte, die der Regisseur Christophe Honoré erzählt. Die Chemie zwischen Arthur und Jacques stimmt. Und doch stehen die beiden an sehr unterschiedlichen Punkten in ihren jeweiligen Biografien. Honoré nimmt sich Zeit bei der Ausleuchtung der jeweiligen Lebenswelten. Es wird sehr viel geredet und geraucht, überhaupt mäandert der Film auf eine Weise, die man „très français“ nennen könnte.

 

Harscher Tonfall

 

Zumindest vordergründig wird hier wenig psychologisiert, sondern vielmehr zwischen den Zeilen kommuniziert. Die Dialoge sind plänkelnd und schnippisch, bisweilen rau, so etwa der Tonfall zwischen Arthur und seiner Manchmal-Freundin. Dabei beobachtet Honoré präzise. Das Ergebnis ist ein bisweilen harscher Realismus. Und doch besitzt der Film auch zarte, intime und entrückte Momente – bezeichnenderweise vor allem in Szenen, die nicht von Jacques und Arthur erzählen. Allzu viel darf man von der romantischen Liebe eben nicht erwarten.

 

In einer eindrücklichen Szene holt Jacques seinen schwerkranken, kaum mehr bewegungsfähigen Ex-Freund Marco, der vorübergehend bei ihm wohnt, zu sich in die Badewanne und lacht mit ihm über ihre frühere Beziehung. Die beiden amüsieren sich zusammen über das, was einst als Konfliktstoff taugte. In einer anderen toll beobachteten Szene hängt Arthur in bester Kleinstadt-Manier noch einmal mit seinen Kumpels nachts auf dem Friedhof ab, bevor er sich in die große Stadt verabschiedet.

 

Leben mit dem HI-Virus

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Liebenden – von der Last, glücklich zu sein" - hervorragendes Musical-Melodram von Christophe Honoré

 

und hier einen Bericht über den Film "God's Own Country" - herb-romantisches Homosexuellen-Drama von Francis Lee

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der Fremde am See" – fesselnder schwuler Kammerspiel-Thriller von Alain Guiraudie mit Pierre Deladonchamps 

 

Der Film ist länger, als er sein müsste. Langweilig wird es trotzdem selten, man lässt sich gerne in diese beiden Leben entführen. In seiner scheinbaren Beiläufigkeit erinnert „Sorry Angel“ an den ebenfalls aus Frankreich stammenden Film „120 BPM“ von 2017, der die gleiche Zeit zum Thema hat. In dem Aids-Drama wurde unter anderem verhandelt, welche Form des Aktivismus zielführend ist. Bei Honoré dagegen ist der Fokus radikal privat. Er erforscht, was das HI-Virus mit dem Leben macht, bevor es – zumindest seinerzeit – fast zwangsläufig tötet.

 

In ähnlicher Manier erzählt der britische Romanautor Alan Hollinghurst, ebenfalls ein fein beobachtender Chronist schwulen Lebens. Zudem hat die Geschichte offenbar autobiographische Bezüge. In den 1990er Jahren war Regisseur Christophe Honoré Filmstudent in Rennes; damals träumte er nach eigenem Bekunden von einer Begegnung mit einem Mann wie Jacques.

 

Schnell weglaufen

 

Das Ende der Geschichte wirkt irritierend melodramatisch, in geradezu brutalem Kontrast zu den vorhergehenden zwei Stunden. Diesem Schluss ist wohl auch der etwas befremdliche deutsche Titel „Sorry Angel“ geschuldet. Im Original heißt der Film „Plaire, aimer et courir vite“ („Gefallen, lieben und schnell rennen“), was den Geist dieses nuancierten Dramas viel besser trifft.