Hilary Swank

I am Mother

"Mutter" bietet der verletzten fremden Frau (Hilary Swank) Hilfe an, doch diese fürchtet sich. Foto: Concorde Filmverleih
(Kinostart: 22.8.) Kuscheln mit der Roboter-Mutter: In seinem SciFi-Thriller wirft Regisseur Grant Sputore einen ungewohnten Blick auf Künstliche Intelligenz. Sein apokalyptisches Kammerspiel plädiert für einen zärtlichen Umgang mit menschlicher Selbstabschaffung.

Einmal, in einem seltenen Moment von Zuneigung, lehnt Tochter ihren Kopf an die Schulter von Mutter. Diese Schulter ist hart, kantig und hochtechnisiert. Mutter ist ein Roboter und damit Teil einer globalen Maschinerie. Einen Namen hat sie nicht; auch das Menschenkind, das sie aufzieht, nennt sie nur: Tochter. Dieses Szenario spielt in einer Zukunft, in der die Menschheit den Planeten in eine Katastrophe gigantischen Ausmaßes geführt und sich selbst dabei beinahe ausgerottet hat.

 

Info

 

I am Mother

 

Regie: Grant Sputore,

113 Min., Australien 2019;

mit: Hillary Swank, Rose Byrne, Clara Rugaard

 

Weitere Informationen

 

Doch zumindest wurde für den Ernstfall vorgesorgt und vorher eine vollautomatisierte Brutstation für einen neuen, besseren Menschen aufgebaut. Darin übt und optimiert Mutter in Ruhe ihre pädagogischen Fähigkeiten. Fast 36 Jahre nach der Katastrophe verzeichnen die Detektoren der Station genau ein menschliches Wesen auf dem Planeten: besagte Tochter, die gerade in der Pubertät ist. Außerdem gibt es Zigtausende von eingefrorenen Embryonen, die in einem Schnellkochtopf-Brutkasten innerhalb von 24 Stunden geburtsreif gemacht werden könnten.

 

Die Erde als Raumschiff

 

Die Bildwelt von „I Am Mother“ erinnert an die „Alien“-Saga; nur ist hier die ganze Erde zum Raumschiff geworden. Es gibt immer wieder Kamerafahrten durch die in ihrer Größe kaum fassbare Station. Die steht irgendwo in einer postapokalyptischen Einöde, könnte aber genauso gut durchs All treiben. „I Am Mother“ ist der Debütfilm des australischen Regisseurs Grant Sputore: ein SciFi-Kammerspiel, das sich über die meiste Zeit ausschließlich der Interaktion zwischen Mensch und Maschine widmet und nebenbei eine matriarchale Ordnung etabliert.

Offizieller Filmtrailer


 

Viel Stilbewusstsein, ein paar Logikschwächen

 

Der Cast besteht aus zwei Schauspielerinnen: der dänischen Newcomerin Clara Rugaard als Tochter und der zweifachen Oscar-Preisträgerin Hilary Swank. Unter einer aufreizend neutral in die Welt schauenden Linse im Roboterkörper von Mutter ersetzen zwei bewegliche Leuchtdioden die Mundwinkel und deuten so etwas wie Mimik an; den Korpus setzt ein Mitarbeiter des Roboter-Herstellers in Bewegung. Mutters Stimme gehört der australischen Schauspielerin Rose Byrne; ihre supersanften und sehr rational wirkenden Äußerungen können einen auf Dauer regelrecht in den Wahnsinn treiben.

 

Swank spielt die letzte Überlebende in der unwirtlichen Außenwelt: schwer verletzt erkämpft sie sich Zutritt zu der Station. Sie sei von Kampfrobotern attackiert worden, behauptet sie – und bringt damit auch das Vertrauensverhältnis zwischen Mutter und Tochter aus der Balance. Sputore durchleuchtet diese Konstellation mit großer Ruhe und viel Stilbewusstsein. Dabei hat der Film durchaus Längen; zudem muss man über einige Logikschwächen hinwegsehen und erratischen Dialogen lauschen.

 

Altes Wissen und Zukunftsfragen

 

Doch das Setting ist so radikal reduziert, dass das Ganze trotzdem erstaunlich gut funktioniert: ein Mensch, ein Roboter. Im ersten Drittel des Kammerspiels gibt es nicht mehr zu sehen als den Umgang zwischen den beiden; die Spannung bleibt trotzdem über weite Strecken erhalten. Tochter tanzt Ballett, schaut die „Tonight Show“ aus einem untergegangenen TV-Zeitalter, muss die großen Philosophen pauken und den Umgang mit chirurgischem Besteck lernen.

 

Hintergrund

 

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Mutter erteilt ihr zudem Ethikunterricht, wie ihn in unserer Gegenwart etwa Computerentwickler bekommen, die bei der Programmierung autonomer Fahrzeuge moralische Fragen abwägen müssen: Soll man einen todkranken Menschen retten oder mit seinen Organen fünf andere Leben sichern? Nachts unternimmt Tochter Streifzüge durch die endlosen Gänge der Station. Heimlich und unbeobachtet, denn Mutter „schläft“ – ganz banal auf ihrer Ladestation sitzend.

 

Intime Beziehung zum Grusel

 

Überwachungstechnologien, wie sie heute jeder smart in der Hand- oder Hosentasche mit sich führt, scheinen in diesem Zukunftsszenario unbekannt. Dadurch entstehen Situationen, die absurd anmuten. Als Tochter etwa unerlaubt eine Schleuse öffnet, um die verletzte Frau einzulassen, muss Mutter erst endlos durch Gänge sprinten, bis sie eingreifen kann. Die gigantische Apparatur aus künstlicher Intelligenz und Robotik wirkt in solchen Momenten nicht wie ein ambitionierter Kommentar zu Gegenwart und Zukunft, sondern regelrecht putzig in ihrer Antiquiertheit.

 

Doch die Kernidee des Films bleibt so relevant wie beängstigend. In „I Am Mother“ gibt es keine Welt außerhalb der von Maschinen kontrollierten; die Macht der Künstlichen Intelligenz ist total. Dabei baut der Film eine intime Beziehung zu einer Urangst der Menschheit auf: dass die von ihr geschaffenen Werkzeuge und Innovationen so gut sind, dass sie sich selbst weiter optimieren, verselbständigen und gegen ihre Schöpfer wenden. So wird „I Am Mother“ zum Plädoyer für einen zärtlichen Umgang mit unserem existenziellen Grusel.