Adèle Haenel

Porträt einer jungen Frau in Flammen

Héloïse (Adèle Haenel) und Marianne (Noémie Merlant) kommen sich näher. Foto: Alamode Filmverleih
(Kinostart: 31.10.) Künstlerin als Kupplerin: Eine Malerin soll inkognito eine Adlige porträtieren, die sich gegen ihre arrangierte Ehe sperrt. Aber nicht gegen eine lesbische Affäre – der feminine Historienfilm von Regisseurin Céline Sciamma ist wunderbar nuanciert.

Als die Porträtmalerin Marianne (Noemie Merlant) im Jahr 1770 nach einer stürmischen Anreise durchnässt auf einer Insel vor der bretonischen Küste ankommt, raucht sie, sich nackt vor dem Kamin räkelnd, erst einmal ein Pfeifchen. Im Kontext ihrer Zeit ist die junge Frau ein rebellischer Freigeist; das wird schon in den ersten Filmminuten deutlich. Mit ihrer Arbeit unterstützt sie allerdings wenig emanzipatorische Verhältnisse: Für Geld malt sie junge Frauen aus gutem Hause, auf dass sie auf dem Heiratsmarkt der Oberschicht strategisch verschachert werden können.

 

Info

 

Porträt einer jungen Frau in Flammen

 

Regie: Céline Sciamma,

120 Min., Frankreich 2019;

mit: Noémie Merlant, Adèle Haenel, Valeria Golino, Luàna Bajrami

 

Website zum Film

 

Das Damoklesschwert einer arrangierten Ehe mit einem Mann, den sie noch nie gesehen hat, schwebt auch über Héloise (Adèle Haenel). Ihre ältere Schwester hat sich dem entzogen, indem sie sich von einer Klippe stürzte. Nun soll Héloise an ihre Stelle treten; bis vor kurzem ging sie noch auf eine Klosterschule. Der Adelige, dem zuerst ihre Schwester und nun eben sie versprochen wurde, will jedoch erst einmal ein Bild sehen; schließlich lebt er im fernen Mailand. Héloise will diese Ehe überhaupt nicht, sieht aber kaum Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren.

 

Inkognito-Malerin leistet Gesellschaft

 

Immerhin weigert sie sich, für das Brautschau-Bild Modell zu sitzen. Den ersten Maler, der vor Marianne für diesen Auftrag engagiert worden war, hat sie mit ihrer Sturheit bereits vergrault. Deswegen hat sich Héloises Mutter, die Herzogin, einen Trick ausgedacht: Sie stellt Marianne ihrer Tochter als Gesellschafterin vor. Die beiden sollen miteinander Zeit verbringen, was Héloise zu schätzen weiß – kann sie so ihrem goldenen Käfig doch zumindest ein bisschen entfliehen. Marianne soll sie dabei beobachten und dann aus dem Gedächtnis malen.

Offizieller Filmtrailer


 

Aus Neugierde wird Begehren

 

Aus den intensiven, aufmerksamen Blicken, mit denen sie die lebenshungrige junge Adlige während ihrer gemeinsamen Spaziergänge am Meer mustert, entsteht erst eine wechselseitige Neugierde, dann Nähe und bald auch Begehren. Das wird so stimmig wie zurückgenommen in Szene gesetzt. Kein Wunder, dass sich Marianne sich zunehmend schuldig fühlt angesichts des Verrats, den sie an Héloise begeht.

 

Regisseurin Céline Sciamma hat schon in ihren früheren Filmen Coming-of-Age-Geschichten erzählt, bei denen junge Frauen im Mittelpunkt standen. Der so spröde wie authentische Jugendfilm „Water Lillies“ (2007) erzählte von ersten sexuellen Erfahrungen und einer Freundschaft; im leichtfüßigen „Tomboy“ (2011) ging es um das Experimentieren mit Geschlechteridentitäten, während das wuchtige Sozialdrama „Bande de filles – Girlhood“ (2014) von Gangs und Loyalitäten in den banlieues von Paris erzählte.

 

Frauen dürfen keine Akte malen

 

In ihrem vierten Spielfilm wendet Sciamma sich erstmals einer längst vergangenen Epoche zu. Dabei offenbart dieser historische Film, wie so häufig, weniger über die Zeit, in der die Geschichte angesiedelt ist, als über den heutigen Zeitgeist. Muffig und altbacken wirkt an diesem Kostümdrama jedenfalls nichts; es hat eine höchst moderne Anmutung. Es handelt von männerfreien Räumen, Klassengrenzen und der Solidarität, mit der diese zumindest temporär überwunden werden; ein Nebenstrang erzählt etwa von einer Magd, die ungewollt schwanger wird und abtreiben muss.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Bande de Filles – Girlhood" - Gruppen-Porträt farbiger Teenager in der Pariser Banlieue von Céline Sciamma

 

und hier eine Rezension des Films "Carol" - ergreifendes lesbisches Liebesdrama in den 1950er Jahren von Todd Haynes mit Cate Blanchett

 

und hier einen Bericht über den Film "La belle saison – Eine Sommerliebe"lesbisches Liebesdrama in den 1970er Jahren von Catherine Corsini mit Cécile de France.

 

Das zentrale Thema ist jedoch die Macht von Blicken: Marianne muss etwa ihre Aktbilder heimlich malen, weil das zur damaligen Zeit offiziell ausschließlich Männern erlaubt war. Und Héloise fühlt sich bei der Enthüllung ihres Porträts nicht nur verraten, weil sie belogen wurde. Wer das denn bitte sein solle, fragt sie angesichts des recht konventionell geratenen Bildes. In ihren Augen hat Marianne auch ihre persönliche Verbindung, ihre ganz eigene Perspektive auf sie preisgegeben. So kommt es zu einem zweiten Anlauf für das Porträt, diesmal unter veränderten Vorzeichen.

 

Männerfreier Ort ohne Happy End

 

Regisseurin Sciamma beschäftigt sich nicht nur in der Handlung mit der Macht des Schauens. Sie hält zudem auch ästhetisch dem im Kino bis heute dominanten männlichen Blick etwas entgegen: Frauenkörper setzt sie erotisch in Szene. Doch diese wirken nicht wie passive Objekte der Begierde, sondern erscheinen als autarke Subjekte. Auf diese Weise erzählt Sciamma so filigran wie eindrücklich von der Gruppendynamik an einem männerfreien Ort, der vorübergehend zu einem herrschaftsfreien Ort wird – als nämlich Héloises Mutter auf Reisen geht.

 

Die präzise komponierten Bilder, die oft genug selbst wie farbsatte Ölgemälde wirken, fangen die Mimik der Frauen so nuanciert ein wie die Dramatik der Küstenlandschaft. Trotzdem bietet der Film wenig Anlass zum Schwelgen: Sciamma stellt diese von vorneherein zum Scheitern verdammte Liebschaft mit bemerkenswertem emotionalen Realismus dar. An ein Happy End darf man in keiner Minute glauben.