Als die Porträtmalerin Marianne (Noemie Merlant) im Jahr 1770 nach einer stürmischen Anreise durchnässt auf einer Insel vor der bretonischen Küste ankommt, raucht sie, sich nackt vor dem Kamin räkelnd, erst einmal ein Pfeifchen. Im Kontext ihrer Zeit ist die junge Frau ein rebellischer Freigeist; das wird schon in den ersten Filmminuten deutlich. Mit ihrer Arbeit unterstützt sie allerdings wenig emanzipatorische Verhältnisse: Für Geld malt sie junge Frauen aus gutem Hause, auf dass sie auf dem Heiratsmarkt der Oberschicht strategisch verschachert werden können.
Info
Porträt einer jungen Frau in Flammen
Regie: Céline Sciamma,
120 Min., Frankreich 2019;
mit: Noémie Merlant, Adèle Haenel, Valeria Golino, Luàna Bajrami
Inkognito-Malerin leistet Gesellschaft
Immerhin weigert sie sich, für das Brautschau-Bild Modell zu sitzen. Den ersten Maler, der vor Marianne für diesen Auftrag engagiert worden war, hat sie mit ihrer Sturheit bereits vergrault. Deswegen hat sich Héloises Mutter, die Herzogin, einen Trick ausgedacht: Sie stellt Marianne ihrer Tochter als Gesellschafterin vor. Die beiden sollen miteinander Zeit verbringen, was Héloise zu schätzen weiß – kann sie so ihrem goldenen Käfig doch zumindest ein bisschen entfliehen. Marianne soll sie dabei beobachten und dann aus dem Gedächtnis malen.
Offizieller Filmtrailer
Aus Neugierde wird Begehren
Aus den intensiven, aufmerksamen Blicken, mit denen sie die lebenshungrige junge Adlige während ihrer gemeinsamen Spaziergänge am Meer mustert, entsteht erst eine wechselseitige Neugierde, dann Nähe und bald auch Begehren. Das wird so stimmig wie zurückgenommen in Szene gesetzt. Kein Wunder, dass sich Marianne sich zunehmend schuldig fühlt angesichts des Verrats, den sie an Héloise begeht.
Regisseurin Céline Sciamma hat schon in ihren früheren Filmen Coming-of-Age-Geschichten erzählt, bei denen junge Frauen im Mittelpunkt standen. Der so spröde wie authentische Jugendfilm „Water Lillies“ (2007) erzählte von ersten sexuellen Erfahrungen und einer Freundschaft; im leichtfüßigen „Tomboy“ (2011) ging es um das Experimentieren mit Geschlechteridentitäten, während das wuchtige Sozialdrama „Bande de filles – Girlhood“ (2014) von Gangs und Loyalitäten in den banlieues von Paris erzählte.
Frauen dürfen keine Akte malen
In ihrem vierten Spielfilm wendet Sciamma sich erstmals einer längst vergangenen Epoche zu. Dabei offenbart dieser historische Film, wie so häufig, weniger über die Zeit, in der die Geschichte angesiedelt ist, als über den heutigen Zeitgeist. Muffig und altbacken wirkt an diesem Kostümdrama jedenfalls nichts; es hat eine höchst moderne Anmutung. Es handelt von männerfreien Räumen, Klassengrenzen und der Solidarität, mit der diese zumindest temporär überwunden werden; ein Nebenstrang erzählt etwa von einer Magd, die ungewollt schwanger wird und abtreiben muss.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Bande de Filles – Girlhood" - Gruppen-Porträt farbiger Teenager in der Pariser Banlieue von Céline Sciamma
und hier eine Rezension des Films "Carol" - ergreifendes lesbisches Liebesdrama in den 1950er Jahren von Todd Haynes mit Cate Blanchett
und hier einen Bericht über den Film "La belle saison – Eine Sommerliebe" – lesbisches Liebesdrama in den 1970er Jahren von Catherine Corsini mit Cécile de France.
Männerfreier Ort ohne Happy End
Regisseurin Sciamma beschäftigt sich nicht nur in der Handlung mit der Macht des Schauens. Sie hält zudem auch ästhetisch dem im Kino bis heute dominanten männlichen Blick etwas entgegen: Frauenkörper setzt sie erotisch in Szene. Doch diese wirken nicht wie passive Objekte der Begierde, sondern erscheinen als autarke Subjekte. Auf diese Weise erzählt Sciamma so filigran wie eindrücklich von der Gruppendynamik an einem männerfreien Ort, der vorübergehend zu einem herrschaftsfreien Ort wird – als nämlich Héloises Mutter auf Reisen geht.
Die präzise komponierten Bilder, die oft genug selbst wie farbsatte Ölgemälde wirken, fangen die Mimik der Frauen so nuanciert ein wie die Dramatik der Küstenlandschaft. Trotzdem bietet der Film wenig Anlass zum Schwelgen: Sciamma stellt diese von vorneherein zum Scheitern verdammte Liebschaft mit bemerkenswertem emotionalen Realismus dar. An ein Happy End darf man in keiner Minute glauben.